Marvin Compper (Foto) sitzt vor dem Kabinen-Container auf dem Trainingsgelände von RB Leipzig an einem Imbisstisch. Noch ist das Herzstück der Leipziger Red Bull-Filiale ein Provisorium, die Profis müssen genau wie die etwa 200 Nachwuchskicker in einem Containerdorf duschen. Nebenan laufen die Bauarbeiten für das moderne Trainingszentrum am Leipziger Cottaweg auf Hochtouren. Genauso emsig wie an dem 30-Millionen Euro teuren Projekt gebaut wird, arbeitet das Team am einmaligen Durchmarsch von der Regionalliga in die Bundesliga. Seit zwei Monaten ist Marvin Compper nun Teil des derzeit am meisten polarisierenden Projekts im deutschen Fußball. Ullrich Kroemer sprach für Transfermarkt.de mit dem 29-Jährigen über Ziehvater Ralf Rangnick, den möglichen Durchmarsch in die Bundesliga, die Kritik an RB Leipzig und den Oktoberfestbesuch.
Transfermarkt.de: Marvin, auf den Teamfotos vom Oktoberfestbesuch sind Sie mitten in der RB-Trachtengruppe zu sehen. Sieht ganz so aus, als seien Sie nach wenigen Wochen bereits gut angekommen im Team.
Marvin Compper: Wer die Bereitschaft zeigt, sich zu integrieren, dem wird es hier sehr leicht gemacht. In diesem Team ist es nicht schwer, sich zurechtzufinden. Das ist eine ganz entspannte, lockere Truppe. Das Oktoberfest bietet eine schöne Möglichkeit, mal rauszukommen und was als Mannschaft zu unternehmen. Ich denke, wir wurden in München als gute Truppe wahrgenommen, die viel Spaß hatte.
Transfermarkt.de: Sie hätten sicher nichts dagegen, beim nächsten München-Besuch mit RB Leipzig gegen den FC Bayern auf dem Feld zu stehen - vielleicht schon im nächsten Jahr?
Compper: Das wäre ein Traum. Das würde bedeuten, dass wir das noch nie dagewesene möglich gemacht hätten, den Durchmarsch von der vierten Liga in die Bundesliga.
Transfermarkt.de: Spüren Sie den Drang, es den Leuten, die Sie als Profi mit mangelnder Einstellung abgestempelt haben, noch einmal auf der großen Bühne zu zeigen?
Compper: Selbstverständlich. Ich bin hierhergekommen, weil hier etwas Großes heranwächst, eine riesige Aufgabe, deren Teil ich sein möchte. Ich will zeigen, dass ich zu Recht bislang 168 Bundesligaspiele bestritten habe und dieses Niveau noch immer leisten kann. Die Mannschaft ist sehr jung, ich sehe mich in der Rolle, dem Team mit meiner Erfahrung Stabilität und Qualität zu verleihen. Je fitter ich werde, desto mehr sieht man auch die Qualitäten, mit denen ich der Mannschaft helfen kann.
+++ Hier geht's zu Marvin Comppers Karrierezahlen +++Transfermarkt.de: Klingt danach, als seien Sie auch als Führungsspieler mit Siegermentalität gefragt.
Compper: Ich habe in Italien meinen Siegeswillen noch weiter verbessert. Ich habe in Florenz in einer Mannschaft gespielt, die deutlich mehr gewonnen hat als verloren. Mein Hunger zu gewinnen, erfolgreich zu sein, ist vielleicht noch größer als 2013, als ich Deutschland verlassen habe. Vielleicht kann ich den ein oder anderen damit anstecken.
Transfermarkt.de: Ralf Rangnick sagte neulich, dass Sie noch lange nicht der alte Compper seien, der Sie zu Beginn in Hoffenheim waren.
Compper: Das hängt mit der Spielphilosophie zusammen. Die Art des Fußballs in Hoffenheim anfangs unter Rangnick und zum Ende meiner Zeit bei der TSG hat sich sehr unterschieden. In Italien habe ich noch einmal eine ganz andere Fußballkultur kennengelernt. Wir hatten in Florenz viel mehr Ballbesitz und haben versucht, den Gegner auszuspielen. Bei RB Leipzig wird jetzt eine weiterentwickelte Form des Fußballs aus Ralf Rangnicks Hoffenheimer Ära gespielt. Wir wollen die Gegner zu Fehlern zwingen und diese ausnutzen, indem wir blitzschnell in die Spitze spielen.
