1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Musik-Genie: "Ich sehe, wie ich Ihnen den Flügel stimmen muss."

Er könnnte der berühmteste Klavierstimmer der Welt sein

"Bei Horowitz muss der Flügel von selbst spielen"

Die großartige Kino-Dokumentation "Pianomania" zeigt den wohl besten Klavierstimmer der Welt bei seiner Arbeit.

Stefan Knüpfer ist der Chef-Klavierstimmer der Firma Steinway - also der Wichtigste bei den Bedeutendsten. Der Weltmeister der wohltemperierten Stimmung arbeitet nur mit Meisterpianisten wie Lang Lang oder Alfred Brendel. Jetzt zeigt ihn der Kinofilm „Pianomania" von Lilian Franck und Robert Cibis bei der Arbeit: mit Starpianisten, in den besten Sälen der Welt und bei einer riskanten Aufnahme mit dem besonders experimentellen Meister Pierre-Laurent Aimard.

WELT ONLINE : Herr Knüpfer, Sie haben mit zwei schwierigen Wesen zu tun, Weltklasse-Flügeln und Starpianisten. Wer ist anstrengender?

Stefan Knüpfer : Das Ergebnis eines schönen Flügels ist ein glücklicher Pianist. Wenn ich mich gut um den einen kümmere, ist der andere auch zufrieden.

WELT ONLINE : Im Film sind die Produzenten einer CD unzufrieden, weil ein F zu hoch ist. Wie kommt sowas, und was tun Sie?

Knüpfer : Man legt beim Stimmen nicht nur die Tonhöhe, sondern auch den Klang fest. Der Druck der Saiten auf den Resonanzboden ändert sich, damit ändert sich alles. Eine Tonne drückt auf einen zehn Millimeter dicken Boden. Das ist wie diese „Wetten dass"-Aktionen, wo einer einen Kleinwagen auf vier Eiern abstellt. Das mache ich jeden Abend. Wenn der Pianist es wünscht, bemal ich die Eier auch noch bunt.

WELT ONLINE : Wie geht das?

Knüpfer : Ich stelle bei jeder einzelnen Saite den Druck individuell ein, so dass wir Menschen es gerade noch nicht als verstimmt wahrnehmen, sondern nur als einen bestimmten, speziellen Klang.

WELT ONLINE : Keith Jarrett hat sein letztes Berliner Konzert unterbrochen, eine Taste angeschlagen und nach einem Klavierstimmer gerufen. Einer sprang dann auch hektisch auf die Bühne. Kennen Sie so etwas auch?

Knüpfer : Ich sehe an der Handbewegung, die Sie gerade machen, was wohl los war. Jarrett hat die Taste also mehrmals schnell angeschlagen, um das Problem klarzumachen. Das heißt, der Ton war etwas zu metallisch und spröde. Das passiert. Dass einer ein Konzert unterbricht, ist aber schon ungewöhnlich.

WELT ONLINE : Standen Sie auch schon einmal so exponiert vor Publikum?

Knüpfer : Ich hab mal eine Fernsehübertragung eines Wettbewerbs in Israel unterbrochen, weil ein Ton sich verstimmt hatte. Das war live, aber es musste sein. Also haben die mich auf die Bühne gelassen. War furchtbar, ich musste das Publikum dreimal um Ruhe bitten, weil man nicht perfekt stimmen kann ohne Stille. Nachher ging ich unter Applaus. Das brauche ich nicht immer.

WELT ONLINE : Wie viele Top-Klavierstimmer, die daraus eine Kunst machen wie Sie, gibt es weltweit?

Knüpfer : Es gibt fünf bis zehn gute Klaviertechniker auf der Welt. Es dauert Jahre, und man muss sich jeden Abend anstrengen. Viele Klavierbauer können nicht Klavier spielen, wie absurd. Als hätte ein Autobauer keinen Führerschein.

WELT ONLINE : Wie merken Sie, welche Stimmung und welchen Flügel ein Pianist braucht?

Knüpfer : Ich muss Sie nur sehen, und weiß, was Sie brauchen. Ich sehe doch, wie Sie gehen, wie Ihre Körperspannung ist, und ich weiß daher, wie Sie Klavier spielen. Wenn ich weiß, wie Sie denken, weiß ich auch, welchen Ton Sie brauchen. Ich habe in der Akademie in Hamburg mal einen Italiener, einen Deutschen und einen Japaner einen Ton stimmen lassen, und habe aus dem Klang die Nation erraten.

WELT ONLINE : Wie?

