Dänemarks Fans träumen von einer neuen Ladung "Danish Dynamite" wie bei der EM 1992. Denn sie haben endlich wieder einen Superstar, der auf der Einkaufsliste der großen Klubs Europas steht.
Am Ende, als Dänemark Mitte November 2017 Irland 5:1 geschlagen und sich als letztes europäisches Team in den Playoffs für die WM in Russland qualifiziert hatte, taten die Fans etwas, das bei aller Euphorie so nicht zu erwarten war: Dänemarks Anhang besang mit Nationaltrainer Åge Hareide den Mann, der bei einigen von ihnen lange einen schweren Stand gehabt hatte.
Hareide übernahm den Job im März 2016 von Morten Olsen, und der wiederum war gut 16 Jahre für die Dänen das, was Joachim Löw für viele Fans in Deutschland ist: ein smarter Anführer, der offensiven Fußball predigte und damit lange Erfolg hatte.
Nun lagen die besten Zeiten unter Olsen bereits einige Jahre zurück, sowohl für die WM 2014 als auch für die EM 2016 konnte sich Dänemark nicht qualifizieren. Doch Olsens Verdienste waren eben einfach groß. Als dann mit Hareide ausgerechnet ein Norweger als Nachfolger vorgestellt wurde, löste das nicht unbedingt Jubelstürme aus.
Als Vereinstrainer in ganz Skandinavien erfolgreich
Dabei hatte Hareide als Vereinstrainer in ganz Skandinavien Erfolg: In Dänemark zum Beispiel führt er Bröndby IF 2002 nach vierjähriger Durststrecke zur neunten Meisterschaft. Den südschwedischen Klub Malmö FF brachte er zweimal in die Gruppenphase der Champions League, bevor er Dänemark übernahm.
Die Spieler schwärmen von ihrem neuen Coach - von seiner Erfahrung, seiner taktischen Finesse und seinen emotionalen Ansprachen. "Åge hat gesagt, dass wir es wie die Wikinger machen sollen: wir sollten die Macht ergreifen und alles plündern", sagte Thomas Delaney, der im zentralen Mittelfeld Dänemarks Ballschlepper und Stratege zugleich ist, nach dem Triumph in Dublin.
Delaney gehört zu den Spielern, die aus Dänemarks Kollektiv herausragen, ohne dabei gleich zur Kategorie der Superstars zu gehören. Auch Torhüter Kasper Schmeichel (Leicester City) und die Innenverteidiger Anders Christensen (Chelsea), Simon Kjaer (FC Sevilla) oder Gladbachs Jannik Vestergaard haben ihre Klasse schon unter Beweis gestellt. Und dann sind da noch die talentierten Offensiven wie Kasper Dolberg (Ajax Amsterdam) und Pione Sisto (Celta Vigo), die erst noch zeigen müssen, dass sie auch bei einer WM für Akzente sorgen können.
Doch über allen thront Christian Eriksen von Tottenham. Wenn man dem 26-Jährigen zuschaut, wie er mit kleinen, schnellen Schritten durchs Mittelfeld marschiert oder mit kurzen Pässen Lücken erkennt, die seine Gegenspieler nicht einmal erahnen, dann versteht man, wieso dieser Mann seit Jahren bei den ganz großen Klubs in Europa gehandelt wird. Das Turnier in Russland könnte seine Bühne werden.
Unter Trainer Hareide nimmt Eriksen auch im dänischen Nationalteam, wo er mitunter abgetaucht war, endlich die Rolle ein, die seinen Qualitäten gerecht wird. Über Eriksen laufen fast alle Angriffe, und dann trifft er plötzlich auch noch. In zwölf Qualifikations-Spielen erzielte Eriksen elf Tore. "König Christian" tauften ihn einige Medien fluchs. "Die WM verdient Christian Eriksen", sagte Hareide. Torhüter Schmeichel, dessen Vater Peter als Schlussmann einst Weltklasse war, sagte über Eriksen: "Verdammt, was für ein Spieler. Ich glaube, wir sollten dankbar sein, dass er Däne ist."
Folgt in Russland der nächste Knall durch Danish Dynamite?
Die Begeisterung darüber, endlich wieder einen Spieler von internationaler Klasse zu haben, kennt in Dänemark keine Grenzen. Manche träumen davon, dass sich das Wunder von 1992 wiederholt: Dänemark war gar nicht für die damalige EM-Endrunde qualifiziert, rückte nur nach, weil in Jugoslawien der Krieg ausbrach. Der Rest ist Geschichte: Die Spieler kamen direkt aus dem Urlaub, während des Turniers ließen sie Training auch mal Training sein und spielten lieber Minigolf. Oder gingen gemeinsam mit dem Trainerteam Burger essen, wie Ex-Stürmer Flemming Povlsen dem Magazin "11Freunde" erzählte.
Trotzdem, oder vielleicht auch gerade deswegen, spielten sie, angetrieben vom überragenden Brian Laudrup, auch noch mitreißenden Fußball. Sie waren so gut, dass sie das Finale gegen Deutschland gewannen, die Überraschung war perfekt. Und die Fans sangen: "We are red, we are white, we are Danish Dynamite." Besser waren die Dänen nie, und die Legende von "Danish Dynamite" kennt bis heute jedes Kind.
Christian Eriksen war zum Zeitpunkts des Finals gerade einmal vier Monate alt. In Russland wollen er und das Team nun zeigen, dass "Danish Dynamite" auch ein Vierteljahrhundert nach dem großen EM-Knall noch überraschen kann. Erste Gelegenheit bekommt das Team in der WM-Vorrunde gegen Peru (16. Juni), danach warten Australien (21.) und Frankreich (26.).