Vanessa Materla

Journalistin I Multimedia-Reporterin I Regisseurin

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Artikel

Anruf bei Familie Radtke

Wenn es nach Ellen und Stefanie Radtke gegangen wäre, dann hätten sie ihr erstes Kind schon vor fünf Jahren bekommen. Niemals hätten sie sich das Jahr 2020 ausgesucht, um Eltern zu werden, sagt Ellen Radtke. Vor allem nicht, wenn sie gewusst hätten, dass die Schwangerschaft und Geburt ihrer Tochter mit einer weltweiten Pandemie zusammenfallen würde. "2020 war das perfekte Jahr, um Eltern zu werden", sagt Ellen Radtke. "Aber es war auch ein schlimmes."

Stefanie und Ellen Radtke blicken in eine Kamera, während sie davon erzählen. Nichts Ungewöhnliches für die beiden 35-Jährigen, die mit ihrem Youtube-Kanal "Anders Amen" seit einem Jahr Einblicke in ihr Leben als queeres Pfarrerinnen-Ehepaar geben und damit über 20.000 Abonnentinnen und Abonnenten erreichen. In ihren Videos für "Yeet", den Youtube-Channel der evangelischen Kirche, verschmelzen Ehealltag, Gemeindearbeit und Glaubensfragen. Mit ihrer Präsenz in den sozialen Medien zeigen sie die progressive Seite der Kirche. Sie wollen auch beweisen, dass Dorfleben und Aufgeschlossenheit miteinander vereinbar sind. Stefanie und Ellen Radtke sind Pfarrerinnen in der 3000-Seelen-Gemeinde Eime.

Wir sind an einem kalten Donnerstag vor wenigen Wochen verabredet, um darüber zu sprechen, wie es ist, wenn Schlimmes und Schönes so nah beisammenliegen. Junges Elternglück, der Aufbruch in ein neues Leben. Gleichzeitig: eine globale , eine Welt im Stillstand. Auf der einen Seite eine Geburt, auf der anderen Seite das Sterben sehr vieler Menschen. Was macht das mit ihnen als jungen Eltern? Was macht das mit ihnen als Seelsorgerinnen? Während unseres Gesprächs liegt ihre Tochter Fides, die im Oktober 2020 per Hausgeburt zur Welt kam, abwechselnd in den Armen ihrer Mütter. Seelenruhig. Sie weiß noch nicht, in welche Zeit sie hineingeboren wurde.

Stefanie und Ellen Radtke haben sich im Studium kennengelernt, seit 2017 wohnen sie im Pfarrhaus in Eime. Stefanie Radtke ist hier Pastorin, während sich Ellen Radtke für die Evangelische Landeskirche in Niedersachsen um ein Digital-Projekt kümmert. Zu ihrem Glück hat lange nur ein Kind gefehlt.

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Fünf Jahre lang hat Ellen Radtke versucht, schwanger zu werden. Diesen langen Weg dokumentieren die beiden auf . Selbst intime Momente zeigen sie dort: Ellen Radtke, wie sie sich auf dem Parkplatz eine Hormonspritze setzt, Stefanie Radtke, wie sie einen Behälter mit Samenflüssigkeit transportiert. Den dänischen Vater haben sie sich im Online-Katalog einer Samenbank ausgesucht. Stefanie Radtke und der Samenbehälter im Aufzug - die beiden lachen, als sie davon erzählen. Ob dieses Video wirklich hätte sein müssen, hätten sie einige gefragt. Aber warum nicht? "Wir fanden es lustig", sagt Ellen Radtke. Die beiden sind unkonventionell; ihre Abonnentinnen und Abonnenten feiern sie.

Fünf Jahre lang träumen die Radtkes von ihrem Baby und malen sich aus, wie sie mit ihm reisen, wie sie Familie besuchen, den ganzen Tag im Café sitzen und ihr Mami-Glück genießen werden. Das tröstet sie, aber es schürt auch Erwartungen. Als Ellen Radtke endlich schwanger wird, soll alles perfekt sein, nach Plan laufen. Stefanie Radtke nimmt sich drei Monate frei, um ihre Frau unterstützen zu können.

Die Pandemie hat Stefanie Radtke die Energie genommen. Und das Gefühl, eine gute Pastorin sein zu können.

Auch die werdenden Großeltern sollen einbezogen werden, vor allem Ellen Radtkes Mutter. Sie soll die Hand auf den Bauch der Schwangeren legen, die Tritte des Enkelkindes spüren können. "Ich wollte, dass sie meine Schwangerschaft wirklich miterleben kann", sagt Ellen Radtke. Doch die Pandemie setzt den Wunschvorstellungen ein Ende, nichts läuft nach Plan. "Nähe und Berührung waren auf einmal verboten. Das war sehr schlimm für uns." Ein Gefühl, das vielen nach mehr als einem Jahr Pandemie vertraut sein dürfte. Meistens ist es deshalb auch nicht mehr der Rede wert, weil es sehr vielen Menschen gerade so geht, weil sich durch Klagen nichts ändert. Fides wird unruhig, möchte frisch gewickelt werden. Ein entschuldigender Blick in die Kamera - "Ich bin gleich wieder da". Stefanie Radtke nimmt ihre Tochter auf den Arm und verlässt den Raum.

Klar, es habe auch Vorteile, in der Pandemie nichts tun zu können, sagt Ellen Radtke. Dadurch, dass sie immer zu zweit zu Hause waren, habe sie sich auf die Unterstützung ihrer Frau verlassen können. Und trotzdem habe es Momente gegeben, in denen sich Ellen Radtke allein fühlte. Bestimmte Gefühle könne man nicht zerreden, sagt sie. Sich in der Zweisamkeit abgeschnitten gefühlt zu haben, das sei auch heute noch etwas Diffuses für sie, schwer zu beschreiben. "Vielleicht passt Corona-Blues am ehesten", sagt Stefanie Radtke, als sie wieder den Raum betritt. Sie setzt Fides auf ihren Schoß.

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