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Nehmen Sie sich etwas Urlaub mit ins Wohnzimmer

Der Sessel Diz von Sergio Rodrigues ist einfach ein Hingucker. Das Holzmöbel mit der tiefen Sitzfläche wirkt wie eine elegante Skulptur mit weichen Kurven und organischen Linien. Anatomisch geformt, ist Diz einer der lässigsten und zugleich sinnlichsten Lounge-Chairs.

Entdecken kann man ein Exemplar seiner Art im Foyer des "Hotel Santa Teresa" im kulturellen Herzen von Rio de Janeiro. Seitdem hat er einen exponierten Platz im heimischen Wohnzimmer und erinnert an den besonderen Geruch dieses Hotels, das das ehemalige Herrenhaus einer Kaffeeplantage mit Leben füllt.

Wenn man die Gedanken schweifen lässt, kann man sich auch an den Tag im Spa und an die exotische Paranussanwendung erinnern, die zu den Markenzeichen dieses Getaways gehört.

Möbel-Reminiszenzen an den Urlaubsort, seien sie direkt von dort mitgebracht oder zu Hause nachgekauft, haben einen lang anhaltenden Effekt, viel aufgeladener als Urlaubsbilder, die in der Schublade vor sich hindämmern.

Die Wohnung als exotisches Sammelsurium

Das Ölbild aus Bali an der Wand, der Hocker aus Marrakesch in der Ecke - sie sind Tag für Tag im Blickfeld und erinnern an gute Zeiten.

Wer viel reist, läuft jedoch Gefahr, seine Wohnung in ein exotisches Sammelsurium zu verwandeln. Vor der Kisuaheli-Ecke liegen dann zwei Perser, daneben die Buddha-Büste aus Thailand. Ein Blick auf die schönsten unter den Hotels hilft, solche Stil-Unfälle zu vermeiden.

Wie beispielsweise das Schlafzimmer rund um ein handgeschnitztes Bett mit weißem Musselinhimmel auszusehen hat, lässt sich gut nachvollziehen im großformatigen Doppelband "100 Getaways" von Margit J. Mayer - eine Stilbibel für alle, die es nicht lassen können, ein Stück Urlaubsparadies mit nach Hause zu schleppen. Man kann, muss aber nicht unbedingt selbst hinfahren.

Innovative Hotels wie beispielsweise das "El Cosmico" im texanischen Marfa, das aus alten Wohnwagen besteht, zeigen, wie es geht. Teils vintage, teils modern, bringt dieses Kreativlabor mit Amphitheater verschiedene Stilrichtungen zusammen, ohne überladen zu wirken.

"Stimmigkeit in Lage, Einrichtung und Küche"

Wer hingegen klare Linien und eine harmonische Verbindung von Architektur und Interieur sucht, kann im "Juvet Landskapshotell" in den Wäldern Norwegens, das vor allem vom Blick in die schroffen Berge und über den tiefblauen Geirangerfjord geprägt ist, fündig werden. Typisch skandinavisch eben.

"Was diese Orte für gelungene Ferien verbindet und für uns zu Weltstars ihrer Kategorie macht, ist ihre Stimmigkeit in geografischer Lage, Einrichtung und Küche", schreibt Mayer.

Und so findet man in ihrer Liste restaurierte Kolonialhäuser und Schlösser, Designikonen des 20. Jahrhunderts, schlichte Bergpensionen und ehemalige Karawansereien, die heute Luxushotels mit Pools, Spas und Wellnessbereichen oder begehrte Geheimtipps sind.

Doch warum sollte diese Stimmigkeit nur für Getaways gelten? Wer Mayers Sammlung richtig nutzt, oder sogar einige der magischen Orte selbst aufsucht, hat zugleich Inspiration und Anleitung für zu Hause - besser als jeder Möbelkatalog.

Der Weg zu gekonntem Kolonialstil

In vielen deutschen Wohnzimmern versucht man sich auch am "Kolonialstil". Wie so etwas in vollendeter Form aussieht, lernt man aber erst im "Ananda in the Himalayas". Eine Woche mit Ayurveda, Yoga und Meditation auf dem ehemaligen Anwesen eines indischen Maharadschas, und man kann Original von Fälschung unterscheiden.

Die royale Ausstattung mit britischem Flair ist in die warmen, natürlichen Farben der indischen Bergwelt getaucht. Bilder an der Wand sind konsequent mit goldenen Rahmen versehen. Die afrikanische Variante lernt man auf einer Botswana-Reise ins "Zarafa Camp" kennen, wo man sich im Licht der untergehenden Sonne in einer Kupferbadewanne den Staub der Savanne vom Leib wäscht, bevor es zum Abendessen auf die Holzterrasse am Wasserloch der Zibadianja-Lagune geht - ein echtes Safari-Abenteuer.

Sich zur Erinnerung an diesen besonderen Urlaub ein paar ausgewählte Stücke robuster Campaign Furniture, wie man sie aus alten britischen Filmen kennt, mit nach Hause zu nehmen, liegt da nahe.

Und der Brasilienreisende, der sich auf der Suche nach Entspannung für eine Weile bei Maria Alice Solimene in ihrem kleinen Resort "Vila Naiá" einnistet, findet am Rande des Nationalparks Monte Pascoal die Verbindung von Design und Natur.

Ruhe und Gelassenheit zum Mitnehmen

Die Einfachheit und Klarheit der Einrichtung erzeugen eine Ruhe und Gelassenheit, die man sich in den Koffer packen möchte, um sie zu Hause als Wohnungsumgestaltung wieder auszupacken. Etwa mit sechs neuen Eames Plastic Side Chairs in verschiedenen Farben fürs Esszimmer kombiniert mit einem Eiermann-Tisch. Klassisch, zeitlos und genau deshalb so modern.

