Der Schweizer Fußballklub Young Boys war in den letzten Jahren vor allem ein Synonym für das Scheitern. In dieser Saison könnte der Verein die Meisterschaft gewinnen. Was ist passiert?
Als die Young Boys aus Bern an einem Dienstagabend Ende Februar im Halbfinale des Schweizer Pokals auf den FC Basel trafen, zeigte das Thermometer zehn Grad unter Null an. Auf der Tribüne zitterten gut 23.500 Zuschauer, und die überwiegende Zahl von ihnen hoffte auf einen Sieg von YB, wie die Young Boys auch genannt werden. Ihre größte Sorge aber war nicht die klirrende Kälte, sondern der Gedanke, die Gelb-Schwarzen könnten es einmal mehr "veryoungboysen", sprich: eine große Chance leichtfertig vergeben.
In der Schweiz erzählt man sich, ein Blogger habe bei der WM 2006 mit einigen Kumpels zusammen zunächst das Wort "verstrellern" erfunden, als der damalige Nationalspieler Marco Streller im Elfmeterschießen gegen die Ukraine kläglich vergab. Weil Streller ansonsten häufig traf, brauchten sie bald ein neues Ziel und fanden es in den Young Boys, dem Lieblingsklub des Bloggers.
Bei YB haben sie schon immer ein gewisses Talent dafür bewiesen, im ungünstigsten Moment alles zu "veryoungboysen": Mal verlor Bern ein Pokalfinale trotz zweimaliger Führung, dann schied man gegen einen Fünftligisten aus, und zuletzt wurde man zweimal hintereinander deshalb nur Zweiter, weil man in Spielen gegen vermeintlich unterlegene Konkurrenten patzte. Suchte man in der Bundesliga ein Äquivalent zu den Young Boys der letzten Jahre, es wäre wohl eine Mischung aus Bayer Leverkusen und dem Hamburger SV.
Das lange Warten, 1986 wurde Bern zuletzt Meister, ein Jahr später Pokalsieger, und die vielen Enttäuschungen und Skandale haben zu einem ironischen Umgang mit den Young Boys geführt. "Veryoungboysen" kann man nicht nur Fußballspiele, sondern auch Abiturprüfungen oder Beziehungen. Es ist im deutschsprachigen Teil der Schweiz zum geflügelten Wort geworden. Nur in Bern würden sie es gerne wieder aus dem Wortschatz streichen.
An diesem kalten Februarabend aber zeigte sich YB von seiner seriösen Seite, 2:0 hieß es am Ende gegen Basel. Auf der Tribüne sangen sie gegen die Kälte an, unten tanzten die Spieler. Möglicherweise wurde einigen von ihnen erst in diesem Moment bewusst, was sie da vollbracht hatten: Bern stand nicht nur im Pokalfinale, sondern war auch noch Erster in der Liga. Auf über 30 titellose Jahre könnte direkt das Double folgen.
Das Ende der Langeweile
Viele Jahre kämpfte die Schweizer Super League gegen die Langeweile an, weil der Meister eigentlich schon vor dem Saisonstart feststand. Es war wie in der Bundesliga, nur dass die Bayern der Schweiz aus Basel kommen. Achtmal hintereinander holte Basel den Titel. Momentan sieht es nicht danach aus, als käme ein neunter hinzu.
Am Ostermontag treffen die Young Boys und der FC Basel in der Liga wieder aufeinander. Sollte YB gewinnen, käme das zehn Spieltage vor Saisonende einer Vorentscheidung in der Meisterschaft gleich: Bern ist mit 61 Punkten Tabellenführer, Basel nur Zweiter mit 45 Zählern, hat aber ein Spiel weniger absolviert. "Wir haben sicher eine sehr vielversprechende Ausgangslage", sagt Berns Sportchef Christoph Spycher. Man ist vorsichtig, das M-Wort kommt ihm nicht über die Lippen.
Als Spycher im Herbst 2016 zum Sportchef ernannt wurde, musste er sich mit dem Investoren-Brüderpaar Andy und Hansueli Rihs auseinandersetzen, das für ausbleibenden Erfolg nicht mehr zahlen wollte. Er musste das nörgelnde Umfeld befrieden, eine überalterte und überbezahlte Mannschaft umbauen und dabei möglichst noch sehr viel Geld einnehmen.
Spieler wecken Begehrlichkeiten
Anderthalb Jahre später hat Spycher gemeinsam mit Trainer Adi Hütter den Kader verschlankt und ein junges Team aufgebaut, das Begehrlichkeiten in ganz Europa weckt. "Die Schweizer Liga ist wahrscheinlich die beste Ausbildungsliga für Klubs aus England, Deutschland, Frankreich oder Italien", sagt Spycher. Er rechne damit, im Sommer den einen oder anderen Spieler für viel Geld abzugeben, so wie er das schon 2017 mit Denis Zakaria (Mönchengladbach), Yvon Mvogo (Leipzig) und Yoric Ravet (Freiburg) tat. Bern kassierte für sie knapp 21 Millionen Euro.
In Gladbach haben sie mit Zakaria so gute Erfahrungen gemacht, dass Manager Max Eberl neulich wieder in Bern vorbeischaute. Vielleicht war er wegen Angreifer Roger Assalé, Rechtsverteidiger Kevin Mbabu oder Innenverteidiger Kasim Nuhu da - sie alle sind jedenfalls umworben. "Sie sind jung, haben unglaubliches Potenzial und werden sicherlich bald in einer Top-Liga spielen", sagt Spycher. Schon im Winter stand sein Telefon selten still. Damals, so sagt er, habe es Angebote für einzelne Spieler und Anfragen für Trainer Hütter gegeben. Doch man habe sich darauf verständigt, erst einmal niemanden abzugeben, um "die größtmögliche Wahrscheinlichkeit zu haben, in diesem Sommer Geschichte zu schreiben".
Wer genau liest, kann den Traum von Meisterschaft und Pokalsieg zwischen den Zeilen dann doch erahnen. Nur aussprechen mag die Titelfantasien kaum einer - als könne man sie allein dadurch schon "veryoungboysen". Und dabei wirkt es doch, als gehöre das endgültig der Vergangenheit an.
Anmerkung: In einer früheren Version hatte wir von den Young Boys als "die Schwarz-Gelben" geschrieben. Wir haben die Stelle korrigiert.