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Rekordverdächtige Politikmüdigkeit

Am Beispiel der israelischen Hip-Hop-Kultur lässt sich erzählen, dass Kunst vereinigen, aber auch zum Symbol des Status quo werden kann. Foto: Levi Meir Clancy / Unsplash

Israel ist ein Land voller Widersprüche: Der Staat ist die einzige Demokratie im Nahen Osten, dennoch haben die Israelis ein schwieriges Verhältnis zur Politik. Ist es also die Kunst, in der die Zukunft des Staates und der Umgang mit dem Nahostkonflikt ausgelotet werden? Wohl nicht, wie der israelische Hip-Hop zeigt.

Historiker Tom Segev ist sich sicher: In der israelischen Bevölkerung zeichnet sich eine Entpolitisierung ab, ein Rückzug ins Private und in das Kulturleben. Gerade der Rap, dem häufig eine progressive, subversive Kraft zugesprochen wird, ist in Israel ein Musterbeispiel für die Abkehr von der politischen Sphäre: „Israels Situation ist einzigartig in der Welt“, sagt Anna C. Zielinska im Gespräch mit maldekstra. Die Philosophin, die an der Université de Lorraine und Sciences Po Paris lehrt, ist Expertin für die israelische Hip-Hop-Kultur. Sie sieht die Entwicklung des Rap eng verwoben mit den politischen Umbrüchen ab 1977. An die Stelle der Arbeitspartei tritt damals der rechte Likud – und mit ihm ein neues Staatsprojekt: „der Neoliberalismus, der für sich beansprucht, Politik überflüssig zu machen.“

Das neue Kabinett besiegelt auch das Ende der Kibbuzim, basisdemokratischer Kollektivsiedlungen, die bis dato staatlich subventioniert wurden. In der Folge kühlt der politische Diskurs immer weiter ab. Das Scheitern des Osloer Abkommens, die Ermordung von Ministerpräsident Rabin 1995 sowie der Vormarsch der Hamas 2005 treiben das Gefühl der politischen Entfremdung weiter voran: „Diese Ereignisse versetzten nicht nur rechte Kreise, sondern faktisch auch die Mitte und einen großen Teil der Linken in einen Zustand der Erstarrung.“ Heute ist Israel ein Land mit rekordverdächtiger Politikmüdigkeit: Nur knapp 25 Prozent der Bevölkerung waren jemals bei einer Demonstration (Griechenland: 47,6 Prozent), der Glaube an ein positives politisches Projekt existiert kaum noch. Israel sei „zu einem Land mit einer starken Armee und einem starken Finanzministerium geworden“, so Zielinska.

In diesem Kontext blüht Israels Hip-HopKultur auf: Bis 2000 ist Rap hier noch ein Nischen-Genre. Während der zweiten Intifada tritt dann das Tel Aviv City Team (TACT) ins Rampenlicht – und mit ihm der Rapper Subliminal, dessen Songs nicht etwa soziale Probleme, sondern seine Liebe zu Israel thematisieren. Subliminals erstes Album „Haor m’Zion“ (Das Licht von Zion) trifft mit seinen patriotischen Texten den Puls der Zeit. „Der erste Erfolg des israelischen Rap ist also nicht mit einer Revolte gegen die vorherrschende nationale Politik verbunden, sondern vielmehr mit einer Legitimierung dieser Politik“, so Zielinska. Obgleich die Veröffentlichungen von Subliminal politisch rechts zu verorten sind – die traditionelle Politik lehnt er von Anfang an ab: „Rechte und linke Politiker spalten“, rappt er gemeinsam mit TACT-Kollege The Shadow in „Divide and Conquer“.

Parallel zum zionistischen Rap entwickelt sich ein arabisches Gegenstück: propalästinensischer Rap, sowohl aus Israel als auch aus Gaza. Vor der zweiten Intifada herrscht zwischen jüdischen und arabischen Künstler*innen noch Frieden: Sie arbeiten zusammen, Subliminal und The Shadow laden israelischarabische Künstler wie Tamer Nafar sogar zu Auftritten ein. Doch auch im Rap wird mit den Zusammenstößen der Ton rauer. Nafar singt statt auf Hebräisch nur noch auf Arabisch. Und er prangert eine Vertreibung der arabischen Bevölkerung während der israelischen Staatsgründung an. Spätestens 2001 geht die Freundschaft zwischen TACT und Nafar in die Brüche, als Letzterer in „Meen Erhabe“ (Wer ist der Terrorist?) rappt: „Demokratie? Ihr seht eher wie Nazis aus!“

