2 Abos und 3 Abonnenten
Reportage

Traumgesteuert


Philipp Plein ist der erfolgreichste deutsche Modedesigner. Joe Benjamin will als Swing-Musiker den Durchbruch schaffen. Beide kommen aus Bayern, beide leben in New York, weil das die Stadt sei, sagen sie, wo Träume wahr werden können. Oder nicht?


Als die Kellnerin die Kuhglocke aus Plastik läutet und die Schnapsgläser, die jemand auf einen alten Holzskier geklebt hat, mit Tequila füllt, geht Joe Benjamin drüben auf der Bühne in die Knie.

 

Er und seine Band spielen in der schummrigen Ecke am Treppenabgang des Hofbräuhauses in Manhattan.

 

Benjamin ist eigentlich Swing-Musiker, aber das ist jetzt egal, die Leute wollen deutsche Schlager hören und sich dazu betrinken. Um genau zu sein: eigentlich wollen sie sich nur betrinken.

 

Niemand achtet auf die zwölf Musiker an der Treppe.

 

Die Kellnerin reicht den fünf kreischenden Mädels den Skier über die Theke, sie nehmen nebeneinander Aufstellung, beide Hände am Holz, dann werfen sie die Köpfe in den Nacken. Die anderen Gäste johlen und klatschen.

 

Joe Benjamin, immer noch in den Knien, hebt die Hand und federt wieder hoch, er singt von einem knallroten Gummiboot, mit dem er gerne weit wegfahren würde.

 

Draußen legt sich die Dämmerung über Manhattan, drinnen steigt der Alkoholpegel. Afterwork, ein normaler Mittwochabend in der Stadt, die, so heißt es, einfach nicht einschlafen will.

 

Am nächsten Tag steigt Philipp Plein in der Upper East Side aus einem nachtschwarzen Rolls-Royce. Er wirft einem Latino den Autoschlüssel zu, fährt mit dem Finger über das Heck und sagt: „Morgen will ich ein sauberes Auto.“

 

Er grinst, legt den tätowierten Arm um Andreea, ein rumänisches Model mit schwarzen Fingernägeln und schwarzen Haaren bis zur Hüfte. An Pleins linkem Handgelenk funkelt eine diamantenbesetzte Audemars Piguet.

 

Auf Andreeas Handgelenk ein Tattoo, ein Barcode, darunter in die Haut gestochen: Philipp Plein.

 

Plein, braun gebrannt und durchtrainiert, ultrawache Augen, steht vor der Tür eines schmalen Hauses und läutet. Die Tür gehört ihm. Genauso wie das 20-Millionen-Dollar-Haus drumherum. Aber Plein hat keinen Schlüssel. Endlich öffnet eine runde Dame in Dienstkleidung, Martha, die gute Seele des Hauses.

 

Hinter ihr eine gleißende Welt aus Marmor, Licht und Gold.

 

Joe Benjamin und Philipp Plein sind beide in Bayern aufgewachsen, irgendwann wurde ihnen ihre Welt zu klein und sie zogen aus, weil sie mehr wollten und weil sie Träume hatten und dachten, New York sei dafür der richtige Ort.

 

Die Stadt zieht Träumer an, Glücksritter, Suchende, seit Jahrhunderten. Manche erfüllen sich hier ihre Sehnsüchte, einige verbiegen sich dafür, andere zerbrechen.

 

Benjamin und Plein sind die zwei Seiten derselben Medaille. Zwei Versionen dessen, was man den „American Dream“ nennt.

 

Der eine ist heute Millionär und lässt bei der Mailänder Modewoche brennende Monstertrucks über Limousinen rollen.

 

Der andere muss im Hofbräuhaus Schlager singen, um sich über Wasser zu halten und um das Geld für seine erste Platte zusammenzukratzen.

 

Schummriges Licht, Kerzen, Gemäuer. Joe Benjamin, 27, sitzt mit winzigen Augen und Bartstoppeln in einem Restaurant. Er wirkt abgekämpft. Er kellnert hier jedes Wochenende, samstags zwölf Stunden, sonntags acht.

 

Neben den Auftritten im Hofbräuhaus und den Gigs als Swing-Musiker, ist das sein dritter Job. „Obwohl ich dauernd arbeite, bin ich jede Woche pleite“, sagt Joe und zuckt mit den Schultern. Jeden Dollar stecke er in die Musik.

