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Wenn Familien ihre Stadt in der Stadt bauen

Blick von oben auf die Townhouses am Friedrichswerder in Berlin-Mitte: Viele Familien ziehen jedoch auch Baugemeinschaften als interessante Alternative in Betracht - Foto: euroluftbild.de / Grahn

Foto: euroluftbild.de / Grahn

Treffpunkt Innenhof. Während draußen jenseits des Wohnhofs der Verkehr vorbeirauscht, haben die Kinder die ruhige Spielstraße im Inneren der kleinen Siedlung für sich. Denn zwischen den modernen Stadthäusern mit Dachterrasse erstreckt sich hier ein verkehrsberuhigter Hof mit Sandkasten, Bolzfläche und Bäumen.

Auf dem Gehweg drum herum können die Kleinen Bobbycar-Rennen veranstalten und die großen Mädchen ungestört auf ihren Inlinern kunstvolle Figuren ausprobieren. Wer dann genug hat, verzieht sich in den Garten zum Grillen mit den Eltern und nimmt vielleicht noch die Freundin von nebenan mit.

So wie hier an der Möckernschen Straße in Leipzig-Gohlis sieht es in vielen Quartieren aus, die von Baugruppen und Baugemeinschaften entwickelt werden. Neben offenen, meist begrünten Gemeinschaftsflächen findet man zwischen den Ein- oder Mehrfamilienhäusern viel Raum für Begegnungen, insbesondere für die Kids aus dem Kiez.

Denn gerade für Familien ist das gemeinsame Bauen und Wohnen eine attraktive Alternative zum Townhouse mit Garten oder zum anonymen Fertighaus in der Neubausiedlung - nicht nur finanziell, sondern auch architektonisch und sozial.

Das gilt auch für das Wohnquartier "Altkönigblick" im neuen Frankfurter Stadtteil Riedberg. Hier stehen vor allem Bauträgerprojekte von der Stange. Dagegen stechen die neun gemeinschaftlich gebauten Reihenhäuser mit ihrer roten Fassade und den großzügigen Innenräumen deutlich hervor.

Nach dem Motto "Vielfalt in der Einheit" ist es den Architekten mit einem modernen Baukastenkonzept gelungen, einerseits nach außen ein einheitliches Bild zu erzeugen, während hinter den übergroßen, dreifach verglasten Fenstern eine sehr individuelle Raumaufteilung möglich ist.

Kinder können von Haus zu Haus klettern

Eine Besonderheit sind die Dachterrassen, die im engen Nebeneinander Rückzugsgebiete, aber auch Verbindungsglieder sind. Denn die Kinder der Baugruppe haben entdeckt, dass sie über die Terrassen von Haus zu Haus klettern können. Überhaupt sind sie die Gewinner im Quartier. Die 21 Kinder eroberten ihr neues Zuhause sofort - ihre Eltern konnten sich hingegen lange nicht über Carports oder das Müllhaus einigen.

Diese Art Diskussion sei nicht ungewöhnlich für gemeinschaftliche Bauprojekte und könne sogar zu handfesten Streitereien unter den Beteiligten führen, meint Theo Peter, Leiter des auf Baugruppen spezialisierten Netzwerks Bauzeit. Neben guten Architekten, Energieplanern und Gutachtern sei daher auch ein professioneller Moderator ratsam, der die Gruppendynamik in die richtige Richtung steuert.

"Wir arbeiten daher so, dass wir für ein bestimmtes Projekt Baufamilien suchen und sie dann in vielen Einzelgesprächen auf das Gemeinsame, auf bestimmte Werte der Nachhaltigkeit und Gemeinschaft einschwören, bevor es losgeht, damit alle Beteiligten das Konzept auch voll mittragen und sich keiner später beim Sommerfest über sein Haus oder seine Nachbarn beklagt", sagt Peter. "Die Bilder sind so schon vorher klar formuliert, und wir können ganz früh mit der Steuerung beginnen. Denn die allermeisten Bauherren sind in Bezug auf das Bauen Laien."

In seinem bei der DVA erschienenen Buch "Miteinander bauen" zeigt Peter zusammen mit dem Architekturexperten Christoph Gunßer 18 Beispiele moderner Baugruppenarchitektur. Darunter eine Siedlung aus Einzel- und Doppelhäusern in Konstanz, die Architekt Ingo Bucher-Beholz als filigrane Holz-Glas-Stahl-Konstruktionen auf eine Streuobstwiese platziert hat. Details wie der alte Baumbestand, die großen Fensterfronten oder die auf Lücke gesetzten Häuser erzeugen für die 13 Familien Wohnqualität.

