3 Abos und 1 Abonnent
Artikel

Kunstwerke sind mehr als ein reines Investment

Das Model Daria Werbowy mit George Condo vor dessen Werk "Young girl with blue dress" Foto: Mario Testino

Mario Testino ist ein wahres Weltenkind. Aufgewachsen ist er in Lima, zur Fotografie fand er in London. Aber seinen Sinn für Design und Ästhetik erwarb er sich bei den Partys, die er in seiner Jugend mit Freunden in den Villen der Besserverdienenden von Lima feierte. Hier entdeckte er den opulenten, typisch peruanischen Wohnstil: einen Mix aus historischen Gemälden, naiver Andenkunst, Silbertellern im Kolonialstil, dunklen spanischen Möbeln und eleganten Entwürfen des 20. Jahrhunderts.

Seine ersten Wohnungen in Europa waren Farbexperimente. Testino bekämpfte das graue Wetter mit knallbunten Interieurs, die seine Freunde zum Lachen brachten. Sein Stil war geprägt von wilden Mustern und einem Mix aus moderner Kunst und farbenfrohen Fotos, die er von einer Indienreise mitgebracht hatte. "Barock" sei das gewesen, sagte Testino 2012 in einem Interview.

Drei Jahrzehnte nachdem er Lima in Richtung London verlassen hatte, wollte Mario Testino dann endlich ein Haus in seiner Geburtsstadt kaufen und zu seinen Wurzeln zurückkehren. Aber das Schicksal kam dazwischen und führte den bekannten Modefotografen stattdessen zu einem Anwesen in den Bergen über Hollywood.

Das Haus im mexikanischen Stil, das in den 30er-Jahren gebaut wurde, beeindruckte ihn durch einen weiten, majestätischen Blick über Los Angeles und die zahlreichen Bougainvilleen und Eukalyptusbäume im Garten. Testino verliebte sich sofort in das steinerne Anwesen. "Es sah aus wie ein peruanisches Haus", erzählt er. "Ich liebte seine Energie vom ersten Augenblick an, da ich das Haus betrat."

"Mehr als nur ein visueller Werkzeugkasten"

Ein Jahr lang dauerten die Renovierungsarbeiten. Testino ließ sich dabei den kreativen Prozess nicht aus der Hand nehmen. Er verbannte alle Fiestafarben und veränderte die Raumaufteilung, um möglichst viel Licht ins Haus zu bringen. Vom Eingang aus blickt man heute direkt durch ein Fenster wie auf ein Gemälde, und das Wohnzimmer mit seiner großzügigen Fensterfront ist von oben bis unten mit Kunst gefüllt.

Die eleganten dunklen Möbel auf den marokkanischen Teppichen in satten Erdtönen sind ebenso perfekt inszeniert wie die peruanischen Keramiken und die von den Inka inspirierten Skulpturen des Künstlers Juan Javier Salazar. An den Wänden hängen Werke aus Testinos umfangreicher Sammlung. Darunter auch Bilder von Friedrich Kunath und Walead Beshty.

Testino sammelt seit über 30 Jahren moderne Kunst. Sich mit den Fotografien von Größen wie Helmut Newton, Herb Ritts und Cecil Beaton oder Gemälden von zeitgenössischen Künstlern wie Nigel Cooke, Katy Moran, Tauba Auerbach oder Ged Quinn zu umgeben, inspiriert den Fotografen und fordert ihn in seiner Arbeit mit Models und Prominenten heraus.

Was nicht ins Haus oder eine seiner Wohnungen in London oder New York passt, zeigt er in öffentlichen Ausstellungen wie diesen Sommer in der Pinacoteca Agnelli in Turin. "Meine Sammlung ist heute weit mehr als nur ein visueller Werkzeugkasten", sagte Testino anlässlich der Ausstellungseröffnung im Mai. "Sie diktiert eine Geschichte, folgt meiner Laufbahn durch die Kunst, wie sich mein Blick verändert und wie sich mein Geschmack entwickelt hat. Die Idee des Wandels lässt mich aufblühen."

Sammlungen beschränken sich nicht nur auf Bilder

Damit befindet sich Testino, der als wegweisender Sammler gilt, in guter Gesellschaft. Antiquitätenhändler, Galeristen, Architekten und Designer wie Joel Chen, Patrick Seguin, Mady Jourdan, Jonathan Adler, Alexander Stütz, Karim Rashid oder Marcel Wanders umgeben sich ebenfalls in ihren eigenen vier Wänden mit Kunst, die mal perfekt inszeniert, mal wie zufällig zusammengewürfelt wirkt.

Wobei sich ihre Sammlungen nicht auf Bilder und Skulpturen beschränken, vielmehr sind auch die Möbel und anderen Alltagsgegenstände Sammlerstücke oder exotische Unikate. Aber als Geldanlage würden sie ihre beeindruckenden Sammlungen wohl kaum bezeichnen. Es geht viel mehr um das Erlebnis, die Inspiration und die Ästhetik - um den ganz persönlichen Stil.

