Vanessa Materla

Journalistin I Multimedia-Reporterin I Regisseurin

1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Der Nahverkehr hat Hilfe nötig

Auf dem Gelände des Busunternehmens Scharf stehen 53 Busse. Die eine Hälfte sind Linienbusse, die andere Hälfte Reisebusse. Sie stehen. Seit Wochen. Und mit jedem Tag, an dem die Busse das Gelände nicht verlassen, wachsen die Sorgen von Geschäftsführer Andreas Scharf. Statt der Aufträge, die er sonst von der Stadt München, von Reiseunternehmen oder von Privatleuten bekommt, erreichen ihn jetzt vor allem Stornierungen. "Normalerweise fahren wir bis zu 10.000 Leute am Tag. Jetzt sind es vielleicht noch 3.000."

Als die Krise begann, habe er viel gerechnet, sagt Scharf. Das letzte Geschäftsjahr war gut, das Unternehmen konnte sich ein kleines Polster wegsparen. Zwei Monate könnten sie sich damit über Wasser halten, hatte Scharf damals geschätzt. Zwei Drittel dieser Zeit sind jetzt um. "Ich habe keine Ahnung, was wir in zwei Wochen machen werden. Wenn bis Mai nichts passiert, wird's kritisch für uns."

Das Busunternehmen Scharf ist als Gesellschafter Teil der Bayernbus GmbH, die für das Stadt- und Landgebiet rund um München Busse stellt. Scharf sorgt normalerweise dafür, dass Kinder zur Schule kommen und Erwachsene zur Arbeit. Sein Unternehmen verbindet die Gebiete auf dem Land mit der Stadt. Durch die Schließung der Schulen musste er seinen Fahrplan ausdünnen und auf Ferienzeit umstellen. Jetzt, wo die Schule zumindest für einige Schülerinnen und Schüler wieder öffnet, könnte sich die Lage zumindest minimal zum Positiven ändern. Trotzdem steht für Scharf fest: Ohne die üblichen Fahrgäste wird es auf lange Sicht problematisch, sein Unternehmen zu sichern - und damit auch das Busangebot für Menschen auf dem Land.

Woher soll das Geld kommen?

Mit dieser Existenzangst steht Scharf nicht allein: Auch die großen Verkehrsunternehmen spüren die Krise. So deutlich, dass Thierry Mallet, der Chef des französischen Verkehrskonzerns Transdev, in einem öffentlichen Brief einen EU-Fonds zur Rettung des öffentlichen Nahverkehrs fordert. Der ÖPNV sorge in der Krise für Kontinuität, schreibt Mallet. Aber ohne Hilfe werde die kritische finanzielle Situation alle öffentlichen Verkehrsnetze in eine sehr schwierige Lage bringen.

"Die aktuelle Krise zeigt, auf welch wackeligem Fundament der ÖPNV schon die ganze Zeit steht", sagt Mathias Wilde, Professor für Vernetzte Mobilität an der Hochschule Coburg. Für die Menschen, die auf dem Land wohnen, sei der Bus oft eine der wichtigsten Möglichkeiten, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. "Corona könnte schon jetzt dazu führen, dass viele Verkehrsunternehmen pleitegehen", sagt Wilde.

Laut dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) ist der Verkauf von Bartickets wie Einzelfahrscheinen und Monatskarten seit Ausbruch des Coronavirus in Deutschland um 70 bis 90 Prozent gesunken. Das ist normalerweise gut die Hälfte der Einnahmen, über die sich ein Verkehrsunternehmen finanziert. Die andere Hälfte wird von den Kommunen dazugesteuert. Doch die waren schon oft vor der Krise hoch verschuldet - woher also das zusätzliche Geld nehmen?

Zum Original