"Wir sind ein bunter Haufen": Dynamo-Ultras im K-Block des Glücksgas-Stadions. Foto: dapd
Die Stimmung vor dem Derby ist aggressiv aufgeladen, der Vorplatz des Dresdner Rudolf-Harbig-Stadions, wo der Traditionsverein Dynamo spielt, heillos überfüllt. Eine Gruppe von etwa 150 Hooligans - in der Gewalttäterdatei Sport als Kategorie C registriert - durchbricht ein Zaunfeld und stürmt an den Ordnern vorbei ins Stadion. "In dieser Situation wurde mir klar, der Einsatz ist nicht zu halten", sagt ein Szenekundiger Beamter (SKB) der Dresdner Polizei. Im Stadion hängen brennende Schals des gegnerischen Klubs am Zaun. In der Halbzeit kommt es erneut zu Übergriffen gegen das Sicherheitspersonal. Während der zweiten 45 Minuten muss die brisante Partie zweimal unterbrochen werden, weil vom Dynamo-Fanblock Böller und Rauchbomben in den Innenraum fliegen.
Nach dem 0:0 gehen einige der 17.000 Zuschauer nicht nach Hause, stattdessen entlädt sich der Hass einer gesamten Fanszene. Nicht nur die bei der Polizei bekannten Hooligans, sondern auch sonst eher friedfertige Fans werden erfasst von einem panischen Gewaltexzess gegen die Polizei. Die ist wegen des Hochwassers, das gerade Dresden und Umgebung geflutet hat, sowie aufgrund einer Demonstration in Leipzig völlig unterbesetzt. Im großen Garten werden Reiterstaffeln angegriffen, rings um das Stadion werden einzelne Züge der Polizei zu Zielscheiben. Es fliegen Steine, Flaschen, Eisenstangen. Verkehrsschilder werden zu lebensgefährlichen Frisbeescheiben.
"Der Himmel über uns wurde fast schwarz vor Steinen, (...) dort hatten wir echt Todesangst", berichtet der Zivi-Polizist. Etwa eine Stunde lang tobte vor dem Stadion der Mob, dann drang nach einem Notruf der Einsatzleitung endlich Unterstützung durch. Die Bilanz des schrecklichen Wütens: 43 zum Teil schwer verletzte Beamte, Dutzende traumatisierte Einsatzkräfte und massive Sachschäden.
Zeitenwende: Hilferuf einer wütenden und alleingelassen FanszeneFast genau zehn Jahre liegen diese infernalischen und dramatischen Szenen rund um das Stadtduell zwischen Dresdner SC und Dynamo Dresden zurück. Unter anderem hat sie der Dynamo-Fan und Buchautor Veit Pätzug in seinem Buch über die Dynamo-Fanszene ( Schwarzer Hals, gelbe Zähne) dokumentiert. Für Verein, Polizei und nicht zuletzt die Fans ist dieser fürchterliche Gewaltausbruch am 1. September 2002 ein Wendepunkt. Zuvorderst war die schweren Randale freilich ein bis dato unvorstellbarer Gewaltakt, doch in gewisser Weise auch ein unbewusster Hilferuf einer hilflos wütenden Fanszene, die viel zu lange sich selbst überlassen wurde.
Ich war damals als Zuschauer im Stadion dabei, habe aber glücklicherweise schnell genug den Heimweg angetreten. Zehn Jahre später sitze ich mit Marek Lange im K-Block, wo traditionell die treuesten und euphorischsten Fans stehen, aber sich auch die gewaltbereiten Anhänger tummeln. Es ist der Freitag vor dem Zweitliga-Spiel gegen Aue, wieder ein Derby, wenn auch weitaus weniger emotional. Der Block ist leer, das Stadion im Abendlicht, eine fast bedächtige Stimmung. Hier, wo sonst während des Spiels im dichten Gedränge eine Lautstärke herrscht, die ihresgleichen in der Bundesliga sucht. Wir haben uns verabredet, um darüber zu sprechen, wie sich die Dresdner Fanszene seither entwickelt hat. Ich darf Lange einen Spieltag lang begleiten bei seiner Arbeit mit dem Dynamo-Anhang.
Langes Philosophie: "Kommunikation, Vertrauen, transparente Konsequenzen"Marek Lange ist derzeit der einzige Fanbeauftragte von Dynamo Dresden, studierter Wirtschaftsinformatiker, selbst Dynamofan seit Kindertagen. Lange stand einst selbst jahrelang in der Kurve, seit 2006 arbeitete er zunächst ehrenamtlich beim Fanprojekt mit. Seit Beginn dieses Jahres ist er hauptamtlich Fanbeauftragter bei der SGD. Er bezeichnet sich als Autodidakt mit Empathie, "bloßes Verwalten ist nicht ausreichend, um mit den Fans sinnvoll zu arbeiten". Marek Lange ist Vermittler, Organisator, Streitschlichter, Kumpel und Pädagoge - kein leichter Job bei einem Verein mit einer derart ambivalenten Fanszene, wie sie Dynamo Dresden hat. "Meine Philosophie auf vier Worte verknappt lautet: Kommunikation, Vertrauen, transparente Konsequenzen", sagt Lange.
Der 34-Jährige mit den kurzen Haaren hat den emotionalen Zugang zu aktiven Fans, die kein Spiel verpassen. Weil er früher selbst einer von ihnen war, im K-Block stand und die Ränge Stufe für Stufe nach unten wanderte, um endlich selbst mit den harten Jungs am Zaun zu stehen. Lange bezeichnet sich selbst als "eher pragmatischen Charakter, diese Sprache und dieses Verhalten kommt gut an bei den Fans im Block. Wenn es ein Problem gibt, versuche ich es sofort zu lösen". Der einstige Ultra ist von kräftiger, durchaus respekteinflößender Gestalt. Gut vorstellbar, dass ihm allein seine Präsenz Anerkennung verschafft.