Knüpfer : Der japanische Ton ist wie eine höfliche Verbeugung, er schwingt schnell ein und geht geradlinig runter. Der Italiener schwingt langsam ein und klingt dann irgendwie leicht, wie mit einem „Ach ja!" aus. Der Deutsche will die totale Kontrolle, sein Ton ist sofort da, dann steht er, dann ist er wieder weg. Das kann ich alles hören. Die Persönlichkeit hat einen enormen Einfluss auf den Klang, beim Stimmer wie beim Spieler.

WELT ONLINE : Warum all der Aufwand?

Knüpfer : Wenn ich die Mechanik perfekt einstelle, kommen Ihre Gedanken in die Luft. Der Pianist spielt, findet die perfekte Umsetzung, und dann können Sie die Gedanken des Pianisten lesen. Eins zu eins. Selbst denken kann der Flügel nicht. Er liest nur Gedanken.

WELT ONLINE : Wie findet man den passenden Klang für einen Pianisten?

Knüpfer : Es ist doch klar, dass Mitsuko Uchida einen anderen Ton braucht als Arcadi Volodos. Der große, massige Volodos hört jedem Ton nach, das sieht man. Er freut sich an den schönen Tönen und spürt ihnen nach wie ein kleines Kind einer Seifenblase. Er braucht also einen Ton, der langsam anschwingt. Wenn aber einer wie Horowitz mit flachen Fingern spielt, oder, wie Frau Uchida, mit extrem wenig Gewicht, dann muss der Flügel fast von selbst spielen, muss ganz leicht und schnell sein.

WELT ONLINE : Ich habe eine schreckliche Aufnahme des berühmten Ungarn András Schiff, er spielt Schuberts Spätwerk, aber metallisch, spitz und wie ein Roboter. War da vielleicht der Flügel falsch eingestellt?

Knüpfer : Bestimmt. Kommen Sie nach Wien, stellen Sie sich auf den Kahlenberg. Schauen Sie, wo Schubert entlang geschaut hat. Niemals wäre ein Schubert-Ton spitz oder hart. Da gibt es immer einen weichen Wind, Weinberge, die Donau glitzert, nirgends eine Härte. Dort hat er komponiert. Da passt kein harter Ton hin.

WELT ONLINE : Heute gibt es halb-digitale Flügel von Yamaha, die den Klang elektronisch produzieren. Bleibt da etwas vom Zauber des Klaviers?

Knüpfer : Sicher nicht. Im Konzertsaal werden Tausende von Kubikmetern Luft in Schwingungen versetzt, weil der Pianist eine Taste mit zehn Gramm berührt. Das ist die Magie. Diese modernen Pianos sind nur Geräte. Das ist ein Albtraum. Besonders wenn Eltern ihren Kindern so etwas hinstellen, weil sie unsicher sind, ob die Kinder dabei bleiben. Da kann man sicher sein, dass die nicht dabei bleiben.

WELT ONLINE : Laien sagen Ihnen doch bestimmt manchmal: Klavier ist Klavier, was soll das alles. Wie reagieren Sie?

Knüpfer : Das Schlimme ist, ich höre das von Pianisten. Und von Technikern. Vielleicht kann der Film da etwas retten. Übrigens, in Wien, wo ich all das vor zehn Jahren eingeführt habe, rufen Leute aus dem Publikum an und fragen: „Was war das für ein Flügel?"

WELT ONLINE : Wie ist es mit Jazzern? Die bräuchten doch diese Kommunikation mit dem Publikum noch dringender.

Knüpfer : Ich danke Ihnen für die Frage. Natürlich ist es so. Wenn ich klassischen Pianisten erzähle, dieser Flügel ist für einen Jazzer gestimmt, sagen die oft: Wie kann man das tun, das geniale Instrument zu verschwenden an Jazz. Das ist natürlich furchtbarer Unsinn.

WELT ONLINE : Sie haben für Jazzer gestimmt?

Knüpfer : Ich hatte mal einen New Yorker Jazzpianisten da, der schlug mir eine unglaubliche Harmonie an, neun Töne mit fünf Fingern ungefähr. Und er hörte da immer ein Pochen, das ihn ärgerte, so einen Beat. Ich habe das gleich gesehen, dass da eine Septime, eine None und eine Sekunde drin schwingen, das ist Physik. Ihn störte eine ganz bestimmte Schwingung. Also habe ich das berechnet, eine Quarte gefunden, die schuld war, und ihm die sauber gestimmt. Der ist ausgeflippt vor Freude am nächsten Tag.

Zum Original