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Halbe Stelle, voller Einsatz

Erfolgreich im Tandem. Nicole Dorazil (links) und Tanja Niebert teilen sich bei T-Systems eine Teamleiterstelle. Eine von beiden ist für die Kollegen immer - Foto: Fotograf: Norbert Ittermann

Tong-Jin Smith

Was für viele Beschäftigte undenkbar wäre, ist für Janice Kwiatkowski ganz normal. Die Berlinerin leitet die Abteilung Technische Beratung und Support beim Softwarehersteller Projektron - in Teilzeit. „Ich arbeite 25 Stunden pro Woche und komme meist an fünf Tagen für fünf Stunden ins Büro", erzählt sie. „Aber ich kann auch im Home Office arbeiten und abends oder am Wochenende E-Mails beantworten". Ihre Kollegin Patricia Rezic, verantwortlich für Personal und Controlling, hat sich für eine Vier-Tage-Woche mit je sechs Arbeitsstunden entschieden, weil es besser zu ihren familiären Bedürfnissen passt.

Flexible Arbeitszeiten und individuelle Teilzeitmodelle sind bei Projektron selbstverständlich - und einer der Gründe, warum das Unternehmen jetzt im Rahmen des Wettbewerbs Great Place to Work als „Bester Arbeitgeber in Berlin-Brandenburg" ausgezeichnet wurde.

„Wir reden gar nicht groß darüber. 46 Prozent unserer Mitarbeiter haben Teilzeitstellen, 47 Prozent davon sind Männer", sagt Rezic - und wundert sich über Unternehmen, die noch immer nicht erkannt haben, wie wichtig eine gesunde Work-Life-Balance ist.

Fast 20 Prozent der Männer und Frauen in Führungspositionen wünschen sich laut einer Umfrage der Unternehmensberatung Fauth-Herkner & Partner eine Karriere in Teilzeit. Doch noch ist das wenig verbreitet. Die Beschäftigten selbst sorgen sich um die Erreichbarkeit für Kunden und Mitarbeiter oder haben Angst vor dem Karriereknick. Und auf Unternehmensseite werden lange Arbeitszeiten oft immer noch als Indiz für Engagement, Loyalität und Erfolg missverstanden. Dabei sind bis zu 60 Wochenarbeitsstunden und Erreichbarkeit rund um die Uhr nicht unbedingt zuträglich für Kreativität und Motivation - im Gegenteil. Untersuchungen zeigen, dass das Modell „Führen in Teilzeit" die Produktivität eines Unternehmens um bis zu 15 Prozent steigern kann. Beschäftigte, die den Schritt gewagt haben, fühlen sich von ihrem Umfeld meist voll akzeptiert und auf breiter Ebene unterstützt. Mehr als 90 Prozent würden sich wieder dafür entscheiden.

Unter ihnen sind auch Nicole Dorazil und Tanja Niebert. Die beiden Frauen teilen sich seit Juni 2012 bei T-Systems, dem IT-Bereich der Telekom, eine Teamleiterstelle im Bereich Customer Solutions. Ihr Tandem-Modell empfinden beide in mehrfacher Hinsicht als Bereicherung. „Wir arbeiten insgesamt 50 Wochenstunden. Das passt für uns beide von der privaten Planung her sehr gut", sagt Tanja Niebert. Dabei wurden Aufgaben und Mitarbeiter nicht grundsätzlich aufgeteilt. Beide Frauen stimmen sich ab, wer an welchem Tag da ist und wie die Themen erledigt werden.

„In kniffligen Fällen ist es besonders schön, dass man sich beraten kann - etwas, das man mit Mitarbeitern oder Vorgesetzten nicht unbedingt tun würde", sagt Niebert. Außerdem gebe es Synergieeffekte und man arbeite effizienter als eine einzelne Führungskraft.

Beide Frauen ergänzen sich nicht nur in ihren fachlichen Qualifikationen, sondern haben auch ein gemeinsames Verständnis von guter Führung. Kurzum: Die Chemie stimmt. „Das ist die Grundvoraussetzung, damit es klappt", sagt Nicole Dorazil, die sich von außerhalb der Telekom auf den Tandem-Job beworben hat, während Tanja Niebert bereits seit 2001 im Unternehmen ist.

Nach außen tritt das Duo als Einheit auf und wird von Mitarbeitern und Vorgesetzten auch so wahrgenommen. „Die Kollegen können sich immer an uns beide wenden und müssen nicht in einen Plan schauen, wer gerade im Dienst ist", so Dorazil. „So gibt es immer einen Ansprechpartner, egal, wer von uns gerade da ist."

Die Chefs im Tandem - ein Beispiel, das Schule machen könnte? Durchaus, meint Jana Schimke, Referentin für Personalpolitik im Arbeitgeberverband BDA. „Gerade in Führungspositionen sind Job-Sharing und Home Office interessante Modelle, um qualifizierte Mitarbeiter im Unternehmen zu halten, die sonst vielleicht weggehen würden". Betriebe müssten die Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf von oben leben. „Viele Führungskräfte sind ohnehin mobil und nicht immer im Büro greifbar, teilweise arbeiten sie sogar von Zuhause."

Doch obwohl immer mehr Väter in Elternzeit gehen, reduzieren bisher vor allem Frauen ihre Arbeitszeit. „Das kann sich ändern, je nachdem, wie sich Paare die Familienbetreuung aufteilen", ist Schimke überzeugt. Und so entscheiden sich in Unternehmen wie PWC, Siemens oder Danone zunehmend auch Männer in Führungspositionen für Teilzeit. Beim Technologieunternehmen Bosch hat das Modell bereits eine lange Tradition - für beide Geschlechter und auf allen Ebenen. Nahezu alle Stellen werden sowohl in Voll- als auch in Teilzeit ausgeschrieben. In der Personalentwicklung sind die Chancen im Rahmen von Förderkreisen für alle gleich. Und Frauen, die in Mutterschutz gehen, sprechen mit ihren Chefs vorher ab, wie sie sich die Rückkehr nach der Geburt vorstellen.

„Wir beobachten aber, dass der Wunsch nach Teilzeit zugunsten einer Flexibilisierung der Arbeitszeit abnimmt", sagt Heidi Stock, die bei Bosch die Abteilung Mitarbeiterentwicklung und -vielfalt leitet - mit einer 80-Prozent-Stelle. „Vor allem jüngere Männer fragen danach." Die Flexibilisierung sei eine zusätzliche Dimension, die dazu beiträgt, die Arbeitskultur in Richtung mehr Familienfreundlichkeit und guter Work-Life-Balance zu verändern. Das leben bei Bosch auch Führungskräfte vor: Rund 500 Manager testen in diesem Jahr weltweit verschiedene flexible Arbeitszeitmodelle. An bestimmten Tagen gehen sie etwa früher, um Zeit mit der Familie verbringen zu können oder arbeiten von Zuause.

Damit das auch anderswo klappt, müssen beide Seiten Mut beweisen: Die Beschäftigten, die verstehen müssen, dass eine Reduzierung der Arbeitszeit nicht zwangsläufig das Ende aller Ambitionen bedeutet. Und die Betriebe, die guten Leuten zutrauen sollten, auch auf 50-Prozent-Stellen hundert Prozent zu geben.

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