Tobias Singer

Senior Editor/ Senior Multi Channel Manager // Ressortleiter Auto & Technik..., München

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Gewalt gegen Frauen: Das geht jeden Mann etwas an!

Die Zahl wirkt wie einer dieser unfassbaren Fakten aus den Abendnachrichten, über ein weit entferntes Land, auf einem weit entfernten Kontinent. Aber Fakt ist: In Deutschland stirbt mindestens jeden dritten Tag eine Frau. Nicht durch einen Unfall, nicht durch Krankheit. Sondern durch Gewalt, in aller Regel durch die eines Mannes. Und zwar nicht irgendeines: im letzten Jahr wurde 147 Frauen durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet oder ermordet. Also durch denjenigen, der für Sicherheit, für Schutz, für Geborgenheit und Verständnis stehen soll und damit für einen wichtigen Teil der Dinge, für die Menschen eine Beziehung eingehen oder zumindest einmal eingegangen sind.


„Für viele Frauen ist das Zuhause ein gefährlicher Ort"

Familienministerin Franziska Giffey, die die Statistik des Bundeskriminalamts zur Partnerschaftsgewalt in Berlin vorgestellt hat, brachte es auf den traurigen Punkt: „Für viele Frauen ist das Zuhause ein gefährlicher Ort". Dass „viele" keine Übertreibung ist, zeigt eine weitere Zahl: Über 110.000 Frauen wurden 2017 von ihrem Partner oder Ex-Partner misshandelt, gestalkt oder bedroht. Und das sind nur die aktenkundigen Fälle. Die Dunkelziffer liegt wesentlich höher. Laut der Bundesfamilienministerin kommt nur jeder fünfte Fall überhaupt zur Anzeige. Und auf der Täterseite steht ein Mann. Ja, es gibt auch viel zu viele Fälle, in denen Männer Opfer von Partnerschaftsgewalt werden, 30.000 waren es im letzten Jahr. Auch das muss thematisiert werden. Aber die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: die Masse der Gewalt, 80 Prozent aller Fälle, kommt aus einer Richtung, aus der männlichen. Das vermeintlich stärkere Geschlecht setzt sich mit Gewalt durch. Und nein, die Debatte ist kein Problem der anderen. Sie lässt sich nicht auf traditionelle Männerbilder von Zuwanderern oder anderer Religionen abwälzen. In der Masse der Fälle handelt es sich nicht um Zwangsprostitution, Kinderehen oder Genitalverstümmelung.


Dieses Thema geht jeden Mann etwas an

25 Prozent aller Frauen erleben Gewalt in der Partnerschaft. Von den erfassten Tatverdächtigen sind ca. 68 Prozent deutsche Staatsangehörige gewesen. Verstärkt findet sich Partnerschaftsgewalt laut BKA-Bericht zwar in schwierigen sozialen Verhältnissen. Aber: Sie geht durch alle Schichten der Gesellschaft, sie betrifft alle Ethnien und Glaubenszugehörigkeiten, wie die Familienministerin bekräftigte. Man kann also nicht einfach wegsehen, sich nicht damit entschuldigen, dass das nur ein Phänomen von gesellschaftlichen Randgruppen sei. Schaut man auf die Zahlen, handelt es sich um das Phänomen eines zur Gewalt neigenden Mannes, der sich überall findet: in der Sozialwohnung, im Einfamilienhaus, in der gut situierten Luxusvilla. Und Gewalt ist nicht nur das Extrem von Schlagen und Vergewaltigung. Es geht auch um Herabwürdigungen, dauerhafte Beleidigungen, es geht um Eifersucht und Kontrollzwang. Und genau deswegen geht dieses Thema auch jeden Mann etwas an.

Bitte tun Sie eines nicht, schweigen Sie nicht

Lesen Sie den Artikel, merken Sie sich die Fakten, nehmen Sie ihn sich zu Herzen, reden Sie mit anderen darüber. Nur bitte tun Sie eines nicht: schweigen. Es darf nicht sein, dass Menschen Opfer von Gewalt werden, weil niemand hinsieht, weil Privates privat bleiben soll und man sich nicht einmischen darf in das, was andere in ihren vier Wänden machen. Vergessen Sie diese antrainierten sozialen Reflexe eines „Das gehört sich nicht". Mischen Sie sich ein. Bieten Sie Hilfe an, wo Ihnen bei Freundinnen und Kolleginnen auffällt, das etwas nicht stimmt.


Es gibt Sorgentelefone mit wertvollen Tipps. Auch Freunde können sich dort mit ihren Sorgen melden und Hilfe finden, wie das Thema Partnerschaftsgewalt anzugehen ist. Es gibt Frauenhäuser, wenn das Zuhause kein Zuhause mehr ist. Und machen Sie den Mund auf, wenn Freunde oder Arbeitskollegen mit Frauengeschichten prahlen, die von falsch verstandener Männlichkeit zeugen. In aller Regel hat jeder Mensch einen sehr guten Sensor dafür, wann ein Witz kein Witz mehr ist. Jeder kann dann eine Grenze setzen. Wenn Sie merken, dass Sie sich selbst nicht unter Kontrolle haben, nutzen Sie die psychologischen Betreuungsmöglichkeiten ihrer Krankenkasse, auch in diesem Fall können Sie das Hilfetelefon anrufen, greifen Sie auf Angebote für Antiagressionstrainings zurück. Es gibt es gibt immer eine Alternative zur Gewalt.


Mehr Informationen

Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Unter der Nummer 08000 116 016 und via Online-Beratung unterstützen die Fachkräfte dort Betroffene aller Nationalitäten, mit und ohne Behinderung - 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr. Auch Angehörige, Freundinnen und Freunde sowie Fachkräfte werden anonym und kostenfrei beraten.

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