Tim Beyer

Freier Journalist, Köln

17 Abos und 4 Abonnenten
Artikel

U21-EM - Deutschlands U21-Nationalspieler Nadiem Amiri: Mit List und Präzision

Im Halbfinale der EM gegen Rumänien hat Luca Waldschmidt einen deutschen Rekord gebrochen. Doch die Geschichte dieses Spiels schrieb einer, dessen Endrunden-Teilnahme lange ungewiss gewesen war: Nadiem Amiri.


Es waren erst wenige Sekunden seit dem Schlusspfiff vergangen, als sich Deutschlands U21-Trainer Stefan Kuntz zur Haupttribüne umdrehte und beide Arme in die Luft riss. Seine Spieler sahen derweil nicht mehr so aus, als hätten sie noch Kraft genug, um zu jubeln. Die Hitzeschlacht von Bologna mit Temperaturen um die 40 Grad, sie hatte ihre Spuren hinterlassen.


Luca Waldschmidt nahm einen tiefen Schluck aus der Wasserflasche, Nadiem Amiri ging erschöpft in die Knie. Es dauerte einen Moment, dann hatten sie sich gesammelt, fortan sah man Spieler in weißen Trikots, die lachten und sich umarmten; man sah aber auch Spieler in gelben Jerseys, die enttäuscht zu Boden sanken, der Torhüter Ionut Radu hielt die Tränen nicht zurück.


Im EM-Halbfinale hatte Deutschland lange große Probleme mit einer rumänischen Mannschaft, die unterstützt von ihren frenetischen Fans einen erfrischenden Fußball spielte. Doch am Ende stand es 4:2, Deutschland hat zum zweiten Mal in Folge das Endspiel erreicht.


Es war ein denkwürdiges Spiel. Eines, das viele Geschichten schrieb. Einige sehr schöne waren darunter, doch die von Amiri, 22, stach noch heraus. Vor gerade einmal sechs Wochen hatte sich Amiri bei einem Spiel seines Vereins 1899 Hoffenheim am linken Sprunggelenk verletzt, es hatte zunächst nicht so ausgesehen, als würde er rechtzeitig zur Endrunde wieder fit. Dann stand Amiri im Kader, doch ihm blieb zunächst nur die Jokerrolle, weil sein Konkurrent Marco Richter famos spielte.


Erst das Solo, dann der Freistoß

Gegen Rumänien durfte Amiri erstmals bei diesem Turnier beginnen, womöglich auch, weil sich Richter verletzt hatte. Und Amiri nutzte diese Möglichkeit, um einige Facetten seines Könnens zu zeigen: Das 1:0 erzielte er nach einem Ballverlust der Rumänen. Amiri dribbelte durch die entblößte Abwehr, er tat das mit einer ungeheuren Dynamik, es folgte ein platzierter Flachschuss und dann der Jubel.


Bei seinem zweiten Treffer, einem wunderbaren Freistoß in der Nachspielzeit, hätte Amiri beinahe gar nicht mehr auf dem Platz gestanden. Eigentlich habe ihn der Trainer Kuntz auswechseln wollen, erzählte Amiri, doch er habe nur gesagt: "Lass' mich drin, ich will den schießen." Er schoss, und er schoss sehr gut, es sollte der letzte Treffer des Abends sein. Kurz darauf war Schluss.


Es gibt übrigens eine interessante Parallele zum Halbfinale bei der letzten EM: Auf den Tag genau vor zwei Jahren musste Deutschland ins Elfmeterschießen gegen England, den entscheidenden Schuss verwandelte Amiri, er war der zweitjüngste Spieler im Aufgebot von Kuntz. Im Finale gewann Deutschland anschließend gegen Spanien, und manchmal wiederholt sich Fußball-Geschichte ja: Am Sonntag wird es zur Neuauflage kommen.


Immer dieser Waldschmidt

Auch der Angreifer Waldschmidt hat seiner Geschichte, die ja bei diesem Turnier ohnehin schon eine sehr schöne ist, ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Gegen Rumänien traf er erst per Foulelfmeter, später dann ebenfalls per Freistoß. Zuvor hatte man Waldschmidt gesehen, wie er mit Mo Dahoud und Amiri über die richtige Ausführung des ruhenden Balls diskutierte.

Was sie sich da ausgedacht hatten, war listig - und es funktionierte: Dahoud und Amiri stellten sich als Sichtschutz noch vor die Mauer der Rumänen, der Anlauf des Schützen Waldschmidt war für Torhüter Radu nicht zu erkennen. Amiri legte den Ball mit der Hacke nach links, Waldschmidt zog ab, Radu flog, aber er flog vergeblich.


Waldschmidt hat in den vier Spielen bei dieser EM schon sieben Tore erzielt, eine sagenhafte Bilanz. Damit hat er Pierre Littbarski (6 Tore) als besten deutschen Torschützen in der Geschichte der U21-EM abgelöst und ist jetzt gleichauf mit dem Schweden Marcus Berg führend.


"Eine Form von Überheblichkeit"

Trotzdem war es mitnichten so, dass dieses Spiel aus deutscher Perspektive nur solch schöne Geschichten geschrieben hätte. Nahezu die gesamte erste Hälfte war die deutsche Mannschaft damit beschäftigt, die eigenen Nerven und auch die flinken Rumänen in den Griff zu bekommen.


Und die Gegentore fielen nach individuellen Fehlern, wie man sie nicht oft gesehen hat bei dieser U21. Vor dem 1:2 unmittelbar vor der Pause schoss Maximilian Mittelstädt Mitspieler Maximilian Eggestein an, es folgte ein Bilderbuchangriff von Rumänien und dann passte die Abstimmung zwischen Mittelstädt und Timo Baumgartl nicht, George Puscas traf per Kopf.


Er habe insgesamt eine "Form von Überheblichkeit" wahrgenommen, sagte Kuntz, deshalb sei er in der Halbzeit sehr laut geworden. "Wir haben drüber gesprochen, ob wir uns als Mannschaft dieses Jahrgangs so verabschieden möchten." Das wollte offensichtlich niemand, das Ergebnis ist bekannt. Doch gegen die Spanier wird eine gute Halbzeit wohl nicht mehr reichen, wenn die andere ähnlich schwach ist, wie es die erste gegen Rumänien war.


Zum Original