Schlichtes Design mit etwas Shabby-Chic und Mut zu recht kräftigen Farben findet man hingegen auf Capri im kleinen Hoteljuwel "Capri Suite", in dem es genau zwei Vorlagen zum Nachahmen gibt. Denn lediglich zwei Suiten stehen hier den Gästen zur Verfügung: der Yellow Room und der Blue Room.

"Beide eint die überaus gelungene Einrichtung, in der uralte Reste der ursprünglichen Wandbemalung und moderne Designklassiker zusammengebracht wurden und sonnige Farben für das typische Capri-Gefühl sorgen", so Margit J. Mayer über das Haus in der Altstadt von Anacapri.

Ob Shabby-Chic, Flohmarkt-Style oder Vintage, der Gebraucht-Look ist einer der stärksten Einrichtungstrends unserer Zeit. Heute ist es cool, Dingen ein zweites Leben zu geben, um sie zu erhalten - als Kontrast zur Wegwerfgesellschaft. Wobei die Kunst darin besteht, Einzelstücke zu finden, die zum persönlichen Einrichtungsstil passen, und sie dann gekonnt in Szene zu setzen.

Besonderer Charme, familiäre Wärme

Genau dafür finden sich jede Menge Inspirationen unter den Häusern in "100 Getaways". Für ein Vintage-Interieur etwa lohnt sich ein Besuch der "Casa Zinc" in Punta del Este in Uruguay, wo aus dem ehemaligen Showroom eines kreativen Antiquitätenhändlers ein liebenswertes kleines Hotel mit sechs sehr individuellen Gästezimmern geworden ist.

Alte Bücherregale und Lampen, von denen die Farbe abgeblättert ist, Tische und Stühle mit sichtbaren Gebrauchsspuren verleihen diesem Haus einen besonderen Charme und eine familiäre Wärme, die durch den lässigen Hotelbetrieb komplementiert wird. "Die sympathische Mischung aus exklusiv und ungezwungen hat das Hotel zu einem der hippsten Plätze Uruguays gemacht, nur wenige Minuten vom quirligen Strand von Punta del Este entfernt - und doch irgendwie ganz woanders", sagt Mayer.

Dieses Flair kann man auch in der eigenen Wohnung mit Fundstücken vom Flohmarkt oder von Omas Dachboden reproduzieren. Dabei ist es eine Frage des persönlichen Geschmacks, ob man die Möbel im Originalzustand belässt oder sie aufarbeiten lässt. Patina ist aber in jedem Fall ein Muss.

Ein anderer starker Wohntrend, der sogenannte Global Style, der lokales mit internationalem Design vereint, Tradition mit Moderne, findet sich im Hotel "Nord-Pinus" im multikulturellen Tanger. Hier hat Anne Igou gekonnt eine Vorlage zum Nachahmen entworfen: "Antike und Modernes, Marokkanisches und Indisches, buntes Glas und Schwarz-Weiß-Fotos von Peter Lindbergh", wie Mayer es beschreibt.

Ein Abend mit einem guten Buch auf dem Schoß

Und auf der weitläufigen Hotelterrasse lädt der Blick übers Wasser ein, in den filigranen, zeitlosen Göteborg-Sesseln, die Erik Gunnar Asplund 1938 entwarf und Cassina heute wieder aufgelegt hat, den Abend mit einem guten Buch auf dem Schoß zu verbringen.

Fans des Mondänen und Opulenten können sich vom Interieur des "Four Seasons Hotel Firenze" inspirieren lassen. Das 2008 eröffnete Haus, das aus dem restaurierten Palazzo della Gherardesca und dem benachbarten Kloster besteht, entführt seine Gäste in die florentinische Renaissance. Prachtvolle Kronleuchter, antike Fresken und dazu passendes Mobiliar bilden einen deutlichen Kontrast zur Hektik der Moderne.

Ein altes Kloster als begehbare Stilfibel

Oder man reist nach Cuzco, in die ehemalige Inka-Hauptstadt. Hier bietet das "Hotel Monasterio", ein 1592 erbautes Kloster im Zentrum der Stadt, einerseits den idealen Ausgangspunkt für Entdeckungsreisen nach Machu Picchu und zu anderen Sehenswürdigkeiten in den peruanischen Anden, andererseits gleicht es einer begehbaren Stilfibel.

Margit J. Mayer nennt das Hotel nicht umsonst das schönste bewohnbare Museum Perus. Wertvolle Antiquitäten, Spiegel, Teppiche und Gemälde heißen die Gäste im einstigen Kloster willkommen und regen dazu an, das heimische Interieur zu überdenken - oder wenigsten davon zu träumen.

Aber Getaways bieten nicht nur Einrichtungsideen, sondern halten auch architektonische Inspirationen bereit. So wie das "Treehotel" im schwedischen Harads, wo sich fünf skandinavische Architekten sechs Meter über dem Boden ausgetobt haben. Ein schonender Umgang mit der Umwelt war für sie ebenso wichtig wie der einmalige Blick durch und über die Wälder. Vielleicht eine Idee für das Gartenhaus der anderen Art?

Die perfekte Alternative zum Wintergarten zeigt übrigens das "Ace Hotel" in Palm Springs. Hier wurden Fenster wie Garagentore eingebaut. Ein Knopfdruck, und das Wohnzimmer wird zu einer überdachten Terrasse.

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