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Bertelsmann hat ein "Wachstumsproblem"

Der neue Chef bei Bertelsmann, Thomas Rabe, sucht nach einem Weg, dem Konzern frisches Kapital zu verschaffen. Der Börsengang scheint dabei wenig aussichtsreich - vor allem weil die Mohns Herren im eigenen Hause bleiben wollen. ____


Von Thomas Schuler_____


Seit mehr als zehn Jahren war die Villa neben dem Wohnhaus von Liz Mohn in Gütersloh verwaist - seit dem Wegzug des ehemaligen Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden Mark Wössner aus dem Bertelsmann-Unternehmenssitz im Jahr 2000. Damals hatte sich die Eigentümerfamilie Mohn mit ihm zerstritten über der Frage, wer eigentlich das Sagen hat: die Manager oder die Familie. Die Mohns setzten sich durch, Liz Mohn an vorderster Front. Bis Juli stand Wössners Name noch am Gartentor. Jetzt bekommt die Villa einen neuen Hausherrn: Thomas Rabe, der seit Anfang des Jahres an der Spitze des Unternehmens steht, zieht in die Villa ein, die Bertelsmann gehört.


Der 47-jährige Rabe bewohnt die obere Etage - das ist seine Art, sich zu Gütersloh zu bekennen in Zeiten, in denen er die Zukunft von Bertelsmann auf anderen Kontinenten sucht. An den Wochenenden fährt er nach Berlin, wo er mit seiner Frau wohnt. Das Erdgeschoss wurde zu einem Tagungszentrum umgebaut. Dort will Rabe künftig seine Mitarbeiter um sich versammeln, um in Ruhe die Strategie des Konzernumbaus zu beraten. Vergangene Woche erlebte das Haus die Premiere, als Rabe 500 Führungskräfte aus aller Welt in Gütersloh empfing. Zwei Tage hörten die Mitarbeiter Reden, sahen Filme über die Stadt und ihren Konzern, lauschten Präsentationen und ließen sich von Rabe auf dessen Strategie einschwören.


Seit dem Wechsel von Mark Wössner zu Thomas Middelhoff 1998 fand das regelmäßige Managertreffen erstmals wieder in Gütersloh statt. Auch das ist eine freundliche Geste von Rabe, der zugleich den Schwerpunkt stärker in den USA, nach Südamerika und vor allem nach Asien verschieben möchte. Rabe hat sogenannte Corporate Center in China, Indien und Brasilien eröffnet, um in diesen Ländern Partner zu suchen. Bei der Eröffnung einer solchen Botschaft in Delhi war im Februar auch Shobna Mohn dabei, die in Neu-Delhi geborene Ehefrau des Konzernerben Christoph Mohn, der ab 2013 dem Aufsichtsrat vorsitzen wird und Rabe bei der Neuausrichtung unterstützen will. Die 47-jährige Finanzmanagerin Shobna Mohn wird laut Handelsblatt bei der digitalen Aufholjagd des Konzerns eine zentrale Rolle spielen und soll nach Zukäufen und Investments in Indien, China und Brasilien suchen.


Analyse der Schwächen

Manche der Manager sahen die Firmenzentrale vergangene Woche das erste Mal, wie Rabe hinterher sagte. Im Interview mit der eigenen PR-Abteilung sagte er, die Mitarbeiter „haben verstanden, wohin wir den Konzern führen wollen. Ich glaube, sie sind begeistert von diesen Zielen." Er sprach von einer „sehr guten Veranstaltung".


Konkret wurde er aber nur bei der Analyse der Schwächen: „Wir haben ein Wachstumsproblem." Bertelsmann generiere nach wie vor 80 Prozent seiner Umsätze in Europa und wachse zu wenig. Das soll sich ändern. Seine Strategie fasste er mit den Worten zusammen: „Das Ziel ist, dass Bertelsmann einfach stärker wächst, internationaler wird und digital führend."


Es waren die selben Ankündigungen, die schon seit Monaten von Rabe zu vernehmen sind - im Februar in einem Interview mit dem Spiegel, im März auf der Bilanzpressekonferenz und im April im Magazin Inside, das sich auf Deutsch und englisch an alle Mitarbeiter wendet. Unter dem Titel „In 100 Tagen um die Welt" hieß es da, Rabe habe in den ersten drei Monaten im Amt bereits 350 Manager in aller Welt besucht, von New York bis Sao Paulo und Harare, von Paris bis Peking, er habe intensiv diskutiert und Aufbruchstimmung vermittelt. Dabei ist es allerdings auch geblieben.


