Luxus gibt es jetzt auch auf Android. Zwar haben echte Geeks bei dem neuesten Modell des Edel-Handyherstellers Vertu ein wenig die Nase gerümpft. Da fehle ja Jelly Bean, die aktuellste Version des Betriebssystem. Aber mal ehrlich. Wer knapp 10.000 Euro für ein Smartphone ausgibt, ist nicht unbedingt an der letzten Android-Version interessiert.
Hier stehen andere Dinge im Vordergrund: Etwa das Saphirglas, das in Vertu-Tradition für ein besonders kratzfestes Display sorgt oder die Verwendung von Titan für ein stoßfestes und trotzdem leichtes Gehäuse. Die Klingeltöne stammen vom Londoner Symphonieorchester und da wäre schließlich noch die legendäre Concierge-Taste zu nennen, die jetzt Vertu-Taste heißt und einen persönlichen Service zu jeder Tages- und Nachtzeit ermöglicht. Die Smartphones mit Liebe zum Detail sind so zu einer eigenen Kategorie avanciert: Sie sind vertuos. Und kaum einer bei Vertu kennt sich besser mit dieser Detail-Liebe aus als der 49-jährige Engländer Hutch Hutchison, der seit der Firmengründung als Head of Concept Creation and Design für alle Vertu-Modelle verantwortlicher Kreativer ist.
GQ: Vertu ist der Inbegriff für Edel-Smartphones. War das auch von Anfang an der Plan, Luxusmobiltelefone auf den Markt zu bringen?
Hutchison: Am Anfang stand nicht die Idee, ein Luxustelefon herzustellen im Sinne eines Rolls Royce oder Ferraris. Wissen Sie, wenn man versucht etwas rein Luxuriöses herzustellen, gerät man schnell in eine Sackgasse. Wenn man dagegen mit der Idee antritt, etwas besser zu gestalten und es später Luxus genannt wird, befindet man sich in einer wesentlich besseren Position.
GQ: Was wollten Sie besser machen mit Vertu, als andere?
Hutchison: Aus Designperspektive gibt es nichts Verlockenderes als ein Problem. Design mit einem kleinen „d" ist reines Styling. Aber Design mit einem großen „D" bedeutet Probleme zu finden, zu analysieren und sie zu überwinden. Daran bin ich interessiert.
GQ: Und mit welchen Problemen hatten Sie zu kämpfen?
Hutchison: Meiner Meinung nach hat das moderne Smartphone zwei große Nachteile. Erstens zerkratzt es sehr leicht, insbesondere das Display. Da ist es egal, wie schön das Gerät designt ist. Zum Schutz wird es dann in einer schrecklich hässlichen Plastikhülle versteckt. Jetzt haben wir also ein Problem. Großartig. Und was bietet Vertu? Saphirglas. Verbaut als Display, verschafft uns das einen klaren Vorteil. Man kann es nicht zerkratzen. Nur Diamanten sind härter.
Hutch Hutchison nimmt im gleichen Moment ein Titanteil aus seinem Vertu-Baukasten und hämmert auf das werksneue „Ti" ein. Der Anblick schmerzt. Sein Gesicht strahlt völlige Zufriedenheit aus.
Hutchison: Problem eins gelöst.
GQ: Und was ist Ihrer Meinung nach das zweite Problem?
Hutchison: Das war eine einfache Erkenntnis. Unabhängig davon, wie viel jemand für sein Telefon bezahlt hat, die Leute lassen es fallen, immer wieder. Zum Schutz arbeiten wir mit besonders widerstandsfähigen Materialien. Der Kern des „Ti" besteht etwa aus einem geschmiedeten Flugzeug-Aluminium-Gehäuse. Wir machen uns diese Mühe, obwohl ein Gussgehäuse wesentlich preiswerter wäre. Aber das Material wäre auch wesentlich anfälliger, denn Guss ist spröde. Danach wird das Metall in einer Presse verarbeitet, damit die Maserung der Form folgen kann und so für mehr Stabilität sorgt. Die Seitenteile sind außerdem aus Titan gefertigt. Das ist besonders widerstandsfähig.
GQ: Das klingt nach einem wahren Schwergewicht.
Hutchison: Nein, das ist es absolut nicht. Fassen Sie es an. Das „Ti" wiegt 180 Gramm. Und vor allem ist es aber eins: Es ist ein ehrliches Handy. Wenn man all die Produktionsschritte zusammen nimmt, dann muss am Ende dieses Gerät herauskommen. Das „Vertu Ti" folgt keinem Bauhaus-Design, aber es ist ehrlich.
GQ: Bei der ganzen Materialforschung, die Sie betreiben, wie lange dauerte da die Entwicklung des Vertu Ti?
Hutchison: Normalerweise sage ich immer 15 Jahre. Denn so lange produzieren wir, so lange lernen wir. Ich habe 1999 bei Vertu angefangen, war Mitarbeiter Nummer fünf. Diese ganze Erfahrung steckt auch im neuesten Gerät. Aber zusammengefasst, kann man sagen, dass Ende 2008 die finalen Zeichnungen fertig waren. Von den ersten Prototypen bis zur Marktreife hat es dann ungefähr zwei Jahre gedauert.
GQ: Telefone sind zum Telefonieren da, sagt man. Ist das Vertu nicht auch einfach nur ein Alltagsgegenstand?