 

Joe zog vor sieben Jahren von Mettenheim bei Mühldorf nach New York City, um Gesang und Komposition an der New School for Jazz and Contemporary Music zu studieren.

 

Jetzt spielt er mit seiner Band jeden Mittwochabend im Hofbräuhaus.

 

Joe sagt: „New York kann dir das Kreuz brechen.“

 

Joe sagt auch: „Ich brauch die Kohle.

 

Auch Philipp Plein fängt unten an. Der 38-Jährige steht im Keller seines Hauses, Wände aus schwarzem Marmor, an der Wand 50 Flaschen Champagner. Er trinke keinen Alkohol, sagt er. „Aber sieht doch geil aus, oder?“

 

Er klatscht in die Hände. „Rundgang?“ Sieben Etagen, sechs Kamine, Fitnessraum, diverse Terrassen.

 

Plein trägt ein T-Shirt mit einer großen 78 auf der Brust, sein Jahrgang. Er federt die Stufen nach oben. „Baby, bist du im Fitnessstudio? Bist du nackt?“, ruft Plein. Andreea ist nicht nackt.

 

Nicht ganz.

 

Sie strampelt in Sport-BH und Leggings auf dem Hometrainer. Plein drückt ihr einen Kuss auf den Mund, streicht ihr über den Hintern. Er biegt nach rechts. „Hier ist der Master-Bedroom.“

 

So nennt Plein sein Schlafzimmer.

 

Eigentlich hat bei ihm alles mit Betten angefangen. Nach dem Abitur hatte Plein die Idee, Hundebetten zu entwerfen. „Das hat damals niemand gemacht“, sagt er.

 

Er wollte Geld machen, viel Geld, und das schien ihm der richtige Weg zum Reichtum.

 

Er fand zwei Jungs, die ihm die Betten günstig schweißten, und jede Menge Abnehmer.

 

Mit 24 Jahren: die erste Million, der erste Porsche, das erste Tattoo. Seitdem steht auf Philipp Pleins rechtem Unterarm Philipp Plein.

 

Bald verkaufte er zudem noch Möbel, Handtaschen, irgendwann alte Bundeswehrjacken, die er mit Swarovski-Steinen aufmotzte. „Das mit der Mode war Zufall“, sagt Plein. „Ein Unfall.“

 

Er sagt, eigentlich sei ihm Mode egal.

 

Dass viele in der Modebranche ihn für ein Großmaul halten, der geschmacklose Mode für Neureiche macht, quittiert er mit einem Achselzucken.

 

„Wir haben ihnen Marktanteile abgenommen. That’s it.“ Plein klatscht in die Hände. „Wir sind die New Kids on the Block, die Neuen in der Klasse.“

 

In der Mode sei es wie auf dem Schulhof. Die Platzhirsche würden jeden Neuling schief angucken und fragen: „Was will der Penner?“

 

Plein senkt den Blick. „Bist du mal umgezogen und hast die Schule gewechselt? Ich schon.“

 

Plötzlich fällt Plein etwas ein. Er kramt sein Smartphone raus, zeigt das Foto eines blonden Jungen in Jeansjacke, die Hände in den Taschen. „Ich mit 14 in New York, wir haben damals im letzten Loch gewohnt.“

 

Der Junge auf dem Foto lächelt.

 

„Guck mal, da hinten!“ Plein tippt auf ein Hochhaus im Hintergrund. „Weißt du, wo das ist?“ Plein grinst.

 

Südostecke Central Park, gegenüber vom Plaza. „Genau da ist jetzt mein Büro! Geil, oder?“

 

Wer Plein auf seine Träume anspricht, hört einen Monolog. Zeit und Träume, sagt er dann, das seien die wichtigsten Dinge im Leben.

 

In der Modebranche verkaufe er Träume. Er könnte schwarze T-Shirts für zehn Dollar verkaufen, sagt Plein. „Oder du machst auf dein T-Shirt Kristalle, schreibst ‚Fuck you all‘ drauf und verkaufst das Ding für 500 Dollar.“

 

Plein zeigt seine weißen Zähne und schaut, als hätte er gerade die Glühbirne erfunden. Dann redet er von Kolumbus. Der sei auch ein Finder gewesen, so ähnlich wie er selber.

 

Plein sitzt jetzt breitbeinig auf einem weißen Ledersofa. Unerfüllte Träume seien das Lebenselixier der Menschen, sagt Plein.