Transfermarkt.de: Können Sie das konkretisieren?
Compper: Extrem auffällig ist, dass unsere Mannschaft extrem fit ist und unglaublich viel läuft - mehr als wir damals in Hoffenheim gelaufen sind. Wir traben nicht übers Spielfeld, sondern sind sozusagen im Dauersprint. Die physische Komponente des Spiels ist einen Schritt weiter als damals. Zwar haben wir auch in Hoffenheim versucht, das Pressing aggressiv zu gestalten. Aber in Leipzig ist das noch intensiver und häufiger, so dass die Gegner gar keine Chance haben, überhaupt durchzuatmen. In dem Moment, in dem die Stürmer ansprinten, müssen die Abwehrspieler nachsprinten, um das Abwehrsystem kompakt zu halten. Die Intensität ist viel höher.
Transfermarkt.de: Bereuen Sie, sich in den vergangenen drei Jahren nicht in diesem System weiterentwickelt zu haben?
Compper: Es war wichtig für mich, andere Arten von Taktik und Fußballkultur kennenzulernen. Dennoch bin ich froh, hier in einem mir bekannten System zu spielen. Schon während meiner Ausbildung beim VfB Stuttgart ging das in diese Richtung. Es ist schön, zu dieser Spielweise zurückzukehren.
Transfermarkt.de: Wie wichtig ist Ralf Rangnick für Sie?
Compper: Er ist ein Ziehvater für mich. Er hat mir damals in Hoffenheim die Chance gegeben, ich habe sie genutzt. Wir haben dreieinhalb Jahre hervorragend zusammengearbeitet - daran hat er sich erinnert.
Transfermarkt.de: Laut Rangnick liegt ihr biologisches Alter erst bei 25, 26 Jahren. Ist das Veranlagung?
Compper: Ich war in meiner Karriere nie lange verletzt und hatte wenige Ausfallzeiten. Ich habe gelernt, Verletzungen vorzubeugen, präventiv zu arbeiten, indem ich beispielsweise immer wieder mit Stabilisations- und Kräftigungsübungen für den ganzen Körper mache. Mir haben auch die Wochen hier gut getan, in denen ich mit Athletiktrainer Tim Lobinger zusätzlich trainieren musste, um auf das Niveau der anderen zu kommen.
Transfermarkt.de: Weshalb war Ihre Fitness im Vergleich so schlecht?
Compper: Als ich kam, hatte ich erst drei Wochen Vorbereitung absolviert und noch kein Spiel mit Florenz in den Beinen. Meine Premiere gegen Erzgebirge Aue war mein erstes Fußballspiel seit einem halben Jahr, seit März hatte ich bei der Fiorentina nicht mehr gespielt. Aber ich spüre, mit jeder Minute in den Beinen wird das immer besser. Doch ich absolviere nach wie vor Extraschichten, um an den Defiziten zu arbeiten. Ich sehe mich bei 80, 90 Prozent meiner physischen Fitness.
Transfermarkt.de: Was fehlt Ihnen auf dem Spielfeld noch?
Compper: Automatismen, Instinkte, Aggressivität, physische Schnelligkeit, Handlungsschnelligkeit und Rhythmus müssen wieder geweckt werden. Die englische Woche mit drei Spielen in acht Tagen hat mir unheimlich gut getan.
Transfermarkt.de: Sind Sie froh, dass Sie durch die Verletzung Ihres Kollegen Niklas Hoheneder ins kalte Wasser geworfen wurden, oder wären Sie lieber fit und im Vollbesitz Ihrer Kräfte in die Mannschaft gerückt?
Compper: Alexander Zorniger hat sich mit mir zusammengesetzt und einen Zeitplan aufgestellt, nachdem ich eigentlich noch die Länderspielpause und einige Testspiele gebraucht hätte, um voll fit zu werden. Durch die Verletzung von Niklas wurde das beschleunigt. Das hat man am Anfang auch gesehen. Aber es ist leichter in den Rhythmus zu finden, wenn man Einsatzzeiten bekommt.
