Hintergründe: Münchens Subkultur-Mastermind Daniel Hahn im Interview von A bis Z.
Ob Wannda Kulturfestival, die MS Utting oder der „Bahnwärter Thiel": Mit seinen Kulturprojekten hat sich Daniel Hahn in der ganzen Stadt einen Namen gemacht. Mit nichts als einem ausgemusterten Zirkuszelt und vielen Ideen hat vor etwa fünf Jahren alles angefangen - heute ist Daniel Hahn vom Verein Wannda einer der bekanntesten Kulturveranstalter Münchens. Im Rahmen diverser Zwischennutzungen bespielt der Sendlinger gleich mehrere Flächen in der Stadt - und spätestens seit er im vergangenen Frühjahr das ausrangierte Ammersee-Ausflugsschiff MS Utting auf einer ehemaligen Eisenbahnbrücke in Sendling parken ließ, ist der 27-Jährige auch über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Wie der Sendlinger über Gerüchte, Risiken und Neider denkt, wieso ursprünglich ein ganz anderes Projekt den Namen „Bahnwärter Thiel" tragen sollte und wann die MS Utting den Betrieb aufnimmt, verrät er im Interview von A bis Z. Von Vanessa Hahn
A nfänge: Nach dem Abitur habe ich im Pathos Transporttheater gejobbt - eigentlich um Geld fürs Studium zu verdienen. Doch dort hatte ich dann zum ersten Mal das Gefühl, dass ich schon genau das mache, was ich machen möchte.
B rüder: Ich bin der älteste von drei Brüdern - kreativ sind wir alle: Laurin setzt sich für Nachhaltigkeit ein, Julian kennt man vom Café Gans am Wasser und dem Kulturkiosk, der gerade in Giesing entsteht.
C hancen nutzen: Auch wenn wir anfangs Flächen nur wenige Wochen oder Monate bespielen konnten - ich habe immer versucht, keine Chance ungenutzt lassen.
D isziplin ist der Preis, den ich bezahlen muss, damit ich tun kann, was ich liebe. In anderen Städten ist es leichter, sich völlig frei seinen kreativen Projekten zu widmen, weil man weniger finanzielle Sorgen hat.
E ile: Die Zeit drängt. Je früher die MS Utting eröffnet, desto effektiver können wir die auf fünf Jahre angelegte Zwischennutzung ausschöpfen - ich hoffe, dass es im Juni losgeht.
F reiheit: Heutzutage hat man als junger Mensch schier unbegrenzte Möglichkeiten, doch es fällt schwer, sich zu entscheiden - früher wollte ich unter anderem Architekt, Psychologe oder Schneider werden.
G erüchte: Da wir momentan unsere komplette Energie in unsere Kulturprojekte stecken müssen, fehlt die Zeit für Öffentlichkeitsarbeit und es entstehen viele Halbwahrheiten oder Gerüchte, wenn über die Utting berichtet wird.
H ochschule für Film und Fernsehen: Nach dem ersten Sommer auf dem Viehhof machte Doris Dörrie uns den Vorschlag, den Bahnwärter Thiel vor die HFF zu stellen - eine Win-Win-Situation: Als „Minna Thiel" hatte der Bahnwaggon einen Standort und wurde zum Lesecafé, Treffpunkt und Veranstaltungsort für die Münchner.
I mplerstraße: Vom Schiff aus sieht man mein Wohnhaus in der Implerstraße - doch leider blicke ich von meiner Wohnung in die andere Richtung - ohne Schiffsblick. Ein Wohnungstausch wäre genial.
J agdinstinkt: Etwa ein Jahrzehnt hat es gedauert, bis ich eine Münchner U-Bahn mein Eigen nennen konnte. Denn die MVG benutzt die ausgemusterten Wägen als Ersatzteillager. Auch die U-Bahn, die nun auf dem Viehhof steht, ist komplett ausgeschlachtet.
K onkurrenz: Wenn, dann entsteht Konkurrenz in der Kreativszene durch den Mangel an Flächen. Denn in München ist es einfach unglaublich schwer, Platz für Subkultur zu finden.
