Die Fahrradpolizisten Stefanie Lütz und Sascha Reichenberger rollen im strömenden Regen auf eine Kreuzung zu, als vor ihren Augen ein junger Mann bei Rot über die Straße fährt. Reichenberger tritt sofort kräftig in die Pedale und setzt ihm nach. Zwischen zwei fahrenden Autos schlängelt sich Reichenberger über den nassen Asphalt, um dem Mann auf seinem silbernen Leihfahrrad hinterherzukommen. Er ruft, und tatsächlich bleibt der Radfahrer stehen. Als seine Kollegin ihn einholt, ist Reichenberger schon dabei, die Personalien zu notieren. Von seinem Gesicht tropft der Regen auf seinen Strafzettelblock, seine Schrift wird so schon nach wenigen Sekunden unleserlich. Wenn er seine Schicht um 14 Uhr beendet, wird Reichenberger viele der Bußgeldbescheide, die er heute ausgegeben hat, noch einmal neu dokumentieren müssen.
Lütz und Reichenberger machen einen paradoxen Job: Sie sollen Radfahrerinnen und Radfahrer schützen, indem sie sie bestrafen. Denn Radler sind bekannt dafür, dass sie gerne mal auf dem Gehweg fahren, rechts vor links missachten oder eben über rote Ampeln fahren. Damit ziehen sie nicht nur den Ärger anderer Verkehrsteilnehmer auf sich, sie bringen sich auch selbst in Gefahr. Die Berliner Fahrradstaffel soll sie davon abhalten. Aber was können zwanzig Frauen und Männer schon gegen Tausende von Verstößen tun, die sich täglich in Berlin ereignen? Wie reagieren die Radfahrer auf die Polizisten, die ihnen zwar wortwörtlich auf Augenhöhe begegnen, ihnen dann aber doch Bußgelder aufbrummen?
Die Fahrradstreife dreht seit 2014 ihre Runden. Damals ereigneten sich allein in Berlin-Mitte 94 Verkehrsunfälle, bei denen ein Radfahrer zu Schaden kam. Die Berliner Regierung kam zu der Überzeugung: Man muss die Radfahrer besser schützen, vor den Gefahren, die der Verkehr mit sich bringt, aber auch vor sich selbst.
Polizisten, die sich der neuen Einheit anschließen wollten, mussten sportlich sein, fahrradaffin erscheinen und einen Reifen flicken können. Kommissarin Stefanie Lütz und Oberkommissar Sascha Reichenberger fuhren vorher Streifenwagen in Neukölln. Sie sagen, dass sie es nicht mehr viel länger dort ausgehalten hätten. Die vielen Nachtschichten hätten sie zermürbt, sagt die 47-jährige Lütz, genauso wie die Leute, mit denen sie dort bei den Einsätzen zu tun hatte. Heute, fünf Jahre nach ihrem Jobwechsel, sind sie immer noch täglich auf Streife, doch statt im Auto sitzen sie jeden Tag auf dem . 365 Tage im Jahr ist die Fahrradstaffel unterwegs, so oft wie keine andere Fahrradstreife in Deutschland. Egal, ob es schneit, regnet, stürmt oder die Sonne auf die Stadt knallt.
Ihre Schicht beginnen Lütz und Reichenberger meistens an der Straßenkreuzung, wo in den vergangenen Jahren die meisten Unfälle mit Radfahrern passiert sind: Unter den Linden, Ecke Wilhelmstraße, direkt vor dem Brandenburger Tor. Zwischen 2008 und 2018 verletzten sich auf dieser Kreuzung 49 Radfahrer, allein in den vergangenen beiden Jahren waren es 24. Wie um zu beweisen, dass die Polizisten ihren Startpunkt gut gewählt haben, rutscht eine Frau auf der nassen Fahrbahn mit ihrem Reifen weg und fällt auf die Straße. Reichenberger hilft der Frau auf, Lütz sagt: "Da hat sie Glück gehabt, hätte auch schlimmer ausgehen können, so ganz ohne Helm." Noch bevor sie auf der anderen Straßenseite angekommen sind, müssen sie schon wieder anhalten: Ein Mann ist scheinbar bei Rot über die Ampel gefahren. Eigentlich kostet das 60 Euro, plus 28,50 Euro Bearbeitungsgebühr. Reichenberger lässt sich den Fahrweg des Mannes erklären, die Ampel hätte demnach auch schon grün sein können. Es bleibt bei einer Verwarnung.
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