+++ Zu Comppers Transferhistorie +++Transfermarkt.de: Wie ähnlich sind sich die Projekte Hoffenheim und Leipzig?
Compper: Ich sehe einen Fußballklub nicht als Projekt, das man wie ein neues Trainingszentrum planen kann. Wir haben einen Plan, aber wir sind Spieler, wir müssen uns mit Gegnern auseinandersetzen. Was die Unterschiede betrifft: Hier in Leipzig haben wir beispielsweise eine sehr deutsche Mannschaft, damals in Hoffenheim waren wir eine sehr multikulturelle Truppe. Ähnlich ist: Scouting und Transferpolitik sind unter Ralf Rangnick damals wie heute unglaublich weitsichtig und gut.
Transfermarkt.de: Und sonst?
Compper: Mit der Stadt Leipzig und dem vollen Stadion im Rücken ist hier unglaublich viel Hunger zu spüren - mehr als damals in Hoffenheim. In Hoffenheim war das 6.000 Zuschauer fassende Dietmar-Hopp-Stadion in der 2.Liga anfangs noch nicht einmal ausverkauft. Hier kamen schon in der 3. Liga über 40.000 Zuschauer ins Stadion. Das hat eine ganz andere Dimension.
Transfermarkt.de: Was macht RB Leipzig im Vergleich zu Ihren anderen Stationen speziell?
Compper: Innerhalb des Klubs herrscht ein außergewöhnlich starker Zusammenhalt. Diese Ruhe innerhalb des Vereins braucht man, um erfolgreich zu arbeiten. Ich habe in Hoffenheim auch Unruhe erlebt. Die Leistungen in den Phasen, in denen es vereinsintern gestimmt hat, waren deutlich besser als die, in denen Unruhe herrschte.
Transfermarkt.de: Rücken Sie auch als Reaktion auf die harsche Kritik an RB Leipzig noch enger zusammen?
Compper: Ich denke schon, und wir tun auch gut daran, die Kritik für uns zu nutzen. Das hört zwar kein Kritiker gern: Aber das schweißt uns nur noch stärker zusammen und gibt uns Kraft. Wir konzentrieren uns auf unsere Leistung, das können wir beeinflussen. Alles andere liegt außerhalb unseres Zugriffs. Wir können die Menschen nicht zwingen uns zu mögen, wir können nur unsere Leistung bringen. Wenn man Leistung sprechen lässt, ist das die beste Antwort. Mir ist die Situation ja nicht unbekannt: Wir hatten auch in Hoffenheim ähnlich viel Gegenwind und Kritik.
Transfermarkt.de: Sie wollen Ihre Karriere am liebsten bei RB Leipzig beenden. Heißt das, dass bei Vertragsende 2017 Schluss ist?
Compper: Man wird sehen, wie sich alles entwickelt und wie mein biologisches Alter voranschreitet (lacht). Ich hoffe, dass ich noch über 2017 hinaus Fußball spielen kann und hier bleiben kann. Ich habe meinen Vereinen immer lange die Treue gehalten, in Gladbach und Hoffenheim war ich jeweils fünf Jahre. Ich bin keiner, der Jahr für Jahr seine Klubs wechselt.
Transfermarkt.de: Sie haben vor gut einem Jahr gesagt, dass Sie kein One-Hit-Wonder in der Nationalmannschaft sein wollen. Halten Sie eine Rückkehr nach sechs Jahren ohne Länderspiel tatsächlich für realistisch?
Compper: Klar ist es eher unwahrscheinlich, dass ich mit fast 30 da nochmal reinrutsche. Mein Ziel, ist mit RB Leipzig irgendwann in die Bundesliga zu kommen und hier den bestmöglichen Job zu machen. Wenn das am Ende noch einmal für eine Nominierung reicht, wäre ich überglücklich. Aber wichtiger für mich ist, dass ich hier in Leipzig die Rolle einnehme, die sich der Verein und ich von mir wünschen.
Interview: Ullrich Kroemer