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Phantomtor: Fußball beruht auf falschen Tatsachenentscheidungen

Nach dem Phantomtor wird das Spiel Hoffenheim gegen Leverkusen nicht wiederholt. Weil es nur eine von vielen Fehlentscheidungen ist, ist das richtig so.

Ein ganzes Wochenende lang sorgte Stefan Kießlings unrealistischer Treffer für Aufregung, Hoffenheim gegen Leverkusen wurde zum Topspiel, zumindest was die Nebengeräusche betrifft. Grund dafür war eine Fehlentscheidung, die vermeidbar gewesen wäre und auch noch in den Minuten nach dem Phantomtor und vor dem Wiederanpfiff hätte revidiert werden können. Doch der Kopfball, der ans kaputte Außennetz und dann ins Tor ging, zählte.

Natürlich war das falsch. Dass das DFB-Sportgericht nun entschied, das Spiel nicht zu wiederholen, ist trotzdem richtig. Fußball beruht auf Tatsachenentscheidungen, auch auf falschen Tatsachenentscheidungen.

Schiedsrichter sehen nicht alles, sie machen Fehler. Die erzeugen Emotionen. Die wiederum machen diesen Sport so beliebt. Hat man die Hoffenheimer Fans jemals zuvor so aufgeregt gesehen? Vielleicht nur beim unerwarteten Nicht-Abstieg in der vergangenen Saison.

Seit sie den Klassenerhalt geschafft haben, spielen die Hoffenheimer einen ähnlichen Offensivfußball wie 2008, als sie aufstiegen. Mal sind sie erfolgreich, mal weniger, langweilig sind die Spiele selten. Klassenerhalte oder Champions-League-Qualifikationen schaffen Teams nicht wegen eines singulären Ereignisses wie einem Phantomtor, sondern wegen einer konstanten Leistung inmitten von Höhen und Tiefen einer ganzen Saison. Dazu gehört es, benachteiligt und bevorzugt zu werden, solange dahinter keine Absicht der Unparteiischen steht.

Schiedsrichter sind keine Cyborgs mit eingebauten Videokameras

Natürlich ist Fußball kein Nullsummenspiel ausgleichender Gerechtigkeit, weil Schiedsrichter eben keine Cyborgs mit eingebauten Videokameras sind, vor deren innerem Auge Zeitlupen strittiger Szenen ablaufen. Wenn dieses Spiel wiederholt worden wäre, hätten viele andere auch erneut ausgetragen werden müssen. Was außer einem winzigen Loch im Tornetz ist der Unterschied zu anderen Fehlentscheidungen?

Beispiel eins: Viertelfinalrückspiel der Champions League im April 2013. Das Spiel von Borussia Dortmund gegen Málaga endet 3:2 zugunsten des BVB, weil Felipe Santana in der dritten Minute der Nachspielzeit ein Abseitstor gegen Málaga erzielte. Dieses Tor sorgte dafür, dass der BVB ins Halbfinale der Champions League einzog. Beispiel zwei: England gegen Deutschland beim Achtelfinale der WM 2010 in Südafrika. Das nicht gegebene Tor war so eindeutig eines, dass die nach hinten verlegte Torlinie zum Internetphänomen wurde. Dieses Spiel (Endstand 4:1) wäre womöglich zugunsten der Engländer verlaufen, hätten sie vor der Pause zum 2:2 ausgeglichen. Doch keine der beiden Partien wurde wiederholt.

Helmers Phantomtor und das Spiel danach

Das Phantomtor vom 18. Oktober wird unvergesslich bleiben, ähnlich wie der 23. April 1994, als Thomas Helmer den Ball klar am Tor vorbeischoss und der FC Bayern mit 2:1 siegte. Dass dieses Spiel wiederholt und die Tatsachenentscheidung ausgehebelt wurde - offiziell wegen eines Missverständnisses zwischen dem Linienrichter und dem Schiedsrichter - war ein Fehler. Gut, dass heute kein weiterer begangen wurde. Im Übrigen hat das Wiederholungsspiel Nürnberg nicht geholfen, Bayern gewann 5:0. An dieses Spiel erinnert sich kaum einer.

Natürlich geht es beim Fußball nicht nur um Getöse, sondern auch um Fair Play. Der Richter am Sportgericht Hans E. Lorenz betonte, dass das Urteil unter sportlichen Gesichtspunkten zwar niemandem gefalle, der Schiedsrichter Felix Brych aber keine Regel gebrochen habe. Er hat sich nach eigenen Angaben bei beiden Assistenten rückversichert. Sie haben sich geirrt und Hoffenheim nicht bewusst benachteiligt. Aus der Fehlentscheidung einen Skandal zu machen, ist übertrieben, auch wenn sie spektakulärer aussah als andere.

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