Immer häufiger hört man indes bei TACT-Konzerten Rufe wie „Tod den Arabern!“ aus dem Publikum. 2003 reagiert Subliminal darauf: „Sag das nicht. Es heißt ‚Leben für die Juden‘, nicht ‚Tod den Arabern‘.“ Über die Zeit entfernt er sich aber immer mehr von politischen Inhalten. 2021 veröffentlicht Subliminal mit „Shabbat LaShabbat“ einen CharitySong, um Geld für Senior*innen zu sammeln. Heile Welt also. The Shadow hingegen ist inzwischen zu einem ultrarechten Politaktivisten mutiert.

Die Geschichte des israelischen Hip-Hop wäre aber nur unvollständig erzählt, wenn man Hadag Nahash außen vor ließe. Eine Gruppe, die in den 1990ern Hip-Hop und Reggae miteinander verbindet und sich damit von TACT abhebt. 2004 veröffentlicht Hadag Nahash „Shirat Hasticker“ (das Sticker-Lied). In dem Stück zitieren die Künstler Slogans von Auto-Aufklebern – in Israel sowohl bei der politischen Linken wie bei der Rechten eine beliebte Methode, politische Werbung zu verbreiten. Vergleichen kann man das Stück vielleicht mit „MfG – Mit freundlichen Grüßen“ von den Fantastischen Vier. 

„Die ganze Generation will Frieden“, zitiert Hadag Nahash darin einen Sticker. „Kein Frieden mit den Arabern“, heißt es etwas später. Der Song illustriert die Verkürzung des israelischen Diskurses auf Schlagworte und Slogans – und die scheinbare Unlösbarkeit des Nahostkonflikts. Zielinska: „Die Widersprüche, die der Song widerspiegelt, scheinen heute paradoxerweise als solche akzeptiert zu werden, ohne dass es einen wirklichen politischen Willen gibt, sie zu konfrontieren.“ Die Israelis feiern ihre politische Resignation: Fast jeder kennt das Stück, bei Konzerten singt das Publikum mit.

Heute sind es aber weder TACT noch Hadag Nahash, die den israelischen Mainstream dominieren. An ihre Stelle traten Rapper wie Tuna oder Nechi Nech. Letzterer besingt Themen wie seine eigenen Unsicherheiten und die Suche nach echter Liebe. Politische oder soziale Kritik übt er höchstens auf einer sehr abstrakten Ebene: Auf seinem Album „Welcome To Petach Tikva“ (2015) charakterisiert er die Regierung als „das organisierte Verbrechen“. Warum? Das bleibt offen. Tuna liefert mit „Rock Shloshim“ ein Album, in dem er die Sorgen seiner Generation verarbeitet: „Was bist du bereit aufzugeben? Wie viel ist noch zu erreichen?“, fragt er angesichts einer beängstigenden Hightech-Welt, die er in Israel sieht. Mit seinem zweiten Album zieht er sich aber vom Politischen zurück, rappt über sich selbst und die Wehwehchen des Star-Daseins.

Was Tuna und Nechi Nech eint, ist die Liebe zu ihrer Heimatstadt Petach Tikwa. Sie singen über Diskotheken, Freundschaften aus ihrer Jugend oder die erste Liebe. Dabei schwingen Nostalgie und Selbstironie mit, eine politische Dimension meist nicht. Die Botschaft fasst Anna Zielinska so zusammen: „Familie, Beziehungen zu Freunden und unsere Identitätsfragen sind übergeordnet, nichts anderes ist wirklich von Belang.“

Die Philosophin betrachtet diese Entwicklung des israelischen Hip-Hop mit Sorge. Motive wie Freunde und Familie seien zwar wichtig. „Aber sie tragen auch dazu bei, dass die grundlegenden politischen Fragen über das Wirken des israelischen Staates nicht zur Sprache kommen.“ Für engagierte Rapper*innen ein Dilemma: Wie kann man über die Konflikte sprechen, ohne dabei gleich als militante*r, naive*r Linke*r abgestempelt zu werden? „Das Schweigen scheint der verlässlichste Helfer zu sein“, sagt Zielinska. Ein Trugschluss, denn auch der vermeintliche Rückzug ins Private ist in Wirklichkeit hochpolitisch: „Es trägt dazu bei, den Status quo aufrechtzuerhalten.“

 

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