Doch was ist eine angemessene Reaktion auf Vorwürfe wie "Ayşe, geh lieber putzen und spiel hier nicht Journalistin"? Anstatt sich der Opferrolle hinzugeben, haben die Betroffenen eine Art Selbsttherapie entwickelt: "Hate Poetry". Willkommen auf einem Poetry-Slam der etwas anderen Art.
"Kiyak, du türkische Waschfrau mit geringem Intelligenzquotienten, die für deine mohammedanischen Inzucht-Zeugung so typisch sind. Ab in die Heimat mit dir, du Hormonklumpen!"
So viel geballter Hass in nur so wenigen Worten, die Journalistin Mely Kiyak da vorträgt - trotzdem füllt Lachen den Raum. Wie passt das zusammen? Auf den ersten Blick gar nicht. Doch "Hate Poetry" macht sich genau diesen Hass fremdenfeindlicher Kommentare zunutze. Das Konzept der "Hate Poetry" findet Anklang. Jeder der vortragenden Journalisten hat seine eigene Daseinsberechtigung. Mely Kiyak beispielsweise ist nicht irgendeine Publizistin. Sie ist eine Journalistin mit kurdischen Eltern. Und das wissen ihre Leser mal mehr, mal weniger zu schätzen.
Für Kiyak und Kollegen heißt es daher seit drei Jahren:
"Wir schicken den Scheiß zurück in die Umlaufbahn".
Deniz Yücel, Journalist
So jedenfalls beschreibt es Kiyaks Kollege und deutsch-türkischer Journalist Deniz Yücel. Umso wichtiger war es dann, dass "Hate Poetry" mitte Dezember in Dresden stattfand. Einige Tage zuvor gingen 15.000 Menschen für Pegida demonstrieren. Ideengeberin und Organisatorin der "Hate Poetry" Ebru Taşdemir telefonierte halb Dresden ab, bis sie die Dresdner Scheune für sich gewinnen konnte. Zu ihrem Glück hatten auch fast alle "Hate Poetry"-Poeten Zeit, darunter Özlem Gezer und Hasnain Kazim vom Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", Özlem Topçu und Yassin Musharbarsh von der "Zeit", Deniz Yücel (taz) und Mely Kiyak.
"Kurz & schmutzig"
Zur "Hate Poetry" kamen mehr als 400 Menschen, obwohl man den Termin erst wenige Tage zuvor bekannt gegeben hatte. Taşdemir, freie taz-Autorin, moderierte mit ihrer taz-Kollegin Doris Akrap die "Hate Poetry". Vorgetragen aber haben die, die tagtäglich hunderte Hassbriefe erhalten. Etwa sechs Stunden hagelte es bitterbösen Hass.
Und nirgendwo sonst als auf der "Hate Poetry" trifft Hass auf eine Multi-Kulti-Gegenliebe: Eingebettet in eine Kulisse mit aufgereihten türkischen und deutschen Fahnen. Vom Rednerpodest schauen die Porträts Mesut Özils, Thilo Sarrazins und Tayyip Erdogans den Zuschauern ins Gesicht. Nicht fehlen darf der Sekt. Denn "Hate Poetry" ist Party, jeder Poetry-Abend ist anders - Inhalt und Besetzung wechseln. Das Einzige, was bleibt: Kategorien wie "kurz&schmutzig", "Abo&Kündigungen" und "Sehr geehrter Herr Arschloch, liebe Frau Fotze".Die Teilnehmer battlen sich, wer die meisten Beleidigungen seiner gesamten Karrierelaufbahn an den Kopf geschmissen bekommen hat. Den Gewinner bestimmt das Publikum - mit dem lautesten Applaus.
Bei Morddrohungen ist Schluss
Mitte des Monats schaltete das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" eine große Kampagne mit dem Claim "Keine Angst vor der Wahrheit" und einem Bild seines Korrespondenten Hasnain Kazim. Daneben der Satz: "Wenn wir dich auf der Straße sehen, schneiden wir dir die Kehle durch." Die Drohung soll aus einem Leserbrief an Kazim stammen. Kazim, eigentlich auch "Hate Poetry"-Poet, witzelte dieses Mal nicht auf der Bühne. Bei Morddrohungen ist Schluss. Denn auch Hass kommt mal an seine Grenzen.
Dennoch: Lachen ist die beste Medizin - gegen eine Krankheit namens Rassismus. Für ihren Humor wurden Ebru Taşdemir und die "Hate Poetry"-Gruppe belohnt. Sie erhielten an jenem Tag vom "medium"-Magazin den Sonderpreis "Journalisten des Jahres"
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