Verena Böttcher

Fernseh- und Wissenschaftsjournalistin, Köln

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XL-Bundestag! 2017 sitzen plötzlich 100 Abgeordnete mehr in Berlin - das wird teuer

Die Abgeordnetenzahl im Bundestag könnte im kommenden Jahr deutlich steigen. dpa/Kay Nietfeld

FOCUS Magazin | Nr. 47 (2016)


POLITIK UND GESELLSCHAFT: Bundestag XXL


Eine INSA-Studie im Auftrag von FOCUS zeigt: Im Herbst 2017 werden mehr Parteien als zuvor im Parlament vertreten sein - mit entsprechend mehr Abgeordneten und damit zusätzlichen Kosten. Ist eine Begrenzung der Abgeordnetenzahl sinnvoll, wie immer mehr Stimmen fordern?


Offiziell sitzen im Deutschen Bundestag 598 Abgeordnete. Doch wenn die Deutschen im Herbst 2017 so wählen, wie das Meinungsforschungsinstitut INSA jetzt exklusiv für FOCUS in einer aktuellen Sonntagsfrage ermittelt hat, wächst die Volksvertretung um 100 Abgeordnete. Hochgerechnet auf Bundestagsmandate, würden dann 698 Politiker im Parlament sitzen. Diese zusätzlichen 100 Volksvertreter - also jeder siebte Sitz - kämen durch Überhang- oder Ausgleichsmandate zu Stande.


Wahlsystem bedingt 100 zusätzliche Abgeordnete

Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate und damit mehr Sitze innehat, als ihr nach ihrem Zweitstimmenergebnis zustehen. Damit dieser Überhang das Parteienverhältnis nicht verfälscht, wurden Ausgleichsmandate eingeführt. Das bedeutet, dass alle anderen Parteien zusätzliche Sitze bekommen, damit das Zweitstimmenergebnis korrekt abgebildet wird. „Durch das jetzige Wahlrecht steigt die Zahl der Mandate rasant an. Die Parteien bekommen Ausgleichsmandate, die vom Wähler so gar nicht gewollt sind", beklagt Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler.


2017 werden voraussichtlich sieben Parteien im Bundestag sitzen. Das führt zu 27 Überhang- und 73 Ausgleichsmandaten. Die INSA-Studie basiert bei den Zweitstimmen auf 30,5 Prozent für die Union und 13 für die AfD. Grüne und Linke kämen auf elf beziehungsweise 11,5 Prozent. Die FDP erhielte 6,5 und die SPD 22,5 Prozent. „Die CSU wird vermutlich wieder alle Direktmandate in Bayern gewinnen", erklärt Hermann Binkert, Chef des Erfurter Meinungsforschungsinstituts INSA. „Es ist also gut denkbar, dass die CSU bei der nächsten Bundestagswahl viele Überhangmandate einfahren wird." Als stärkste Fraktion würde daher die CDU am meisten von den Überhangmandaten ihrer Schwesterpartei profitieren. Dennoch verliert allein die CDU nach der Studie 20 Direktmandate im Vergleich zur Bundestagswahl 2013. Das heißt: Fast jeder zehnte bisherige CDU-Direktabgeordnete gibt seinen Wahlkreis an Kandidaten anderer Parteien ab.


Für die Steuerzahler wird das nächste Parlament teurer

„Der Wähler weiß bei seiner Stimmabgabe nicht, wie groß der Bundestag sein wird", sagt Holznagel. „Das ist wie Würfeln auf Kosten des Steuerzahlers." Dem Bund der Steuerzahler zufolge kostet der jetzige Bundestag mit 630 Abgeordneten jährlich 408 Millionen Euro. Das entspricht etwa 650 000 Euro pro Parlamentarier. Ein Bundestag mit 698 Abgeordneten würde 45 Millionen Euro mehr kosten. Dabei wären weniger Sitze effektiver: „Organisatorische Abläufe werden straffer, Abgeordnete erhalten mehr Einfluss, die Verwaltung wird nicht aufgebläht", begründet Holznagel. Bei einer Befragung im Jahr 2015 sprachen sich daher drei Viertel der Deutschen für eine Begrenzung der Bundestagsmandate aus.


Lösungsansätze gibt es

Doch selbst ein Vorschlag von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) fand keine Zustimmung: die Zahl der Mandate auf rund 630 zu begrenzen und Überhangmandate nicht mehr auszugleichen, sobald diese Zahl erreicht ist. „Es ist meine dringliche Empfehlung, das Wahlrecht noch in dieser Legislaturperiode zu verändern", mahnt Lammert.


Der Statistiker Friedrich Pukelsheim schlägt hingegen ein Modell komplett ohne Überhangmandate vor: Durch einen Ausgleich der Sitze zwischen den einzelnen Bundesländern würde der Bundestag weiterhin das korrekte Zweitergebnis spiegeln. Die Abbildung der Stimmabgaben innerhalb der Bundesländer wäre nur leicht verzerrt.


Der Bund der Steuerzahler will die Wahlkreise reduzieren

Unter dem Slogan „500 sind genug" wirbt der Bund der Steuerzahler für eine sparsame Lösung. „Die 299 Wahlkreise könnten auf 228 reduziert werden", erläutert Holznagel. Momentan herrscht zwischen dem größten und kleinsten Wahlkreis ein Bevölkerungsunterschied von über 100 000 Bürgern. Durch die Reduzierung auf 228 Wahlgebiete würde der Unterschied unter 50 000 liegen. Auch die Listenmandate sollten laut Holznagel auf 228 begrenzt werden.


Wenn die aktuelle politische Stimmung bis zum Wahltag anhält, dürfte die Union wieder den oder die nächste(n) Kanzler(in) stellen. Sie kann allerdings rein rechnerisch nur zusammen mit der SPD oder in einem Dreierbündnis mit Grünen und FDP regieren. Alle anderen Konstellationen wie Rot-Rot-Grün, Schwarz-Grün oder eine klassische Ampel (SPD/FDP/Grüne) verfehlen die Kanzlermehrheit von 350 der 698 Bundestagsstimmen deutlich.

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