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Artikel

Kinder als Exportschlager / Wiener Zeitung / 2010

Von Thomas Schuler


Auslandsadoptionen sind oft ein Deckmantel für Kinderhandel. Besonders schlimm war (und ist zum Teil noch) die Situation in Rumänien. Die ehemalige EU-Beamtin Roelie Post kämpft massiv dagegen an. Als die Kinderrechtsaktivistin Roelie Post sich vor einigen Monaten mit einem Dolmetscher und einem Filmteam in den Nordosten Rumäniens aufmachte und Marineta Ciofu aufsuchte, hörte sie eine Geschichte, die sie so oder so ähnlich schon oft gehört hatte. Frau Ciofu hatte keine Ahnung, was mit ihrem Kind passiert war. Vor fast zehn Jahren musste sie ihre uneheliche Tochter aus Armutsgründen in einem Babyheim zurücklassen - mit der festen Absicht, sie zurückzuholen, sobald es ihr besser gehen würde.


Dann plötzlich war ihre Tochter verschwunden. Wohin, wollten die Behörden der Mutter nicht sagen. Erst zehn Jahre später erfuhr Marineta, dass das Mädchen von einer amerikanischen Familie adoptiert wurde. "Wie kann jemand ein Kind wegnehmen ohne meine Unterschrift?", fragte Frau Ciofu. Die Journalistin Golineh Atai hat das dokumentiert. Ihr Film "Suche Kind - zahle bar. Die Adoptionslobby" lief im September 2009 im Westdeutschen Fernsehen (WDR).


Adoption gegen Armut?


Roelie Post, 50, war zwanzig Jahre lang Beamtin in der Europäischen Union, von 1999 bis 2005 zuständig für die EU-Erweiterung und Auslandsadoptionen aus Rumänien. Den Job musste sie nicht ganz freiwillig aufgeben. Seitdem beschäftigt sich die Brüsseler Beamtin mit Kinderhandel in Auslandsadoptionen. Und hilft heute Rumänen, deren Kinder von Ausländern adoptiert wurden.


"Armut ist kein Grund, um Kinder wegzunehmen", sagt Roelie Post. "Armut ist keine Krankheit. Es wird immer gesagt: Die Kinder haben es besser. Aber internationale Adoptionen sind keine Lösung für diese Armut. Sie verschlimmern die Situation nur, weil die Leute auch noch ihr Kind verlieren."


Nach dem Ende des Kommunismus wurden innerhalb von zehn Jahren mehr als 30.000 rumänische Kinder ins Ausland vermittelt. Die meisten von ihnen waren keine Waisen. Mitunter wurden Kinder zur Adoption freigegeben, deren Eltern nie ihr Einverständnis dazu gegeben hatten. Etwa 30.000 Dollar zahlten Amerikaner für ein Kind.


Etwa die Hälfte dieser Kinder kamen in die USA, die andere Hälfte nach Europa. In Deutschland kommen auf ein zur Adoption freigegebenes Kind etwa zehn Paare, die eines suchen. Viele deutsche Paare entscheiden sich deshalb für eine Auslandsadoption; etwa 40 Prozent machen sich auf eigene Faust auf die Suche und zahlen Vermittlungsgebühren unter der Hand. Etwa ein Drittel der in Deutschland adoptierten Kinder (insgesamt 709) kam 2007 aus dem Ausland, die meisten aus Russland und der Ukraine.


Weltweit führend bei Auslandsadoptionen sind die USA. In Europa liegen Italien, Spanien und Frankreich an der Spitze. Gemessen an der Gesamtbevölkerung ist der Anteil fremdländischer Kinder in Schweden und Norwegen am größten.


In Rumänien leben heute 22.000 Kinder in stark verbesserten, staatlichen Heimen; weitere 21.000 sind bei Pflegeeltern untergebracht. Nur 700 bis 800 gelten als adoptionsfähig. Auf jedes dieser Kinder warten zwei bis drei rumänische Paare, wie der Vertreter von Unicef in Rumänien bestätigt. Ausländische Bewerber werden also nicht benötigt.


