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Horst Seehofer soll Ehrenbürger in Ingolstadt werden

Es sollte ein Würdigung sein für einen Mann, der sich nach Jahrzehnten aus der Politik zurückzieht: Doch die geplante Auszeichnung hat andere Ehrenbürgerwürden in den Fokus gerückt. Nun fordern die Grünen, erst müssten Altlasten beseitigt werden. Konkret geht es um NS-Größen, die einst zu Ehrenbürgern gemacht wurden. Etwa der in der NS-Zeit regierende Oberbürgermeister Josef Listl, der nach dem Krieg erneut für die CSU in diesem Amt fungierte.

Oder Ludwig Liebl, ein früher Unterstützer Adolf Hitlers, der die NS-Lokalzeitung Donaubote und den Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebund gründete und damit "mitverantwortlich für die menschenverachtenden Irrwege der ›NS-Gesundheitspolitik ‹" gewesen sei, wie es im Antrag der Grünen heißt. Die Stadt müsse endlich Hitler, Paul von Hindenburg und allen NS-Funktionären die Ehrenbürgerschaft symbolisch aberkennen.

In Ingolstadt wird argumentiert, diese sei mit dem Tod erloschen. Die Website des Stadtmuseums führte geehrte NS-Funktionäre aber weiterhin auf - nur zur Dokumentation, wie der Pressesprecher der Stadt sagt.

Ingolstadt sei die einzige bayerische Großstadt, die sich bislang nicht zur deutlichen Distanzierung habe durchringen können, schreibt die ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Agnes Krumwiede in ihrem Antrag. Seit Tagen kursiert er unter den Fraktionen, die ihn unterstützen sollten.

Diesen Freitag sollte er OB Scharpf vorgelegt werden. SPD-Fraktionschef Christian De Lapuente intervenierte: "Ich finde den Zeitpunkt der Antragstellung sehr unglücklich. Jetzt wird der Seehofer-Antrag auch noch mit den ehemaligen NS-Ehrenbürgern vermischt."

Christian Lange, der Fraktionsvorsitzende der Unabhängigen Wählergemeinschaft (UWG), der im Stadtrat als eigentlicher Oppositionsführer gilt, sagt: "Aus meiner Sicht war es jetzt genau der richtige Zeitpunkt. Fast 80 Jahre nach Kriegsende sollten wir in der Lage sein, uns eine Meinung zu dieser Frage zu bilden. Einen Grund, diese Diskussion jetzt aufzuschieben, gibt es für mich nicht." Er unterstütze den Antrag der Grünen. Es seien aber nicht alle Stadträte seiner Meinung.

"Dass eine kommunale Auszeichnung mit dem Tod erlischt, ist aber nichts, was die Stadt Ingolstadt festlegen müsste"

Es ist nicht das erste Mal, dass im Ingolstädter Stadtrat das Thema Ehrenbürgerschaft für NS-Größen auftaucht. Als die Grünen im Juni 2020 einen Antrag einbrachten, ehemalige NS-Funktionäre nicht mehr auf einer Tafel im Westfriedhof oder auf einer Online-Liste des Stadtmuseums zu nennen, wurde über Monate diskutiert. Am Ende gab es ein großes Gedenkprojekt des Stadtmuseums, vor allem um der Opfer des Nazi-Regimes zu gedenken.

Die Gedenktafel für Liebl hing allerdings weiter im Friedhof; Hitler und andere NS-Funktionäre wurden weiter online ohne Distanzierung genannt. Die Stadtverwaltung behauptet, man hätte die Online-Liste gelöscht. Als sie im Juli 2021 immer noch abrufbar war, hieß es, Schuld sei Google. Über Nacht war sie dann doch verschwunden.

Ähnlich ist es jetzt wieder mit dem Hinweis, die Ehrenbürgerschaften seien längst erloschen. "Dass eine kommunale Auszeichnung mit dem Tod erlischt, ist aber nichts, was die Stadt Ingolstadt festlegen müsste, sondern ist im Kommunalrecht in Bayern gängige Rechtsmeinung, da es sich um ein höchstpersönliches Recht handelt", sagt Ingolstadts Pressesprecher Michael Klarner. Man könne die Auszeichnung juristisch gar nicht aberkennen.

Die Frage der Distanzierung

SPD-Fraktionschef Christian de Lapuente schrieb allen Fraktionen, man habe Informationen, wonach die Ehrenbürgerschaft Hitler nach dessen Tod entzogen worden sei. Doch Nachfragen bei ihm und in der Stadtverwaltung ergeben: es gibt keinen Beleg dafür. De Lapuente sagt dagegen, vor etwa 15 Jahren habe der Stadtrat in einer Ehrenordnung geregelt, dass Ehrenbürgerschaften generell mit dem Tod endeten.

Doch in der Stadtverwaltung kennt man keine Ehrenordnung, nur eine Satzung für kommunale Auszeichnungen. Während sich jetzt auf der Website der Stadt der Hinweis findet, dass diese Auszeichnung nach dem Tod erlischt, ist in der Satzung selbst nicht davon die Rede. Allerdings ist dort die Möglichkeit des Widerrufs genannt. Die Distanzierung oder Aberkennung ist also anscheinend doch möglich.

Wie verhält sich die CSU?

Auch wenn es Lokalpolitiker nicht aussprechen mögen, legt das den Verdacht nahe, dass die öffentliche Distanzierung der Stadt von Listl sowie Liebl das eigentliche Problem ist. Hier kommen die örtlichen Machtverhältnisse ins Spiel: Die CSU musste nach einem Korruptionsskandal 2020 nach fast 50 Jahren den OB-Sessel räumen; SPD-Mann Scharpf ist jedoch weiter auf die Stimmen der CSU mit angewiesen.

CSU-Fraktionschef Alfred Grob versichert auf Anfrage, selbstverständlich sei es "nicht akzeptabel, wenn frühere hochrangige Funktionäre des Nationalsozialismus bis heute auf aktuellen Ehrenlisten der Stadt Ingolstadt geführt werden". Während die SPD dem Antrag der Grünen folgen will, nachdem über die Causa Seehofer entschieden ist, bleibt unklar, ob sich die CSU von ihrem früheren Oberbürgermeister distanzieren wird.

Agnes Krumwiede von den Grünen will ihren Antrag nun später einbringen. Sie sagt, sie sehe eine reelle Chance auf Aberkennung. "Nie zuvor gab es in Ingolstadt einen Oberbürgermeister, der sich auch nur ansatzweise so eingesetzt hätte für die Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Ingolstadt und das Gedenken an die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung."

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