Im Austausch für einen freien Blick auf den Bodensee und den Säntis unterwerfen sich die Bauherren aber dem Diktat der Planer und richten sich in der Gartengestaltung nach dem gemeinsamen Pflanzenkatalog. Das sei ein Beispiel dafür, wie sich der Einzelne zugunsten eines einheitlichen Bildes und der Gemeinschaft zurücknimmt, wie Peter meint. Nur so sei hohe Wohn- und Aufenthaltsqualität zu erzielen.

Es ist aber auch ein Beispiel dafür, wie sich der Markt für Baugruppen professionalisiert hat. Während die Anfänge des gemeinschaftlichen Bauens auf die Hausbesetzerszene der 70er- und 80er-Jahre zurückgeht, ist die Idee mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Vorbei die Zeit, da sich nur Alternative und Ökos zusammentaten, um für möglichst wenig Geld auf stadtnahen Grundstücken in Eigenarbeit ein gemeinsames Zuhause mit Garten zu schaffen oder heruntergekommene Altbauten per demokratischer Abstimmung familiengerecht zu sanieren.

Heute übernehmen Architekten, Baugutachter, Juristen und Moderatoren die Führung und suchen sich Bauwillige für ihre vorgeplanten Projekte. Und so findet man auch da Baugruppen, wo man sie nicht vermuten würde, etwa in München-Schwabing, unweit des Olympiaparks.

Hier wurden 2006 neun Solarreihenhäuser für rund 500.000 Euro pro Einheit fertiggestellt. Zu den Bauherren zählen eine Kinderärztin, ein Musiker, ein Rechtsanwalt und ein Architekt, zusammengesucht von Theo Peter und seinem Team. Obwohl die Parteien sich vorher nicht kannten, sei hier eine gute Nachbarschaft entstanden, wie Buchautor Peter bestätigt.

Bewohner machen ihren Einfluss geltend

"Wer sich für ein Projekt wie dieses entscheidet, gehört zu den Menschen, die sich Gedanken machen, was mit ihrem Geld passiert. Sie überlegen sich, wo und wie sie investieren wollen", sagt er. "Es geht dabei nicht nur um umweltbewusstes Bauen, sondern auch um eine hohe Lebensqualität und gelebte Nachbarschaft. Man kauft nicht einfach, sondern beteiligt sich."

Dass heute bei allen Bekenntnissen zur ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit bei Baugruppen dennoch eher Pragmatismus statt Idealismus vorherrscht, bestätigt auch Projektentwickler Ulf Maaßen. "Man weiß, was man für sein Geld bekommt", sagt er.

"Im Unterschied zu Häusern von Bauträgern kosten Häuser von Baugruppen vielleicht genauso viel, aber dafür sind sie architektonisch interessanter und moderner, nachhaltiger und energieeffizienter." Das gelte nicht nur für Reihen- und Einfamilienhäuser in suburbanen Siedlungen, sondern auch für Mehrfamilienhäuser im Innenstadtbereich. Man erkennt ihre Häuser meist schon von außen: mehr Holz, größere Fenster, großzügige Balkone und modernere Fassaden. Aber auch Maaßen betont, dass den Baufamilien das Zusammenleben mit ihren Nachbarn wichtig ist.

"Über die Entwicklung des gemeinsamen Projekts entsteht eine Nachbarschaft, die zusammen in das neue Quartier einzieht. Man kennt sich dann schon", so Maaßen. Egal aber, ob Baugruppe oder Baugemeinschaft, ob moderiert oder nicht, klar ist, dass die einzelnen Parteien Einfluss auf die Gestaltung ihrer Häuser und ihrer direkten Nachbarschaft haben wollen. Sie sind damit Teil einer Bewegung.

"Noch stellen sie eine Minderheit dar, aber immer mehr Menschen fordern eine Demokratisierung der Stadt, ein Recht auf Mitbestimmung und Mitgestaltung", so Michael LaFond, Leiter des Instituts für kreative Nachhaltigkeit. In diesem Zusammenhang betrachtet er Baugemeinschaften auch als Feldlabore der nachhaltigen Stadt, die sich im Zeichen des demografischen Wandels und der Ressourcenknappheit den Herausforderungen stellen.

"Man rückt mit seinen Nachbarn zusammen, bildet Wahlfamilien und persönliche Netzwerke, um so der Entfremdung entgegenzuwirken", meint LaFond. Durch das gemeinsame Bauen entstehen nicht nur architektonisch, sondern auch sozial Vorbilder zum Nachahmen, Dörfer innerhalb der Stadt. Nicht umsonst bezeichnet Theo Peter Baugemeinschaften daher auch als Pioniere für eine zukunftsfähige Gesellschaft, in der Menschen stärker miteinander kommunizieren und bewusster mit Ressourcen umgehen.

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