Tim Beyer

Freier Journalist, Köln

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Artikel

Trainer Markus Gisdol: Die C-Lösung gibt Köln eine Perspektive


Als Markus Gisdol das Traineramt in Köln übernahm, war die Skepsis groß. Doch vor dem Duell mit dem FC Bayern könnte die Stimmung kaum besser sein. Über einen Trainer, der gerade viele verblüfft.


Aus Köln berichtet Tim Beyer


Markus Gisdol, 50, hatte kürzlich einen Termin, den man als Zugezogener in Köln nicht absagen kann. Nicht einmal, wenn man Trainer des 1. FC Köln und eigentlich ganz mit anderen Dingen beschäftigt ist. Die Bürgergarde "blau-gold" hatte zur Versammlung geladen, und natürlich waren die Anwesenden begeistert, als irgendwann der Schwabe Gisdol auf der Bühne schunkelte und das FC-Lied sang. Sie waren dann sehr zufrieden mit dem karnevalistischen Integrationswillen des zugezogenen Fußballtrainers und ernannten ihn zum Leutnant ehrenhalber. Es gab sogar eine Urkunde.


In Köln sind es gerade angenehme Tage für Gisdol. Seit er Mitte November als neuer Trainer vorgestellt wurde, hat der FC aus neun Spielen 16 Punkte geholt, nur die Bayern, Dortmund und Leipzig waren erfolgreicher. Von den vergangenen sechs Spielen hat Köln fünf gewonnen, der Vorsprung auf den Relegationsrang 16 beträgt nun sechs Punkte - obwohl das Derby gegen Borussia Mönchengladbach wegen des Sturmtiefs "Sabine" abgesagt worden ist. Mittlerweile habe kein Gegner mehr Lust, gegen Köln zu spielen, sagt Spielmacher Mark Uth. "Und genau so sollte es sein."


Es ist schon eine erstaunliche Entwicklung, die der 1. FC Köln und Markus Gisdol innerhalb weniger Wochen genommen haben. Anfangs war Gisdol von vielen als "C-Lösung" bezeichnet worden, weil sich der FC zuvor Absagen von Bruno Labbadia und Pál Dárdai geholt hatte. Die Skepsis Gisdol gegenüber war groß, auch weil er nach seiner Entlassung beim Hamburger SV beinahe zwei Jahre ohne Job gewesen war. Und nun eint die Kölner und ihren Trainer, dass sie gerade sehr viele Menschen in diesem Land positiv überraschen.

Es stellt sich also vor dem Spiel gegen den FC Bayern am Nachmittag (15.30 Uhr, Liveticker SPIEGEL.de, TV: Sky) die Frage: Was macht den Trainer Gisdol aus? Und was hat das mit der Kölner Erfolgsserie zu tun?


Gisdol war noch ein Kind, elf Jahre alt oder zwölf, da war er bei den Spielen seines Heimatvereins SC Geislingen gern gesehener Gast in der Kabine der ersten Mannschaft. Er rührte Getränke an und lauschte den Erwachsenen, wenn sie über Fußball sprachen. "Markus war schon damals sehr interessiert und hörte bei taktischen Besprechungen in der Kabine gerne zu", sagt Helmut Groß dem SPIEGEL. Groß, 73, hat als Trainer in Geislingen schon das Credo der ballorientierten Raumdeckung gepredigt, als man bei vielen Bundesligisten noch nie davon gehört hatte. Später hat er viele Jahre Ralf Rangnick beraten, erst in Hoffenheim, dann in Leipzig. Natürlich habe man zu Geislingener Zeiten nicht wissen können, dass Gisdol einmal Trainer werden sollte, sagt Groß. Überrascht sei er aber auch nicht mehr gewesen.


Als Gisdol im April 2013 Trainer der TSG Hoffenheim wurde, ließ er im Abstiegskampf den 17-jährigen Niklas Süle debütieren und schaffte den Klassenerhalt. Gisdol führte Hoffenheim anschließend zu einem achten und einem neunten Platz, er ließ auch offensiven Fußball spielen. Doch nachdem Hoffenheim zu Beginn der Saison 2015/16 gegen den HSV das sechste von den ersten zehn Ligaspielen verloren hatte, wurde Gisdol entlassen.


Ähnlich turbulent war Gisdols Zeit in Hamburg. Als der HSV im ersten Gisdol-Jahr am 34. Spieltag den Klassenerhalt feierte, sagte der Trainer: "Wir hatten nach zehn Spielen zwei Punkte, waren tot. Damit muss jetzt Schluss sein. Noch so ein Jahr schaffe ich nicht." Und er sollte Recht behalten: Im Januar 2018, der HSV war Tabellen-17., wurde er nach einer Niederlage gegen Köln entlassen. "Es gab keine Alternative zu diesem Schritt", teilte der Klub anschließend mit.


Gisdols Mut wird belohnt

Auch der Start in Köln war kein einfacher. Als Gisdol kam, war die Mannschaft Vorletzter und vom Ex-Trainer Achim Beierlorzer auf einen bedingungslosen Umschaltfußball getrimmt worden, der nicht von Erfolg gekrönt war. Der FC erspielte sich nur wenige Chancen und vergab davon zu viele; und die Defensive litt, weil die Mannschaft nach Ballverlusten zu einfach überspielt wurde.


Erfolg hatte in den ersten Wochen auch Gisdol nicht, zum Start gab es zwei Niederlagen und ein Unentschieden. Dass es in diesen Tagen so viel Lob für den neuen Kölner Trainer gibt, hat mit den Entscheidungen zu tun, die er dann traf: Gisdol beorderte neben Ismail Jacobs, 20, und Noah Katterbach, 18, manchmal auch noch Jan Thielmann, 17, in die Startelf.

Er ließ verstärkt Standardsituationen trainieren - zwölf Tore erzielte Köln so schon, Ligabestwert. Und Gisdol vertraute dem sensiblen Jhon Córdoba, der es ihm mit Toren dankt, besonders gerne im eigenen Stadion: In jedem der letzten sechs Heimspiele hat Córdoba getroffen.


Gisdol hat in seiner Karriere zwei Bundesligisten vor dem Abstieg gerettet, der 1. FC Köln könnte die Nummer drei werden. Doch nur Feuerwehrmann, das reicht Gisdol dann doch nicht. Im Januar sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger": "Ich weiß, dass ich Mannschaften retten kann, aber ich gestalte lieber. Ein Verein muss auch immer eine Perspektive haben." In Köln, das ist der Eindruck der letzten Wochen, ist die Perspektive für den FC und den Trainer Markus Gisdol keine schlechte.

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