Aber was sollte er auch sonst tun? In Rabes Ankündigungen geht es um einen Umbau des Konzerns, der in den nächsten fünf bis zehn Jahren stattfinden soll und bei dem immer noch unklar ist, woher das Geld dafür kommen wird. Fest steht nur, dass Bertelsmann dazu mehrere Milliarden Euro benötigt. Wegen des Rückkaufs von Anteilen ist das Unternehmen allerdings noch mit vier Milliarden Euro verschuldet.


Unterdessen ist Rabes Plan, Bertelsmann nach einem gescheiterten Versuch vor einigen Jahren nun doch an die Börse zu bringen, in weite Ferne gerückt. Er hat mit Wirkung von 20. August die Rechtsform des Konzerns von einer AG in eine SE & Co. KGaA geändert, damit die Familie im Falle eines Börsenganges die Kontrolle behalten kann. Doch die Vorsichtsmaßnahme hat wenig geholfen. Die Eigentümerfamilie Mohn sperrt sich angeblich weiter gegen einen Börsengang, weil sie um ihre Eigenständigkeit fürchtet.


Rabe vermied das Thema während seiner Präsentation vergangene Woche. In einem FAZ-Interview sagte er: „Die Familie möchte Herr im eigenen Haus bleiben." Gegen einen Börsengang spreche, dass die Finanzmärkte ein Konglomerat wie Bertelsmann nicht liebten und deshalb den Wert minderten. Das ist ein verklausulierter Hinweis, dass man der Öffentlichkeit die Geschäfte der Druck- und Dienstleistungssparte Arvato nur schwer vermitteln kann.


Risiko Dienstleistung

Dazu kommen bei dieser Sparte offenbar spezielle Gefahren. Im Halbjahresfinanzbericht ist von rechtlichen und regulatorischen Risiken die Rede, die sich auf Geschäfte von Arvato auswirken könnten. Es könnte ein Hinweis sein, dass das Geschäft der Callcenter und Kundenbindungsprogramme schwieriger wird, weil sie Kunden nicht mehr ohne deren Erlaubnis direkt am Telefon werben dürfen.


Aber wusste Rabe das nicht bereits im März, als er den Börsengang in den Mittelpunkt seiner Vision stellte? Nun muss er zurückrudern und tut, als sei die Börse nur eine von vielen Ideen. Allerdings war es auch seine bislang konkreteste Idee, um an Geld zu kommen und damit Zukäufe für Wachstum zu tätigen. Jetzt spricht er von einer Mischfinanzierung über Kredite und neuer Verschuldung, Verkäufe und Fremdbeteiligungen und Fonds und Privat Equity. Klar sei auch, „dass ein Umbau dieser Art und Größe nur erfolgreich sein wird, wenn wir dem Unternehmen Eigenkapital zuführen."


Welche Schritte wird Bertelsmann angehen? Den Zeitschriftenverlag Gruner+Jahr ganz übernehmen und die Familie Jahr für ihren 25-prozentigen G+J-Anteil im Gegenzug mit vier bis fünf Prozent am gesamten Unternehmen beteiligen? Den Wissenschafts-Verlag Springer kaufen, den Bertelsmann einst verkauft hat? Dazu wäre eine Milliardeninvestition nötig. Die Buchsparte Random House mit einem anderen Verlagshaus fusionieren und sich die Beteiligung bezahlen lassen? Im Visier sind die US-Verlage Penguin Books und Harper Collins. Fremde Investoren an der RTL Group beteiligen, um an Geld für Investitionen zu kommen? Immerhin könnte Bertelsmann die Beteiligung an der Fernsehsparte, die jetzt bei 92 Prozent liegt, deutlich reduzieren, ohne die Kontrolle zu verlieren. Allerdings müsste das Unternehmen dann künftig auf einen Teil der RTL-Gewinne verzichten, die jetzt das gesamte Unternehmen nähren.


Geklärt ist bislang nichts. Bei Rabe allerdings klingt das ganz anders. Er fasst die Lage optimistisch mit den Worten zusammen, dass Bertelsmann über viele Optionen und Möglichkeiten verfüge.

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