Dabei muss man kein Innenarchitekt oder Galerist sein, um ein Gespür für Kunst und ihre Wirkung im Raum zu entwickeln. "Ich bin nicht wirklich geschult in der Geschichte von Kunst oder von Möbeln", gibt Testino in einem Interview zu. "Mein Blick funktioniert einfach über Proportion. Ich reagiere intuitiv."

Sein Sinn für Ästhetik und seine Liebe zu peruanischer Kunst prägen das Decor in seinem Hollywood-Haus. Die Mischung der Kunstwerke, der erdig-natürlichen Grundfarben und die warme kalifornische Sonne, die ins Haus dringt, erzeugen dabei ein wohnliches und dennoch erhabenes Gefühl.

Ein "Work in Progress" ist viel spannender

Und genau darum geht es, wenn man mit Kunst lebt - egal ob es fremde, gesammelte Werke sind oder die eigenen. So wie im Fall des Fine-Art-Fotografen Kim Taylor Reece, der im Erdgeschoss seines Wohnhauses seine großformatigen Bilder und Bücher in einer eignen Galerie verkauft. "Wenn die Galerie geschlossen ist, ist das hier unser zweites Wohnzimmer", sagt Reece, der mit seiner Frau in einem kleinen Ort an der Nordküste der hawaiianischen Insel Oahu lebt.

Der hohe Raum mit seinen deckenhohen Fenstern gibt den Blick frei auf den Pazifik und den Strand, an dem viele von Reece' Fotos entstehen. "Fast wie bei Monet und seinem Haus in Giverny", lacht er. Und wie in Giverny kann der Betrachter hier Inspiration und Ergebnis nahezu mit einem Blick erfassen - mit dem Unterschied, dass Reece seine Arbeiten konstant erweitert und sich die Bilder an den Wänden immer wieder ändern.

Ob nun alles seinen festen Platz hat oder hin und wieder Veränderungen anstehen, für das Leben mit Kunst ist entscheidend, dass man sich mit dem umgibt, was einem gefällt. "Dabei ist es nicht wichtig, ob die Kunstwerke teuer sind oder nicht", wie Designerin Jayne Pelosi findet. Und es sei auch nicht wichtig, dass von Anfang an die Kollektion komplett ist, bevor man sie ausstellt.

Ein "Work in Progress" ist viel spannender. Auch bei der Präsentation könne man ruhig Mut beweisen. "Fast jede Art von Rahmung und Oberfläche kann wunderbar nebeneinander koexistieren, inklusive Rahmen aus altem Messing und geschmiedetem oder bearbeitetem Eisen, bemalte Keramik- und bunte Mosaikrahmen. Stellen Sie eine Vielfalt an Rahmen und Oberflächen zusammen auf einer Fläche aus und kreieren Sie so einen einmaligen Mix", rät Pelosi.

Eine Holzpostkarte kann den Hauch des Besonderen verbreiten

Man benötigt auch nicht unbedingt große, weiße Wände, um Bilder wie in einer Galerie exponiert zu präsentieren. So wie es etwa Interior-Expertin Mónica Penaguião in ihrer Wohnung in Rio tun kann, wo man vom Wohnzimmer aus auf den Strand von Ipanema und zugleich auf die beeindruckende Kunstsammlung der Hausherrin blickt. Manchmal ist es gerade spannend, wenn ein Gemälde die Wandfläche fast vollständig bedeckt, wie ein großes Fenster in eine andere Welt, oder wenn eine Bildercollage ein Panoptikum an Sinneseindrücken hinterlässt, das einen anregt, immer wieder hinzuschauen und Neues zu entdecken.

Ganz ähnlich können Skulpturen auch in fast jeder Wohnung statt prägnanter Möbel oder Lampen als räumlicher Akzent oder Blickfang dienen, wie etwa die nahezu mannshohen Figuren der Berliner Künstlerin Tina Heuter, die ihre Plastiken aus Bronze, Stahl oder Beton anfertigt. Aber auch ganz kleine Kunstwerke wie eine Holzpostkarte von Joseph Beuys in der Edition Staeck können den Hauch des Besonderen verbreiten, ohne abgehoben zu wirken.

Denn mit Kunst zu leben heißt, sie in den Alltag zu integrieren und daraus Inspiration und Kraft zu beziehen. Kunst als reine Anlage zu betrachten, verfehlt den Kern. Zumal, wie Roman Kräussl, Ökonom an der Universität Luxembourg, herausgefunden hat, Kunst als Anlage sehr viel Geduld erfordert. Kunstinvestments erzielen keine Renditen von zehn bis 15 Prozent im Jahr. Erst nach durchschnittlich fünf Jahren sei man wieder bei null.

Und ob sich das Investment finanziell tatsächlich gelohnt hat, zeigt sich erst sehr viel später. Das hält allerdings laut CNNMoney die Superreichen nicht davon ab, ihre Portfolios zu diversifizieren und in Kunstfonds zu investieren. Manche setzen dabei auf junge, aufstrebende Künstler, andere bevorzugen Bluechips wie Gerhard Richter. Das Bedürfnis, mit ihren Kunstwerken den Alltag zu teilen, werden diese Investoren wohl kaum empfinden.

Zum Original