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Reportage

Voller Einsatz für die Pflege

„Jüngere Generationen können nicht mehr so viel Familienpflege leisten wie früher“, sagt Petra Hoffmann-Dax, die Leiterin der Diakoniestation Westend. Ihre Arbeit in der ambulanten Pflege wird dadurch immer wichtiger. Und die Herausforderungen größer. Ein Einblick in den Arbeitsalltag.

„Alles wunderbar, ein Blutdruck wie bei einem jungen Hupfer“, ruft Petra Hoffmann-Dax – lauter als auf den ersten Blick notwendig: Sie steht in einem stillen Raum, ein paar Bücher, Fotos von früher und ein Radio, das fast schon als Antiquität gelten könnte. Die Vormittagssonne scheint durchs Fenster auf ein Bett, darauf sitzt der Hausherr. Er nickt zufrieden.

Kurt Huber (91) ist fit für sein Alter, er hat früher viel Sport gemacht: Fußball, Tennis, Boxen – mehrere Pokale stehen im Wohnzimmer. Nur das Hören klappt nicht mehr so gut, deshalb sprechen Hoffmann-Dax und ihre Kollegen immer etwas lauter, wenn sie vorbeikommen. Das passiert vier Mal pro Tag, morgens, mittags, abends und in der Nacht. Kurt Huber ist einer der fast 100 Klienten des ambulanten Pflegediensts der Diakoniestation Westend.

Pflegearbeit ist Teamarbeit. „Das linke Bein zuerst“, sagt Hoffmann-Dax, während sie Huber dessen Kompressionsstrümpfe anzieht. Aus jedem Handgriff spricht die Routine – von beiden. Sie arbeitet seit 26 Jahren in der Pflege, er ist seit 2012 Klient der Diakoniestation. Auf einen Rollator gestützt geht es danach ins Wohnzimmer, vorbei an einem barrierefreien Badezimmer und einer kleinen Küche. Petra Hoffmann-Dax hilft beim Hinsetzen in den Fernsehsessel. Alleine leben könnte Kurt Huber wohl nicht mehr.

Wie ihm geht es vielen in Deutschland. Rund dreieinhalb Millionen Menschen sind pflegebedürftig – Tendenz steigend. Es sind die Folgen einer immer älter werdenden Gesellschaft, das weiß man auch im bayerischen Ministerium für Gesundheit und Pflege: „Die Zahl steigt kontinuierlich an.“ In München leben über 30 000 Pflegebedürftige, fast die Hälfte davon wird von einem Pflegedienst in der eigenen Wohnung betreut.

„Wenn wir als Pflegedienst in eine Wohnung kommen, sind wir Gäste“, betont Petra Hoffmann-Dax. Egal ob die Klienten sich über Besuch freuen oder unfreundlich sind, man müsse immer professionell bleiben. Wenn Kurt Huber sie duzt, siezt Hoffmann-Dax zurück.

Seit 1994 leitet Petra Hoffmann-Dax die Diakoniestation Westend, früher im Alten- und Servicezentrum an der Tulbeckstraße, heute an der Kazmairstraße. Sie ist selbst auf der Schwanthalerhöhe geboren, hat nach der Schule eine Ausbildung zur Großhandelskauffrau absolviert, doch dort hat sie den persönlichen Kontakt vermisst. So kam Hoffmann-Dax zur Pflege. Dank ihrer direkten Art und auch dank ihrer Managementfähigkeiten aus der ersten Ausbildung stieg sie schnell auf, machte Werbung für die Station, setzte eigene Ideen um. Die Zahl der Pfleger hat sie seitdem vervierfacht. Heute erklärt Hoffmann-Dax stolz: „Wir sind im Stadtteil der Marktführer.“

Obwohl Hoffmann-Dax als Geschäftsführerin mittlerweile viel vom Büro aus arbeitet, ist es ihr wichtig, den Kontakt zu den Klienten nicht zu verlieren: Sie führt alle Erstgespräche, besucht jede und jeden mindestens zwei Mal im Jahr. „Das machen nicht viele Leiter von Pflegediensten. Aber ich will wissen, was draußen los ist.“

Professionalisierung und Optimierung, ohne das Menschliche aus dem Blick zu verlieren – Petra Hoffmann-Dax kennt beide Seiten. Für ihre Pfleger versucht sie, einen Mittelweg zu finden: Täglich sieht man die Elektro-Fahrräder der Station durchs Viertel fahren, ihre Tourdaten bekommen die Mitarbeiter digital aufs Handy. Im Durchschnitt brauchen sie so vier Minuten von Klient zu Klient. Kurze Wege schaffen Zeit. Zeit für die Menschen.

Ein entspannter Beruf ist es trotzdem nicht. Die Frühschicht beginnt um 6.30 Uhr, der letzte Mitarbeiter im Spätdienst hat um 23.30 Uhr Feierabend und Klienten brauchen auch am Wochenende Unterstützung. Wenn ein Pfleger um 10.04 Uhr bei Kurt Huber ankommt, ist er schon der 15. Klient an diesem Tag. Das ganze Team kommt auf 200 Besuche pro Tag.