 

„Wenn der Traum aber Wirklichkeit wird, zerstörst du ihn. Und dann kommt die Depression.“

 

Wenn man Plein so sieht, muss man an Fitzgerald’s The Great Gatsby denken, wo die Hauptperson, Gatsby, in seiner Villa am Wasser gigantische Partys für Menschen veranstaltet, die er nicht kennt, und die sich nicht für ihn interessieren.

 

Er macht das, um die Frau zu beeindrucken, die er liebt, und nachts steht er einsam an seinem Bootssteg und betrachtet eine grüne Laterne, die verheißungsvoll vom anderen Ufer herüberleuchtet, wo seine Geliebte, die mit einem anderen verheiratet ist, wohnt.

 

Gatsby ist traurig und trotz all seiner Gäste allein, aber wenigstens hat er seine grüne Laterne, seine Hoffnung, seinen Traum, dass er mit der Frau doch noch zusammenkommen könnte, etwas also, woran er sich klammern kann.

 

Plein hat keine grüne Laterne, in seinem gigantischen Wohnzimmer sind nur 17 Kronleuchter und viele Spiegel, in denen sich Dutzende Philipp Pleins spiegeln.

 

Plein blickt lange in den zimmerhohen Spiegel an der Wand. Dann fährt er sich mit der Hand durch die Haare und bringt die Frisur in Ordnung.

 

Bei ihm müsse es immer weitergehen, sagt er dann, Stillstand sei das Schlimmste.

 

Einen Tag später schlendert Joe Benjamin durch das Künstler- und Schwulenviertel Chelsea. Die Sonne scheint, er trägt eine Sonnenbrille und ein Lächeln. Er kommt an eine rote Ampel, als es Grün wird, geht er mit schnellen Schritten los.

 

Mitten auf der Kreuzung bleibt er stehen.

 

Aus einem vollbesetzten Auto scheppert Musik, Wannabe von den Spice Girls. Joe singt laut mit, reißt die Arme in die Luft und tanzt fünf schnelle Schritte, dann eine halbe Pirouette.

 

Die Typen im Auto verziehen keine Miene, rücken ihre Sonnenbrillen zurecht. Alles schon gesehen, alles schon gehört. In Chelsea fällt Joe nicht auf.

 

Daheim, im oberbayerischen Dorf, starren die Leute ihn an, wenn er mit seinem Freund Hand in Hand über den Rathausplatz spazierte.

 

Drei Mal wechselte er die Schule. „Ich wusste mit zehn schon, dass ich anders bin.“ Das Dorf, die Schule: er habe da nirgends reingepasst, sagt er.

 

Die erste Person, der er erzählte, dass er einen Freund habe, war seine Großmutter. Sie habe sich gefreut, sagt er.

 

Ein Abend in SoHo, alle warten auf Philipp Plein. Seine Entourage, vier Italiener in dunklen Anzügen, sitzt im Restaurant Le Coucou. Sie sind hungrig, aber niemand bestellt, sie wollen auf den Chef warten.

 

36 Minuten später rauscht Plein herein, er trägt Lederjacke und tiefen Ausschnitt. Er grinst, klatscht die Italiener ab und fläzt sich auf die dunkle Sitzbank.

 

Plein wedelt die Kellnerin heran: „Wir nehmen alles.“ Sein Finger kreist über die Speisekarte. „Kein Scherz. Alles.“

 

Die Kellnerin beachtet ihn nicht, erklärt einem Italiener den Rotwein.

 

Da verdunkelt sich Pleins Gesicht, seine Züge werden hart. Einen Wimpernschlag lang, dann fängt Plein sich wieder. „Hey, I like your attitude!“

 

Joe Benjamin und Philipp Plein kennen sich nicht. In einem Restaurant wie diesem aber könnten sie sich begegnen.

 

Wahrscheinlich würde der eine dem anderen den Stuhl heranrücken, lächeln, und auf Englisch fragen, was der Mister zu trinken wünsche. Vielleicht würde er aber auch mit einer Band auf der Bühne stehen und selbst geschriebene Lieder singen.

 

Joe Benjamin lächelt. „Ein schöner Traum.“

 

+++

 

Der Text entstand 2016 während eines Auslandsreportagen-Seminars der Akademie der Bayerischen Presse in New York City. Er wurde nachher mit dem Reportage-Preis der ABP ausgezeichnet (3. Platz) und erschien in der tz und dem Münchner Merkur. Der hier veröffentlichte Text ist eine leicht überarbeitete und aktualisierte Fassung.