1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Fidels Torpedos

Damals gab es im SPIEGEL noch keine Autorenzeilen (von wenigen Ausnahmen abgesehen).

Dinner des Jahrhunderts" nannte der Amerikaner Marvin Shanken, wozu er jüngst ins Pariser Restaurant Laurent geladen hatte: Für 1000 Dollar Eintritt durften 160 Genießer aus aller Welt am Chateau Lafite-Rothschild, Jahrgang 1924, nippen und bekamen Edles von den Starköchen Alain Ducasse und Joel Robuchon serviert.


Der Bordeaux war nur Beiwerk, ebenso die Haute Cuisine. Höhepunkt des Programms waren die Zigarren, die nach dem Mahl gereicht wurden: zwei kubanische Marken, die "Cohiba Torpedo" und die "Cohiba A", exklusiv für diesen Abend gefertigt. Zu Hause in New York hätte sich Shanken mit dieser Einladung strafbar gemacht; die Einfuhr kubanischer Zigarren ist dort verboten.


Kein Amerikaner erwartet das Ende des US-Wirtschaftsembargos gegen Kuba deshalb so sehnsüchtig wie Marvin Shanken, 50. Die Betonung liegt auf süchtig: Shanken ist passionierter Raucher und hat seine Passion zur Profession gemacht. Mit Cigar Aficionado ("Der Zigarren-Liebhaber") verlegt er ein 3,95 Dollar teures Glanzmagazin, das auf eine stetig wachsende Leserschaft zählen darf.


Gestartet war er im Herbst 1992 mit 100 000 Heften. Inzwischen hat er die Auflage seiner Vierteljahreszeitschrift auf 185 000 Exemplare gesteigert und, schöner noch: "Seit dem ersten Tag wirft das Blatt Gewinn ab."


Im militanten Nichtraucherland Amerika sammeln sich die Zigarrenfreunde, und Shanken will die Stimme dieser Verfolgten sein. Sein Cigar Aficionado wettert gegen Pläne in New York und anderen Städten, Rauchen in allen Restaurants und auf öffentlichen Plätzen zu verbieten. Er warnt vor zigarrenfeindlichen Kneipen, listet zigarrenfreundliche Restaurants auf und ermittelt Versicherungen, die Zigarrenraucher nicht als Risikogruppe einstufen.


Manchmal allerdings geht er der Klientel zu weit. Wütende Leserbriefe ("Sie haben sich mit einem Monster eingelassen") erhielt er nach einem zehnseitigen Exklusiv-Interview mit Fidel Castro. Darin plaudert der kubanische Staatschef freundlich und fachkundig und erzählt, daß er selbst eine der besten Marken, die "Cohiba Esplendido", für den Markt entdeckt habe. Zuvor sei sie nur das private Erzeugnis eines Leibwächters gewesen.


Sehr geschätzt werden dagegen die "Big Smokes", Raucherpartys, die Shanken regelmäßig veranstaltet. 1200 Gäste versammelten sich im Beverly-Wilshire-Hotel in Los Angeles, 900 waren es in Chicago, einige hundert in Miami Beach und mehr als 2500 in New York.

Big smoke ist big business für Shanken: Die Hersteller zahlen 700 Dollar, damit sie ihre edelsten Marken kostenlos verteilen dürfen. Jeder Raucher zahlt 125 Dollar für die Erlaubnis, diese Werbegeschenke entgegenzunehmen.


Die Zeit scheint günstig für Aficionados. Feine Hotels laden jetzt häufig zu Spezialdinners für Zigarrenfreunde, Raucher gründen Raucherklubs. Und Prominente bekennen sich zu ihrem Laster. Vor zwei Jahren noch hatte der TV-Star Bill Cosby ein Foto mit Zigarre verweigert. Jetzt ließ er sich für den Titel des Cigar Aficionado ablichten. Jack Nicholson soll folgen.

Auch Bill Clinton wurde schon gefragt, doch er wollte nicht. Dem US-Präsidenten und mehr noch seiner Frau Hillary, die im Weißen Haus das Rauchen verboten hat, sind die Überzeugungsraucher ohnehin gram.


Vor ein paar Monaten bildete das Magazin einen Clinton-Schnappschuß ab, das den Präsidenten beim Kauen einer kalten Zigarre zeigte. Kommentar: Der Mann, der einst öffentlich gestand, er habe Haschisch geraucht, ohne zu inhalieren, habe offenbar auch vom Zigarrengenuß keinen Schimmer. Y

Zum Original