Hutchison: Telefone sind eigenartig. Man trägt sie ganze Zeit bei sich, inzwischen beherbergen sie persönlichste Daten, Fakten und Fotos über unser Leben, aber gleichzeitig sind sie vollkommen unpersönlich. Unser Ziel war es, das zu ändern. Nicht nur durch Design und Feeling, sondern vor allem auch durch den Sound. Wir arbeiten heute mit Bang und Olufsen, zusammen mit deren Ingenieuren haben wir die gesamte Akustik des „Vertu Ti" getunt. Das Herz bilden jetzt zwei echte Stereo-Speaker mit entsprechendem Resonanzraum. Außerdem gibt es auf der Rückseite ein zweites Mikrofon mit dem Umgebungsgeräusche bei Gesprächen herausgefiltert werden.
GQ: Inzwischen hat sich Nokia beinahe vollständig von seiner ehemaligen Tochter Vertu getrennt. 90 Prozent gehören jetzt dem Finanzinvestor EQT. Sind sie froh über diesen Schritt?
Hutchison: Nokia ist eine Firma mit langer Tradition. Und es ist wirklich schade, wie es mit Nokia und uns gelaufen ist. Aber es passte nie wirklich zusammen. Auf der einen Seite Telefone für die Massenproduktion, auf der anderen Seite die Kleinserie bei Vertu für besondere Kundenwünsche. Um ehrlich zu sein, freuen wir uns, jetzt unabhängig arbeiten zu können. Das gab uns auch die Freiheit, Android als Betriebssystem zu nutzen.
GQ: Warum haben Sie eigentlich nicht gleich das neueste System Jelly Bean genutzt, sondern auf das ältere Ice Cream Sandwich zurückgegriffen?
Hutchison: Es stimmt, momentan sind die Geräte mit Ice Cream Sandwich auf dem Markt. Dazu muss man sagen, dass wir im Test auch Geräte hatten, die auf der neuesten Android-Software liefen. Aber die Kunden wollten sie nicht. Und das aus einem einfachen Grund. Es ist noch nicht stabil genug für unser System. Sobald sich das ändert, gibt es aber auch ein Update.
GQ: Vertu ist bei der breiten Masse vor allem für eines bekannt, eine kleine Zaubertaste, die dem Kunden jeden Wunsch erfüllt, 24 Stunden, rund um die Uhr. Was hat sich bei der berühmten Concierge-Taste getan?
Hutchison: In den Zeiten, in denen das Internet noch weniger Bedeutung hatte, war dieser Telefonservice ein echter Vorteil. Inzwischen hat sich die Welt aber verändert. Die Concierge-Taste nennt sich jetzt Vertu-Taste, weil sich dahinter nun eine ganze Breite an Diensten verbirgt. Unser alter Freund, der Concierge ist immer noch dabei, nur kann man ihm heute auch ein Email oder eine Instant Message schicken. Viele unserer Kunden kommen außerdem aus dem Geschäftsbereich. Da arbeiten wir zum Beispiel mit der Protector Services Group zusammen. Dieser Dienst ermöglicht unter anderem einen schnellen Backgroundcheck von potenziellen Geschäftspartnern. Wer ganz sicher in der Kommunikation gehen möchte, hat zudem die Möglichkeit unsere Verschlüsselungstechnologie zu nutzen. Das gilt für Telefonate genauso wie für Videokonferenzen über das „Ti".
GQ: Das sind spezielle Businessanwendungen. Und was offerieren Sie uns für die Freizeit?
Hutchison: Da haben wir den Bereich „Life" in unseren Vertu-Diensten. Neben einem Newsfeed, gibt es zum Beispiel Tipps für die Stadt, in der man sich gerade befindet.
GQ: Dafür könnte ich doch aber genauso Google befragen, oder?
Hutchison: Der Unterschied bei uns ist, dass die Informationen hart recherchiert sind. Bei Vertu können Sie außerdem jederzeit den Concierge, also eine Person, kontaktieren. Zudem stammen viele der Informationen wirklich von Concierges. Diese typischen Fragen, wie man etwa an eine Reservierung für das völlig überbuchte Restaurant kommt, sammeln wir. Die Vertu-Taste ist also so etwas wie das Anti-Google. Hier erhält man Informationen, die nicht jeder sofort bekommt. Aber daneben gibt es auch ganz grundsätzliche Basisinfos für Reisende: Gibt man eigentlich Trinkgeld in Japan. Solche Dinge. Hier findet sich alles, von dem wir glauben, dass es wichtig ist, und nicht den tausendsten Tipp für den „Pizza Hut" um die Ecke.
GQ: Und was ist Ihr Highlight unter den Vertu-Diensten?
Hutchison: Wir haben uns mit verschiedenen Memberclubs auf der Welt zusammengetan. Für manche dieser Clubs zahlt man 10.000 Euro Beitrag. Aber wenn Sie geschäftlich um die ganze Welt reisen, sind Sie selten an einem Ort, dann man möchte man möglichst nicht jedem Club in jeder Stadt beitreten. Mit dem Vertu kommen sie kostenlos rein.
Das Vertu Ti im Überblick:
Display: 3,7-Zoll, Saphirkristall Besonderheit: Vertu-Rubintaste mit den Vertu-Diensten OS: Google Android 4.0 Ice Cream Sandwich Prozessor: Qualcom Snapdragon S4, 1,7 GHz Dual-Core Prozessor Speicher: 64 GB interner Speicher Kamera: 8 MP Kamera hinten, 1,3 MP Kamera vorne Video: 1080p Videoerfassung Preis: Titanium Black Leather: 7.900 Euro, Titanium Pure Black: 9.500 Euro, Titanium Black Alligator: 10.500 Euro, Black PVD Titanium Red Gold Mixed Metals: 16.500 Euro