L ärmschutz: Im Viehhof stehen wir sehr dicht direkt neben Wohnhäusern. Natürlich gibt es immer wieder Beschwerden von Anwohnern, auch mal Nachfragen vom BA, insbesondere wenn es um das Thema Lärmschutz geht. Aber wir halten uns an alle Vorschriften und haben Gutachten erstellen lassen.
M athematik: Das Projekt MS Utting war zu 100 Prozent von der Statik abhängig. Über die Wasserverdrängung hat ein befreundeter Statiker das Gewicht der Utting berechnet und geprüft, ob wir das Schiff auf die Lagerhausbrücke stellen können.
N eid: Viele sehen die Utting und denken „wow, da steht jetzt einfach mal so ein Schiff" - wie lang der Weg dahin war und dass es auch wahnsinnig viele Rückschläge gab, ist den meisten Menschen überhaupt nicht bewusst.
O hne Druck kann sich Kreativität besser entfalten - doch in München ist ein Konzept immer Voraussetzung. Bürokratische Hürden und Genehmigungsverfahren nehme ich in Kauf, um meine Visionen umsetzen zu können.
P lan B: Es war klar: Wenn das Schiff einmal steht, dann ist die Standortentscheidung endgültig. Der Grund: Der enorme logistische Aufwand und die horrenden Transportkosten. Fast wäre die Utting auf einem Acker in Aubing gelandet, in letzter Minute gab es grünes Licht für die Lagerhausbrücke.
Q uo Vadis? Zwischennutzung hat auch Vorteile: Man kann sich und seine Projekte immer wieder neu erfinden, weiß nie, wo der Weg letztendlich hinführt.
R isiko: Die Schlüsselsituationen meines Lebens waren immer riskant, mehrmals habe ich alles auf eine Karte gesetzt. Sicher hätte ich rückblickend auch manches anders gemacht. Aber mir ist wichtiger, Konsequenzen einer Entscheidung in Kauf zu nehmen, als später „hätte, wäre, wenn" zu sagen.
S endling: Aufgewachsen bin ich in der Nähe des Partnachplatzes, viel Zeit habe ich bei meiner Oma in der Daiserstraße verbracht. Auch der Verein Wannda ist ein Sendlinger Original - wir leben alle bis heute im Viertel, unser Büro ist in der Lindwurmstraße.
T räume: Schon als Jugendlicher habe ich von einem Kreativprojekt mit dem Namen Bahnwärter Thiel geträumt: in einem leerstehenden Bahnwärterhäuschen in der Poccistraße, das ich bespielen wollte. Es war keine leichte Entscheidung, Jahre später ein anderes Projekt offiziell Bahnwärter Thiel zu taufen - das Häuschen an der Poccistraße steht übrigens noch heute leer.
U ngewöhnlich: Viele haben gefragt, warum wir das Schiff nicht einfach an die Isar gestellt haben - aber gerade der ungewöhnliche Standort macht es doch zu etwas Besonderem.
V iehhof: Der Viehhof ist ein besonderer Ort für mich. Schon als Kind war ich andauernd dort unterwegs, 2013 haben wir dort den Bahnwärter Thiel ins Leben gerufen - nun wird er noch vier weitere Jahre auf dem geschichtsträchtigen Gelände stehen dürfen.
W annda: Mit der Gründung des Wannda Kulturvereins hat 2013 alles angefangen - damals hätten wir uns niemals träumen lassen, dass wir einmal zwei tolle Kulturprojekte in „unserem" Viertel umsetzen können.
X-mal: Habe ich mich erfolglos mit Konzepten bei der Stadt beworben - unzählige Ideen, die noch nie umgesetzt werden konnten, schlummern noch in mir.
Y es we can: Die Möglichkeit, im Rahmen der Zwischennutzung die Projekte Bahnwärter Thiel und die MS Utting voranzubringen, bedeuten uns unfassbar viel - jetzt wollen wir zeigen, wozu wir fähig sind.
Z irkuszelt: Mit angespartem Geld habe ich ein Zelt gekauft, ohne zu wissen, ob es intakt ist oder wie man es aufbaut. Nach zwei Jahren im Keller des Pathos stand es 2013 zum ersten Mal im Kreativquartier - der Rest ist Geschichte.
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