Die meisten Klienten möchten einen Termin am frühen Morgen. „Es gibt wenige, die länger schlafen wollen – für die sind wir immer dankbar“, berichtet Hoffmann-Dax. Deshalb legt die Dringlichkeit die Reihenfolge fest: Medizinische Leistungen wie Insulinspritzen, die ein Arzt verschreibt, gehen vor, Pflegeleistungen wie Körperpflege oder Hilfen im Haushalt folgen später. Klar muss aber auch sein, dass professionelle Pflege kostet: „Ein Mensch mit Pflegegrad 1 kann nicht erwarten, dass er jeden Tag Hilfe bei der Körperpflege bekommt.“

Oft kommen die jüngeren Generationen auf Hoffmann-Dax zu, wenn die Pflege der Eltern sie überfordert. „Auch wegen dem Druck der Arbeitswelt sind die Jüngeren nicht mehr in der Lage, so viel Familienpflege zu leisten wie früher.“ Wer in Berlin arbeitet, kann nicht für die Mutter in München einkaufen gehen. Wichtig sei es, früh vorzusorgen. Zu manchen Klienten kommen die Pfleger nur zweimal in der Woche. Der Vorteil: „Wenn es nicht mehr geht, kennen sie uns schon.“

Gerade die Schwanthalerhöhe ist eine Herausforderung. „Es gibt Wohnungen auf der Schwanthalerhöhe, in denen wird noch mit Kohle geheizt“, erzählt Petra Hoffmann-Dax. „Das erinnert manchmal an ein Museum.“ Und dann ist da noch die bunt gemischte Bewohnerschaft des Stadtviertels: Man müsse immer sensibel auf den Einzelnen eingehen. „Ein Pflegedienst muss heute klientenorientiert arbeiten, um anerkannt zu werden“, findet die 51-Jährige. Wenn aus kulturellen oder religiösen Gründen Angehörige selbst bei der Intimpflege dabei sein wollen, dann müssen die Pfleger damit umgehen können. Das multikulturelle Team von Hoffmann-Dax scheint das gut umzusetzen: Bei Qualitätsprüfungen bekam die Diakoniestation Westend Bestnoten.

Das liegt mit daran, dass Petra Hoffmann-Dax ihr Team fordert und fördert. „Die Pflegenden sind meistens alleine unterwegs. Dann schleichen sich leicht Fehler ein.“ Mehrmals im Jahr begleitet sie deshalb ihre Mitarbeiter auf den Touren, korrigiert, gibt Tipps. Und genauso bietet sie Hilfe an, wenn die Mitarbeiter einen verstorbenen Klienten in der Wohnung finden. Denn: „Mitarbeiter muss man auch pflegen.“

Viel Verantwortung, hohe Arbeitsbelastung und das oft bei niedrigem Gehalt. Die Umfrage eines Jobportals hat gezeigt, dass Pfleger im bundesweiten Durchschnitt ein Bruttogehalt von unter 2500 Euro bekommen. Deshalb ist die Nachwuchssuche auch für Petra Hoffmann-Dax schwierig. „Wirklich schwierig“, unterstreicht sie. Ludwig Wörner, der 1. Vorsitzende des Vereins, zu dem die Diakoniestation gehört, denkt deshalb darüber nach, künftig mit günstigen Dienstwohnungen bei jungen Menschen zu werben.

Denn auf die Jungen ist die Diakoniestation Westend angewiesen. Einmal im Monat haben die Klienten bisher die Möglichkeit, sich in der Station zu treffen. Es gibt Kaffee und Kuchen oder auch mal Weißwürste – die älteren Menschen brechen aus dem Alltagstrott aus, knüpfen Kontakte. Das kam so gut an, dass Petra Hoffmann-Dax das dauerhaft umsetzen möchte. Ihre Idee: Eine Tagespflege in der Diakoniestation. Neue Räume im Gebäudekomplex des Ledigenheims gibt es schon, die Renovierung läuft. Bis November soll alles fertig sein. Verdiente Mitarbeiter könnten sich dann um die Tagespflege kümmern, die Jüngeren mobil unterwegs sein.

Damit hat sich Petra Hoffmann-Dax noch einmal einer großen Herausforderung angenommen. Schon jetzt arbeitet sie viel, abzuschalten sei nicht immer einfach, gibt sie zu. Aber: „Ich lebe nach dem Motto ‚Ganz oder gar nicht!’“ Früher hat Hoffmann-Dax in der Bundesliga Rasenhockey gespielt, heute zeigt sie in der Pflege vollen Einsatz. Und wenn sie nach Feierabend mit dem Radl über die Ganghoferbrücke fährt, lässt sie auch die Gedanken an die Arbeit hinter sich – zumindest bis zum nächsten Morgen.