Vera Gasber

Videojournalistin, Mobile Reporterin & selbstständige Dozentin, Wien

1 Abo und 3 Abonnenten
Artikel

Bei der Bundestagswahl 2017 sind nicht alle Bürger wahlberechtigt

In Deutschland ist es manchen Personengruppen erschwert oder verboten, wählen zu gehen. Fotos: dpa - Bildfunk, imago stock&people ; David Ebener, Neue OZ.

Osnabrück. Am 24. September wählen die Bürger der Bundesrepublik Deutschland einen neuen Bundestag. Aber nicht alle Menschen dürfen wählen. Manche Personengruppen sind vom Wahlrecht ausgeschlossen. Ein Blick in die Gesetzesbücher.

Am 24. September findet die 19. Bundestagswahl in Deutschland statt. Nach dem Grundgesetz Artikel 38 ist jeder wahlberechtigt, der volljährig ist und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Derzeit sind das etwa 61,5 Millionen. Insgesamt leben in Deutschland rund 82,3 Millionen Menschen, von denen laut Statistischem Bundesamt 73,4 Millionen deutsch sind.

Die Gründe, warum Menschen nicht wählen dürfen, sind unterschiedlich: Es gibt mehrere Personengruppen, die von der Wahl ausgeschlossen sind oder denen das Wählen erschwert wird.

Ausländer, die keinen deutschen Pass haben

Personen, die in Deutschland leben, aber keinen deutschen Pass besitzen, gelten als Ausländer und sind somit nicht wahlberechtigt. Darunter fallen auch Staatenlose und Menschen mit unbekannter Staatsangehörigkeit. Derzeit leben rund 8,7 Millionen Ausländer in Deutschland.

Deutsche, die nicht im Wahlregister eingetragen sind

Grundlage zur Wahl ist das Melderegister der Meldebehörden. Wer nicht darin eingetragen ist, darf nicht wählen. Stichtag ist der 42. Tag vor jeder Wahl. Bei Umzug in eine neue Gemeinde in dieser Zeitspanne kann ein Antrag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis des jeweiligen Zuzugsorts gestellt werden.

Das gilt ebenfalls für Menschen ohne festen Wohnsitz.

Deutsche im Ausland

Für Staatsbürger, die im Ausland leben, gelten besondere Auflagen: Deutsche im Ausland dürfen nur wählen, wenn sie ab ihrem vierzehnten Lebensjahr für mindestens drei Monate in der Bundesrepublik gemeldet waren. Außerdem darf dieser Zeitraum nicht mehr als 25 Jahre her sein. Deutsche im Ausland müssen nachweisen, dass sie persönlich und unmittelbar mit den politischen Verhältnissen der Bundesrepublik vertraut sind. Wenn die Bedingungen erfüllt sind, müssen Deutsche im Ausland circa ein halbes Jahr vor jeder Wahl einen Antrag auf Eintragung stellen und im Anschluss die Briefwahl beantragen. Wenn die Bedingungen nicht erfüllt werden, sind sie nicht wahlberechtigt.

Behinderte Menschen, die in allen Fällen auf Pflege angewiesen sind

Behinderte Menschen, die Betreuung „in allen Angelegenheiten" benötigen, steht eine Hilfe im Alltag zu. Sie sind auf Bundesebene nicht wahlberechtigt, obwohl im Grundgesetz steht, dass niemand „wegen seiner Behinderung benachteiligt werden" darf. Seit 2016 dürfen behinderte Menschen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig Holstein auf Landesebene wählen, weil die Textpassage aus dem Wahlgesetz gestrichen wurde. 2010 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass bei jedem Einzelfall geprüft werden muss, ob wirklich die vollständige Betreuung notwendig ist. Professor Thomas Groß von der Universität Osnabrück kritisiert in dem Zusammenhang die deutschen Gerichte, die demnach im Einzelfall genauer prüfen müssten, „ob jemand in der Lage ist, selber zu wählen oder nicht."

Frau Petra Wontorra ist die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen. „Faktisch bleibt es dabei, dass in diesem Jahr fast 10.000 Menschen in Niedersachsen aufgrund ihrer Behinderung vom Wahlrecht ausgeschlossen werden. Das verletzt das Recht auf politische Partizipation." In ganz Deutschland betrifft das Gesetz rund 85.000 Menschen.

Menschen, die infolge eines Richterspruches vom Wahlrecht ausgeschlossen wurden

Menschen, die ein schweres Verbrechen begangen haben, können durch einen Richterspruch das Wahlrecht entzogen bekommen.

Außerdem verlieren Straftäter, die mindestens zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt werden, ihr passives Wahlrecht für fünf Jahre, nicht aber das aktive. Sprich: Sie dürfen an Wahlen teilnehmen, aber sich selbst nicht für eine Wahl aufstellen lassen oder öffentliche Ämter einnehmen.

Bei politisch motivierten Straftaten wie Landesverrat oder Wahlfälschung kann auch das aktive Wahlrecht aberkannt werden. Die Strafhöhe variiert zwischen zwei und fünf Jahren. Laut Professor Thomas Groß spielt dieses Gesetz in der Praxis keine Rolle mehr. In den letzten Jahren gab es nur mehr vereinzelt Fälle. „Das Gesetz ist veraltet und überholt. Es wurde als Ehrenstrafe eingeführt. In der Tat muss man sich die Frage stellen, ob es noch relevant ist."

Straftäter in einem psychiatrischen Krankenhaus

Menschen, die nach Artikel 63 Strafgesetzbuch in Verbindung mit Artikel 20 straffällig geworden sind und als schuldunfähig gelten, werden in ein psychiatrisches Krankenhaus überstellt. Die Insassen gelten als gefährlich. Sie verlieren ihr Wahlrecht.

Gegen dieses Gesetz gibt es Einwände, doch ist laut Bundesverfassungsgericht „zum jetzigen Zeitpunkt ein konkreter Entscheidungstermin nicht absehbar." Professor Groß hält dieses Gesetz für „zu pauschal".

Allein in Niedersachsen sind mehr als 300 Menschen betroffen. In anderen Bundesländern gibt es diesen Wahlausschluss nicht: Baden-Württemberg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Das Deutsche Institut für Menschenrechte sagt über die Regelung, dass die „Uneinheitlichkeit existierender Regelungen für diese Gruppe doch nahelegen würde, wie willkürlich und haltlos die Ausgrenzung dieser Menschen mit Behinderungen von diesem zentralen politischen Vorgang in einigen Bundesländern wie auch im Bund sei".

Zum Original