Kaum hatte Rumänien 2001 ein Moratorium für Auslandsadoptionen durchgesetzt, prozessierte eine amerikanische Vermittlungsagentur dagegen - ohne Erfolg. Die USA forderten zahlreiche Ausnahmen. Angeblich ging es dabei nur um Fälle, deren Verfahren vor dem Stopp begonnen wurde. Doch die meisten wurden erst danach in die Wege geleitet. Bis 2004 wurde fast täglich eine Ausnahme durchgesetzt - auf diese Weise kamen noch einmal rund tausend Kinder ins Ausland. Roelie Post, die nicht wegsehen wollte, störte da nur. Als ihr Chef Günther Verheugen sein Amt als EU-Kommissar für die Erweiterung abgab, wurde Roelie Post über Nacht versetzt.


Als Therapie schrieb die Niederländerin ihre Erlebnisse auf und verlegte das Buch 2007 im Selbstverlag: "Romania - For Export Only". Zahlreiche im Buch genannte Personen, deren problematische Rolle sie beschrieb, bestellten es bei ihr. Aber niemand wagte es, Klage einzureichen. Gegenüber dem WDR sagte Verheugen: "Es gibt eine sehr gut organisierte Lobby, die unter dem Deckmantel von Adoptionen in Wahrheit eine Art von Kinderhandel betreibt".


Als der rumänische Premierminister Adrian Nastase 2001 den US-Verteidigungsminister Colin Powell besuchte, forderte dieser, es müsse vom Adoptionsstopp Ausnahmen geben. Verheugen erklärte, dass die USA "eine politische Verbindung hergestellt haben zwischen der Freigabe von Kindern zur Adoption, und dem Beitritt Rumäniens zur Nato, das habe ich nicht für möglich gehalten". Der politische Druck sei "immer wieder aus denselben Ländern" gekommen, so Verheugen: aus Frankreich, aus Italien, Spanien, aus Israel und aus den USA.


Der Bürgermeister von Bukarest verkündete die Ausnahmen sogar auf einer "Lobbyliste". Für jedes adoptierte Kind stand ein Spitzenpolitiker Pate: US-Senatoren wie Edward Kennedy, John Kerry, sogar Romano Prodi, der EU-Kommissionspräsident. "Ich war entsetzt", sagte Verheugen. "Ich habe dann die Kollegen in Brüssel ins Bild gesetzt." Prodi zog sich zurück, aber der italienische Staatschef Silvio Berlusconi forderte und erhielt hundert Ausnahmekinder für Adoptiveltern.


Verheugen zog eine ernüchternde Bilanz: "Die Frage der rumänischen Kinder war für mich eine der bittersten und schmerzhaftesten Erfahrungen meines ganzen politischen Lebens."

War? Beginnt nun alles von vorne? Als die Europäische Kommission und der Europarat Anfang Dezember 2009 rund 150 Experten und Regierungsvertreter zu einer zweitägigen Konferenz nach Straßburg einluden, ging es offiziell um die Aktualisierung einer Konvention aus dem Jahr 1967. Roelie Post dagegen wusste es besser. In Wirklichkeit, sagt sie, sei es darum gegangen, den rumänischen Markt zu öffnen, und zwar unter dem Deckmantel der Einführung einer sogenannten Europäischen Adoption. Die Vorbereitungen für die Öffnung des Marktes in Rumänien laufen seit Jahren. Einer der Drahtzieher ist der Chef der französischen Adoptionsorganisation "Sers", François de Combret.


Jede Adoption innerhalb Europas soll künftig europäisch sein. Registriert und überwacht von einer europäischen Adoptionsbehörde. Das würde die Abschaffung der nationalen Adoption bedeuten. Nicht mehr Kommunen, sondern die EU wäre zuständig. Am Ende des zweiten Konferenztages präsentierte die Vertreterin der Kommission Studien, die angeblich belegen, dass sich die Bürger in Europa eine solche europäische Regelung wünschten. Alle im Saal, die davon hören, waren überrascht. Außer Roelie Post.


