Tim Beyer

Freier Journalist, Köln

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Bielefeld-Trainer Neuhaus: Spät dran


Uwe Neuhaus hat mal Hubschrauber repariert, jetzt macht er doch lieber was mit Fußball. Über eine späte Bundesligatrainerwerdung, die nur auf den ersten Blick überraschend ist.

Aus Bielefeld berichtet Tim Beyer


An einem Donnerstag im September sitzt Uwe Neuhaus auf einer wackligen Holzbank auf dem Trainingsgelände von Arminia Bielefeld und blinzelt Zweifel weg wie andere die tief stehende Spätsommersonne. Neuhaus, 60, trägt zum Trainingspullover eine kurze Sporthose, und wenn er nachdenkt, legt er die Stirn in Falten. Er kann das eindrucksvoll. Es sind nur noch wenige Tage bis zum ersten Pflichtspiel im DFB-Pokal und etwas mehr als eine Woche bis zum ersten Bundesligaspieltag mit Arminia Bielefeld seit über elf Jahren.


"Für mich wäre der Klassenerhalt keine Sensation", sagt Neuhaus dem SPIEGEL. Er ahnt da noch nicht, dass seine Mannschaft im Pokal wenige Tage später so spielen wird, als wolle sie ihrem Trainer das Gegenteil beweisen.


Bis dahin hatte Arminia von 16 Pflichtspielen in diesem Jahr nicht ein einziges verloren, die Serie hielt 256 Tage - und sie fand ihr Ende an jenem Ort, den Neuhaus einmal Heimat nannte: 0:1 beim Regionalligisten Rot-Weiss Essen, das Aus in Runde eins.


Wie verarbeitet Bielefeld die "Unverschämtheit"?

Neuhaus stammt aus Hattingen im südlichen Teil des Ruhrgebiets, von dort sind es keine 25 Kilometer bis zur Hafenstraße in Essen, der Heimat von RWE. Er war dort erst Spieler und später Trainer, zwanzig Jahre hat er in Essen gelebt. Und nun das. Später wird Neuhaus sagen, die Leistung seiner Mannschaft in den ersten 45 Minuten sei "eine Unverschämtheit" gewesen.


Seit Dezember 2018 ist Neuhaus Trainer in Bielefeld, es ist bislang eine überaus erfolgreiche Zusammenarbeit, gekrönt vom Aufstieg in die Bundesliga. Die Niederlage gegen Essen kam unerwartet, und die Frage ist nun, was sie in Bielefeld daraus machen?


In der 2. Liga hatte Arminia in der vergangenen Saison die beste Defensive und die beste Offensive, sie spielten im 4-3-3 einen ansehnlichen Fußball, mutig und mit flachen Kurzpässen. Neuhaus möchte daran grundsätzlich festhalten, auch wenn die Gegner künftig Bayern München oder Borussia Dortmund heißen. Er sagt: "Wir wollen nie den Ball lang nach vorne schlagen, nur um hinten ein paar Sekunden Ruhe zu haben."


Über 300 Spiele als Trainer in der 2. Liga

Einst war Neuhaus sechs Jahre Co-Trainer beim BVB, 2002 wurde er Meister an der Seite des Trainers Matthias Sammer. Später trainierte Neuhaus Traditionsvereine wie RWE, Union Berlin und Dynamo Dresden, mit allen drei Klubs stieg er in die 2. Liga auf, er stand dort in über 300 Spielen an der Seitenlinie. Doch wenn in der Bundesliga die Trainerjobs vergeben wurden, dann nie an Uwe Neuhaus. Warum eigentlich nicht?


Es ist eine Frage, über die Neuhaus erst einmal nachdenken möchte. Er legt die Stirn in Falten, dann sagt er: "Ich weiß es nicht." Lieber spricht er stattdessen über Trainer, die immer genau dort in den Stadien auftauchen, wo der Job eines anderen Übungsleiters in Gefahr ist. Für ihn, sagt Neuhaus, sei das nichts. Habe er nie gemacht, werde er nie machen. "Dann würde ich lieber wieder als Elektriker arbeiten."


Neuhaus hat tatsächlich mal Elektriker gelernt in der Stahlgießerei Henrichshütte, er hat für die Bundeswehr Hubschrauber repariert, und einmal wäre er beinahe Gefängniswärter geworden. Da, sagt Neuhaus, habe er gerade noch rechtzeitig gemerkt, "dass der Beruf zu viele Narben hinterlässt, die ich nicht haben möchte. Da muss man schon für geboren sein, um das alles wegzustecken.


Rückschläge sind eingeplant

Im Moment des größten Erfolgs seiner Karriere, als Bielefeld der Aufstieg im Juni nicht mehr zu nehmen war und all die ostwestfälischen Leidensjahre und die Abstiege und Beinahe-Insolvenzen plötzlich ganz weit weg waren, vergaß Neuhaus sogar seine selbstauferlegte Zurückhaltung gegenüber den Medien. Als ein Reporter eines Fernsehsenders den Spielern zu verstehen gab, dass der Trainer sich doch sicher eine Bierdusche verdient habe, sagte Neuhaus: "Hömma, Bürschchen, ich hol dich gleich da runter, und dann bist du hier mittendrin."


In der Bundesliga wird Arminia Bielefeld die Saison kaum mit nur zwei Niederlagen beenden wie zuvor in der zweiten Liga. Es werde sicher Rückschläge geben, sagt Neuhaus an jenem Donnerstag im September, wenige Tage vor dem Aus im Pokal. Die Frage sei nur, wie man damit umgehe. "Gelingt es uns, Niederlagen aufzuarbeiten und anschließend abzuhaken - ohne uns dabei selbst untreu zu werden?" In diesem Moment wird Neuhaus noch nicht damit gerechnet haben, dass ihn diese Frage schon vor dem ersten Ligaspiel bei Eintracht Frankfurt beschäftigen wird.

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