Manchmal braucht es nur ein kleines Stückchen Stoff, um ein ganzes Land in Aufregung zu versetzen. So wie im Fall des 30-jährigen Georgiers Guram Kashia. Dem gehören in seiner Heimat die Schlagzeilen, seitdem er bei einem Spiel seines niederländischen Vereins Vitesse Arnheim statt der üblichen schlicht weißen oder blauen Kapitänsbinde eine regenbogenfarbene getragen hat.
Es sollte ein Zeichen für Toleranz und gegen die Unterdrückung sexueller Minderheiten sein, doch in georgischen Fan- und Journalistenkreisen kam das gar nicht gut an. Dabei trug nicht nur Kashia eine solche Regenbogenbinde, er war Teil einer landesweiten Aktion, an der die Spielführer vieler Erst- und Zweitligisten in den Niederlanden teilnahmen, der Frauenfußball zog auch mit, einige Amateurvereine schlossen sich ebenfalls an. Dafür angefeindet wird aber nur Kashia.
Keiner polarisiert so sehr wie Kashia
In seiner Heimat wird Kashia, ein Mann mit kantigem Körper und auffälligem rotbraunen Vollbart, schon immer dafür verehrt, dass er das Spiel interpretiert wie eine kaukasische Mischung aus Sergio Ramos und Sokratis. Kashia, georgischer Fußballer der Jahre 2012 und 2013, war nie nur irgendein Nationalspieler, er war der Liebling der Fußballfans in seiner Heimat, sie feierten ihn immer einen Tick enthusiastischer als seine Mitspieler.
Der 15. Oktober ist der Tag, der den Blick vieler Georgier auf ihr Idol veränderte: Für einige endete die Verehrung mit dem Tragen eines kleinen Stückchens Stoff, für andere begann genau mit ihm die Heldwerdung des Guram Kashia. Als die Partie der niederländischen Eredivisie bei Heracles Almelo beendet war, hatten sich Georgiens Fußballfans in zwei Lager aufgeteilt. Unter ihnen sind viele, die sich ein aufgeschlossenes Georgien wünschen, in dem die sexuelle Orientierung eines Menschen Privatsache ist. Sie hatten kein Problem mit Kashias Aktion. Gehört hat man allerdings vorwiegend von denen, die in dem Abwehrchef der Nationalmannschaft plötzlich nur noch einen Verräter der georgischen Werte erkennen wollten.
Übergriffe auf sexuelle Minderheiten
Um das zu verstehen, muss man die gesellschaftlichen Verhältnisse in Georgien, einem Land an der Grenze zwischen Europa und Asien, genauer betrachten. Der überwiegende Teil der Bevölkerung ist Mitglied der orthodoxen Kirche Georgiens, deren Oberhaupt Patriarch Ilia II. Homosexualität als "anormal und eine Krankheit" bezeichnet. Das georgische Recht sieht eine Diskriminierung zwar nicht vor, in der Realität aber gibt es immer wieder Überfälle und Übergriffe auf Schwule und Lesben.
Laut einer Umfrage des US-Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center waren 93 Prozent der zwischen 2015 und 2016 befragten Georgier der Meinung, Homosexualität dürfe in der Gesellschaft nicht akzeptiert werden. Das Auswärtige Amt weist darauf hin, dass die Akzeptanz sexueller Minderheiten geringer als in Westeuropa ist, gewalttätige Übergriffe seien nicht ausgeschlossen.
Manchmal reicht es aber auch schon, sich mit den Angehörigen sexueller Minderheiten zu solidarisieren, um den Hass anderer auf sich zu ziehen.
Shitstorm für Kashia
Guram Kashia hat das selbst erfahren müssen. In den sozialen Netzwerken wurde er fortan mit Hass-Kommentaren überschüttet, der Tenor: Kashia solle doch bitte für immer in den Niederlanden bleiben und sich nie wieder in Georgien blicken lassen, um nur die harmloseren Aussagen in abgemilderter Form wiederzugeben. Auch renommierte Journalisten ergriffen Partei gegen den Kicker. Einer von ihnen, Giorgi Gigauri, forderte in der namhaften Zeitung "Asaval-Dasavali", Kashia müsse ein für alle Mal aus der Nationalmannschaft ausgeschlossen werden, sonst würden viele Fans deren Spiele boykottieren.
Immerhin meldet sich nun Levan Kobiashvili, ein ehemaliger Bundesliga-Legionär, der heute Präsident des Fußballverbandes von Georgien ist, zu Wort. Auf Anfrage des SPIEGEL teilte Kobiashvili mit, Kashia sei nicht nur ein wichtiger Spieler, sondern ein "wunderbarer Mensch", der gezeigt habe, dass der Sport für alle Menschen offen sein müsse, "unabhängig von ihrem kulturellen Hintergrund, ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung oder Religion".
Es sind schöne Worte, doch werden ihnen auch Taten folgen? Eine klare Antwort auf die Frage, wie der Verband konkret gegen die Journalisten vorzugehen gedenke, die Kashia allein für sein Engagement angefeindet haben, blieb Kobiashvili schuldig. Dafür sagte er, der Verband setze sich immer und überall für die Meinungsfreiheit ein: "Wir werden keinerlei Aggressionen gegenüber Mitgliedern unserer Fußballfamilie, die öffentlich ihre Meinung äußern, zulassen."
Weil Schweigen manchmal Gold ist
Es ist schon kurios. Alle reden sie in diesen Tagen über Kashia, doch der Fußballer, der Georgien spaltet wie kein Zweiter, schweigt eisern. Interviews gibt er nicht, auf eine Anfrage des SPIEGEL erklärte ein Vereinssprecher von Vitesse Arnheim, Kashia habe dazu bereits alles gesagt.
Einmal nur hat sich Guram Kashia im niederländischen Fernsehen geäußert, er sagte: "Solange du niemanden schadest und ein guter Mensch bist, kannst du doch sein, wie und wer du möchtest. Das ist meine Vision."
Eine Vision, die viele seiner Landsleute noch nicht zu teilen bereit sind.