Sie bezieht übrigens ihr Gehalt weiter aus Brüssel und darf mit Erlaubnis der EU offiziell in ihrer Organisation gegen Kinderhandel ("Against Child Trafficking") arbeiten. Eine merkwürdige Situa- tion, denn immerhin bekämpft ihre Organisation die Politik der EU. Roelie Post bezahlt alle Ausgaben für ihr Engagement selbst. In ihrer Arbeit wird sie von Arun Dohle aus Aachen unterstützt.


Roelie und Arun verbindet ein gemeinsames Ziel: die Abschaffung der Auslandsadoption. An der Wand ihres Büros hängt eine Weltkarte mit grünen, roten und blauen Stecknadeln. Grün sind die "offenen" Adoptionsländer, rot jene Länder, welche ihre Türen geschlossen halten. Blau steht für die Regionen, in denen Roelie Post und Arun Dohle bisher recherchiert haben: Malawi, Äthiopien, China, Peru und Indien. Ihr Ziel ist eine rote Welt. In fünf Jahren sollen Auslandsadoptionen gestoppt sein.


Roelie Post und Arun Dohle stoßen immer wieder auf Fälle, bei denen Papiere manipuliert und Kinder fälschlicherweise als Waisen vermittelt wurden, weil jemand gut daran verdiente. Hundert solcher Fälle haben sie bisher gesammelt. Sie glauben, dass weit mehr Adoptionen fehlerhaft verlaufen.


Die Arbeit von Dohle und Post sei wichtig, sagt Wolfgang Weitzel, der Leiter der Bundeszentralstelle für Auslandsadoption in Bonn, denn es gebe zu viele Leute, die ihren Kinderwunsch rücksichtslos durchsetzten. Es sei notwendig, Missstände aufzuklären. Der Verlauf der Konferenz in Straßburg, sagt er, "hat mir Angst gemacht". Eine Anspielung auf den Druck der Adoptionslobby, vor allem aus Italien.


Adoptionslobby


Alles schien sehr gut inszeniert zu sein. Eine junge Teilnehmerin, die sich als Maria Mirabella vorstellte, erzählte, sie sei aus einem Heim in Rumänien nach Italien adoptiert worden und setze sich seit Jahren für ein Ende des Moratoriums ein. Als sie ihr Heim in Rumänien besucht habe, hätten die Kinder sie gebeten, dass sie für ihre Adoption kämpfe. "Mira, tu was, such uns eine Familie, haben sie gesagt. Ich bin gekommen, um diesen Wunsch mitzuteilen." Es war eine von mehreren ähnlichen Wortmeldungen.


Thomas Klippstein, der Chef der deutschen Delegation, die das Justizministerium nach Straßburg entsandt hatte, griff zum Mikrofon und sprach von "vielen Gemeinsamkeiten", aber auch von "erheblichen Unterschieden" unter den Teilnehmern. Die Haager Konvention sei verbesserungswürdig, aber er sei "nicht überzeugt, eine zusätzliche Rechtsebene einzuziehen". Sofern es bei diesem Nein bleibt, ist die Europäische Adoption erledigt.


Roelie Post hatte Klippstein bereits im Vorfeld mehrfach gesprochen und über die Hintergründe aufgeklärt. Er sei interessiert gewesen, sagt sie, habe aber bis zur Konferenz die Zusammenhänge nicht glauben wollen. Der Unmut über den Verlauf der Debatte war ihm anzusehen; Roelie Post und Arun Dohle dagegen wirkten zufrieden. "Wir sind nicht gegen Adoption, sondern gegen Kinderhandel", sagt Roelie Post. "Doch leider lässt sich dies bei Auslandsadoptionen nicht voneinander trennen."


Thomas Schuler, 1965 geboren, lebt als freier Journalist und Buchautor in München.


Printausgabe vom Samstag, 23. Jänner 2010 Online seit: Freitag, 22. Jänner 2010 14:40:04

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