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50 Kilo Reis als Beilage: Besuch in der Flüchtlingsküche

Wenigstens ein warmes Essen

München - Mit warmen Mahlzeiten kämpft die Münchner VoKü derzeit in der Not-Erstaufnahme in der Richelstraße für Menschlichkeit in Krisenzeiten. Ein Besuch in der perfekt improvisierten Großküche.

Um 10 Uhr morgens ist es noch ruhig in der Flüchtlingsaufnahme an der Richelstraße. Nur wenige Verantwortliche in ihren gelben Westen gehen an diesem Freitag durch die verwaisten Hallen, in denen Dutzende Bierbänke aufgebaut sind. Trotz der Ruhe vor dem Sturm hat Moritz Greil (29) es eilig. Er geht durch die Hallen, schüttelt Hände, tauscht aufbauende Worte aus. Ein älterer Herr spricht ihn an. "Ich kümmere mich darum", verspricht Greil. Der Münchner sieht nicht so aus, als habe er in den letzten Wochen viel Schlaf bekommen. Greil ist einer der unzähligen Helfer, die das mittlerweile neidvoll betitelte "Münchner Sommermärchen" möglich gemacht haben.

Innerhalb kürzester Zeit hat Greil, der eigentlich staatlicher geprüfter Holztechniker ist, zusammen mit den andern Männern und Frauen von der Münchner Volksküche (kurz "VoKü") etwas auf die Beine gestellt, was den Behörden bis heute nicht gelungen ist: Sie haben eine voll funktionstüchtige Großküche aufgebaut und bekochen die in München ankommenden Flüchtlinge. Denn wer weiß, wann die Menschen in den vielen Monaten der Flucht das letzte Mal eine warme Mahlzeit bekommen haben?

Ehrenamtlicher Kraftakt der VoKü

Möglich wird dieser Kraftakt durch die besondere Struktur der Volksküche: Zur Besetzung der LMU im Jahr 2009 fand sich das Kollektiv aus Freiwilligen zusammen und versorgte über Wochen die protestierenden Studenten mit veganen Mahlzeiten. Seitdem kocht die VoKü einmal im Jahr für das Bildungscamp vor der LMU. Riesige Töpfe und Pfannen, kindsgroße Kochlöffel - das alles lagert in der Zwischenzeit ungenutzt in den Kellern der Köche.

Als er von den ersten Zügen mit Flüchtlingen gehört habe, erzählt Greil, habe er sich gleich ans Telefon gehängt. "Die anderen waren auch sofort der Meinung, dass wir da helfen müssen." Ein Doodle gab es noch von der Unterbringung von Flüchtlingen im Olympiastadion vergangenen Winter. Kurze Wege also, um alle Freiwilligen von damals zu reaktivieren.

So zog die VoKü mit ihrer Ausrüstung an den Hauptbahnhof, mittlerweile kochen sie in dem alten verlassenen Gebäude der Deutschen Bahn in der Richelstraße. Auf den ersten Blick regiert hier das Chaos, auf den zweiten Blick offenbart sich allerdings der perfekt organisierte Aufbau einer Großküche. Alles ist auf die Abläufe ausgelegt, links die gespendeten Kühlschränke, in der Mitte wird das Gemüse geschnippelt, auf der rechten Seite stehen die tiefen Töpfe neben großen roten Gaskartuschen.

Zutaten-Mengen wie im Zeltlager

Sobald sich die ersten Gerüchte über einen ankommenden Zug mit mehreren hundert Flüchtlingen auf dem Gelände herumgesprochen haben - konkrete Informationen bekommt hier niemand - laufen die Arbeiten in der improvisierten Großküche an. Auf der Karte heute: Curry mit Reis. Die Zutatenliste liest sich wie ein Einkaufszettel eines ganzen Zeltlagers: Zwei Zehn-Liter-Eimer Zwiebeln. Paprika, Auberginen und Tomaten jeweils sechs bis sieben Kilogramm. 20 Liter Kokosmilch, Petersilie und Koriander aus einem Fünf-Liter-Bottich. Als Beilage werden 50 Kilogramm Reis serviert.

Woher die ganzen Zutaten kommen, lautet die verwunderte Frage. Das seien alles Spenden, antwortet Greil. Erst seit diesem Tag kann die VoKü ihre Lebensmittel bestellen. Die Rechnungen übernimmt jetzt eine Stiftung. In den Tagen davor wurde die Freiwilligen-Küche von Organisationen wie Food-Sharing oder namhaften Bäckereien versorgt. "Allein die Hofpfisterei hat uns 250 Laib Brot gespendet", sagt der 29-Jährige und wirkt erschöpft.

Gespenstisch ruhiger Zug aus Flüchtlingen

Rund zehn Helfer, zusätzlich zu den VoKü-Köchen, erledigen in der Küche alles, was anfällt: Schnippeln, putzen, abspülen. Eine konkrete Einweisung gibt es keine. Einfach machen, heißt die Devise. Die Stimmung ist geschäftig, aber gut. Kaum einer kennt den anderen, per Du sind sie trotzdem. Jung wie alt.

Wir sind noch mitten im Gemüseschneiden, da wird es auf dem Hof plötzlich laut. Die ersten Flüchtlinge kommen an. Unter dem verhaltenen Applaus und den "Welcome"-Rufen der Freiwilligen schleppen sich rund 100 Menschen in einem gespenstisch ruhigen Zug über den Hof in die große Halle, in der auch die medizinischen Checks gemacht werden. Man sieht ihnen die Erleichterung an, endlich angekommen zu sein und wenigstens für ein paar Stunden einen Platz zum Ausruhen zu haben.

Keine Zeit zum Nachdenken über die Schicksale und diejenigen, die es nicht auf diesen kargen Hof an der Donnersbergerbrücke geschafft haben, denn das Curry ist noch nicht fertig. Dafür gibt es noch Suppe von letzter Nacht. Helfer mit Einmalhandschuhen stehen in einer Schlange an der improvisierten Essensausgabe und tragen Plastikteller mit Suppe und Brot in die große Halle. "Allein, wenn man sieht, wie die Leute strahlen, wenn man ihnen ein warmes Essen anbietet", meint Greil und schüttelt mit einem traurigen Lächeln den Kopf. "Erst durch die ganzen ehrenamtlichen Helfer kommt hier ein wenig Menschlichkeit rein." Von behördlicher Seite sei keine Verpflegung eingeplant, erzählt er. Abgepackte Kekse und ein wenig Obst, das sei alles.

Aktuelle Lage: Helfer gesucht

Nach den Grenzkontrollen ist es in München ein wenig ruhiger geworden. Am Montag kamen kaum Flüchtlinge an, die VoKü-Köche konnten früh nach Hause gehen. Die anderen Not-Erstaufnahmen sollen nun sukzessive geschlossen werden. Die noch ankommenden Flüchtlinge werden direkt in die Richelstraße gebracht. "Heute waren schon 1000, 1500 Flüchtlinge da. Wir haben zwei große Töpfe produziert", erzählt Greil am Dienstag am Telefon. "Wir kochen weiter."

Die Volksküche sucht auch weiterhin Helfer. In einer Doodle-Liste können sich Freiwillige eintragen. Ein großes Vorwissen braucht man für die Arbeit in der Küche nicht. Nur ein paar zusätzliche helfende Hände.

Vanessa Fonth
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