Verena Fücker

freie Journalistin & Redakteurin, München

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70 Jahre Grundgesetz: Warum Bayern dagegen stimmte

Das Grundgesetz wird 70 Jahre alt. In Bayern hatte es die deutsche Verfassung am Anfang alles andere als einfach. Heute vor 70 Jahren hat der bayerische Landtag das Grundgesetz abgelehnt. Warum? © BR

Das Grundgesetz feiert dieses Jahr runden Geburtstag. In Bayern hatte es die deutsche Verfassung am Anfang alles andere als einfach. Heute vor 70 Jahren lehnte der bayerische Landtag das Grundgesetz ab. Warum?


20. Mai 1949: Es ist ein eindeutiges Ergebnis, das Landtagspräsident Michael Horlacher an diesem Montag vor 70 Jahren verkündet: "Es haben 174 Abgeordnete abgestimmt; davon stimmten 64 mit Ja, 101 mit Nein und 9 mit 'Enthalte mich'. Ich habe jetzt folgendes festzustellen: Das Grundgesetz in der vorliegenden Fassung hat nicht die Zustimmung des Bayerischen Landtags gefunden." Es folgen Zwischenrufe, Pfui-Rufe, Tumult.


Bayern lehnte Grundgesetz als einziges Bundesland ab

Als einziges Landesparlament in Deutschland hat Bayern damit das Grundgesetz abgelehnt. Um zu dieser Entscheidung zu gelangen, hatten die Abgeordneten schon über 14 Stunden Debatte hinter sich. Hitzig und leidenschaftlich.


Für den damaligen Ministerpräsidenten Hans Ehard von der CSU war der größte Streitpunkt die Stellung Bayerns in Deutschland: "Es geht darum, den nach wie vor ungebrochenen Willen Bayerns zu einem genügenden staatlichen Eigenleben in Einklang zu bringen, mit der staatlichen Gestaltung Gesamtdeutschlands."


Angst vor einem Machtverlust


Ehard befürchtete, dass die Bundesländer zu wenig Macht haben könnten. Zum Beispiel beim Thema Schule. Für diese waren die Länder zwar zuständig, hatten aber Angst, dass der Bund sich zu sehr einmischen könnte, wenn die Länder Geld vom Bund haben wollen. Bei der CSU wurden Erinnerungen wach an die Weimarer Verfassung, als Bayern seine Sonderrechte im Deutschen Reich verloren hatte und massiv in Steuereinnahmen beschnitten wurde.


Auch SPD hatte Bedenken

Auch auf Seiten der SPD gab es Bedenken, ob das Grundgesetz zu zentralistisch ist - die Regierung in der damaligen Hauptstadt Bonn also vielleicht zu viel Macht bekommen könnte. Trotzdem sagte Wilhelm Hoegner von der SPD, der als Vater der bayerischen Verfassung gilt: "Die Zwangslage, in der wir uns befinden, in der sich ganz Deutschland befindet, veranlasst mich, die staatsrechtlichen und politischen Bedenken gegen das Bonner Grundgesetz zurückzustellen."


Damit meinte Hoegner den Kalten Krieg, der so langsam aufzog. Den westlichen Alliierten Großbritannien, Frankreich und USA lag viel dran, schnell einen deutschen Einheitsstaat zu gründen. Deutschland und Bayern brauche die Hilfe der USA, deswegen gebe es keine andere Wahl als die Zustimmung, so Hoegner. Die SPD war letztlich einstimmig für das Grundgesetz.


FDP stimmte für das Grundgesetz

Zustimmung gab es auch bei der FDP. Der Liberale Thomas Dehler - schon davor leidenschaftlicher Wahlkämpfer für das Grundgesetz und späterer Bundesjustizminister - sagte damals: "Schauen Sie nach Amerika, schauen Sie nach Südafrika, schauen Sie nach Brasilien, schauen Sie die Schweiz an. Lauter Bundesstaaten. Kein Bundesstaat der Welt gibt den Ländern so viel Rechte, als unser Grundgesetz." Thomas Dehler, FDP


Ehard nutzte Hintertürchen


Es half nichts. Der bayerische Landtag lehnte das Grundgesetz ab. Trotzdem ist Bayern Teil der Bundesrepublik geworden, denn Ministerpräsident Ehard hat ein Hintertürchen genutzt: "Die bayerische Staatsregierung anerkennt ohne Einschränkung die Zugehörigkeit Bayerns zu dem werdenden deutschen Bundesstaat, sobald das Grundgesetz mit der erforderlichen Mehrheit der Stimmen der Länder ratifiziert ist."


Juristisch ohne Folgen - Zwei Drittel aller Bundesländer für GG

Juristisch war der bayerische Sonderweg ohne Folgen. Noch vor der Abstimmung im Landtag in München hatten die erforderlichen zwei Drittel der westdeutschen Bundesländer dem Grundgesetz bereits zugestimmt. Auf das Votum des Freistaates kam es also nicht mehr an.


Und wie sieht es heute in Bayern aus?

In manchen Dingen nimmt Bayern immer noch eine Sonderrolle ein, sagt heutzutage Landtags-Präsidentin Ilse Aigner (CSU): "Es hat auch damit zu tun, dass der Freistaat Bayern einer ist, der wirklich sehr viel Wert drauf legt auf viele Eigenständigkeiten beziehungsweise auf Gestaltungsmöglichkeiten, die wir dringend brauchen. Und das nutzen wir auch dementsprechend, wo wir das auch können."


Und das, da ist sich Ilse Aigner sicher, wird's in Bayern immer so geben.

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