Tim Beyer

Freier Journalist, Köln

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U21-EM: Marco Richter - mit Bolzplatzmentalität zum Durchbruch

Gegen Dänemark machte Deutschlands U21-Nationalspieler Marco Richter ein Spiel, an das er sich noch lange erinnern wird. Es könnte ein Wendepunkt in seiner Karriere werden.


Manchmal reichen wenige Minuten, um die Karriere eines Fußballers für immer zu verändern. Im Fall von Deutschlands U21-Nationalspieler Marco Richter wird man sich womöglich noch lange an 38 spektakuläre Minuten im ersten Gruppenspiel gegen Dänemark erinnern, in denen er zwei Tore erzielt und ein drittes vorbereitet hatte.


Als Richter in der 70. Minute von Trainer Stefan Kuntz ausgewechselt wurde, erhoben sich die Fans im Stadion und applaudierten, zumindest jene, die es mit dem deutschen Team hielten. Lauter war es an diesem Abend in Udine nie.


3:1 gewann Deutschland, der Start ins Turnier war geglückt, und das hatte eine Menge zu tun mit Richter. Dass der 21-Jährige zum Spieler des Spiels gewählt wurde, war nur folgerichtig. Als er eine Stunde nach dem Abpfiff in die Mixed Zone kam, sagte er: "So ein Sieg ist immer geil, ein überragendes Gefühl. Ich kann das alles noch gar nicht richtig glauben."


Tordebüt für den DFB

Nationalspieler ist Richter noch nicht lange, vielleicht hatte man ihn zuvor einfach übersehen, womöglich war er auch zu unangepasst. Gegen Dänemark machte der Linksaußen überhaupt erst sein sechstes Spiel für den DFB, das fünfte für die U21 - und seine ersten beiden Tore.


Das erste war ein Linksschuss, wuchtig und platziert, von Dänemarks Verteidiger Victor Nelsson noch leicht abgefälscht (27. Minute). Vor dem zweiten erlief er einen missglückten Rückpass von Mads Pedersen, sprintete dann Richtung Tor, schlug einen Haken und vollendete mit einem Schuss gegen die Laufrichtung von Torhüter Daniel Iversen (52.). Anschließend rutschte Richter auf Knien über den Rasen von Udine, so schwungvoll, als wollte er nie anhalten.


Dass der Linksaußen später auch noch den Treffer von Luca Waldschmidt mit einem klugen Pass vorbereitete (65.), rundete seine Leistung ab. Schon sein Einsatz von Beginn an war eine kleine Überraschung gewesen, hatte doch bislang meist Nadiem Amiri im linken Mittelfeld begonnen.


Verständnis für die "Bolzplatzmentalität"

Als U21-Trainer Kuntz nach dem Spiel gefragt wurde, mit welchem psychologischen Kniff er Richter zu dieser Leistung motiviert habe, sagte er: "Marco hat eine Bolzplatzmentalität, da muss man aufpassen, nicht zu viele Regeln aufzustellen." Und womöglich war das eine kluge Herangehensweise, denn mit Regeln hatte es Richter noch nie so.


Bei seinem Klub, dem Bundesligisten FC Augsburg, fällt er wegen seines unkonventionellen Spiels auf, zu dem famose Dribblings und sehenswerte Tore gehören, mitunter aber auch eine Laissez-faire-Einstellung, die sich nicht immer gut vertrug mit der Bereitschaft, auch in der Defensive mitzuarbeiten. Man könnte auch sagen: Es gab eine lange Zeit sicher viele Spieler, die fleißiger waren. Wenn man Richter glauben darf, gehört all das der Vergangenheit an. "Ich habe einiges geändert", sagte er.


Als Richter noch für die U23 der Augsburger spielte, musste er einmal sogar in einem ungewaschenen Trikot spielen. Das hat er der "Süddeutschen Zeitung" kürzlich erzählt. Es war die Strafe des Zeugwarts, weil Richter sein Trikot zuvor nicht dort verstaut hatte, wo es hingehörte: in der Trikottasche. Auf der anderen Seite gab es diese Spiele, in denen es eine pure Freude war, ihm beim Fußballspielen zuzuschauen. Einmal erzielte er in einem Pflichtspiel für die U23 gar sieben Tore.


Auch mit der Ernährung hat es der 21-Jährige offenbar nicht immer ganz genau genommen. Jedenfalls hat der U21-Trainer Kuntz nach dem Spiel noch von einigen intensiven Gesprächen erzählt, die er schon mit seinem Spieler geführt habe. "Ich hatte früher den Eindruck, dass Marco abends auch mal etwas isst, was nicht ganz so optimal ist. Er hat das aber geändert."


Bislang war die Geschichte von Marco Richter die eines jungen Fußballers, der sich nicht immer professionell verhielt und zu selten sein Talent abrief. Es scheint, als tue Richter nun alles, um seine Geschichte umzuschreiben. Am Donnerstag spielt Deutschlands U21 gegen Serbien. Dann bietet sich die nächste Chance dazu.

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