Thomas Hürner

Journalist und Autor, München

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Inter Mailand - AC Mailand: Gewinnt Trump, verliert Mailand

Es wird zunächst alles sein wie früher: Ein Mittwochabend im Frühjahr, etwa 80.000 fanatische Zuschauer werden ins Giuseppe-Meazza-Stadion von Mailand kommen, vor dem Fernseher sitzen weltweit ein paar Hundert Millionen. Über das Spielfeld wird sich im Mutterland der Ultras pünktlich zum Anpfiff am Mittwochabend um 18:30 Uhr ein dichter Pyronebel legen, die Choreografien werden aufwendig sein, die Fankurven geschmückt. Derbyzeit in Mailand, Associazione Calcio, AC, gegen Internazionale, Inter; das Derby della Madonnina ist eines der bekanntesten Stadtduelle in Europa.

Nur: Der Anlass will nicht so recht zum Selbstverständnis der beiden international erfolgreichsten Clubs des Landes passen. Während die Mailänder ein Nachholspiel ihrer Liga bestreiten, kämpfen in Barcelona und Liverpool europäische Spitzenteams um den Einzug ins Champions-League-Halbfinale. Ein Fehler in der Geschichte für die Tifosi, der sie an bessere Zeiten zurückdenken lässt.

Man begegnete sich mit Respekt

Etwa an die Jahre 2003 und 2005, als die Stadtmeisterschaft selbst noch ein Halb- oder Viertelfinale in der Champions League gewesen ist. Es waren wirklich andere Zeiten damals, die Clubs gehörten anderen Menschen: Ein Händedruck auf der Ehrentribüne galt als Sinnbild für Grandezza und Sicherheit. Selbst Milan-Präsident Silvio Berlusconi wurde in der Loge seiner eigentlichen Rolle als Staatsmann gerecht. Für den anderen, Inter-Präsident Massimo Moratti, stellten sich Stilfragen erst gar nicht. Die Nerazzurri waren sein wichtigstes Familienerbstück, kostbarer als das Ölimperium, um das er sich nach dem Tod seines Vaters Angelo sowieso nur zu kümmern schien, damit er den Fans jedes Jahr neue Stars präsentieren konnte. Die beiden Patriarchen ließen sich ausgiebig feiern nach Triumphen, stellten sich der Öffentlichkeit aber immer auch in Krisen. Man begegnete sich mit Respekt, sowohl auf dem Rasen als auch in den Logen.

Inzwischen gehören die Traditionsclubs Investoren aus China. Angefangen bei der öffentlichen Kommunikation ist mittlerweile vieles anders. Entscheidungen der Manager aus China stehen nun nicht mehr dauerhaft unter medialer Beobachtung der drei großen Sportzeitungen, einfach weil die Chinesen kaum über ihr Investment reden. Die öffentliche Kommunikation übernehmen nicht mehr die Eigentümer, sondern nur noch Angestellte wie Milan-Geschäftsführer Marco Fassone.

Der 54-Jährige arbeitete zuvor bei Inter und verstößt regelmäßig gegen einen wichtigen Grundsatz im Verhältnis zwischen den beiden Stadtrivalen, nämlich den der gegenseitigen Wertschätzung. "Inter ist wie eine schöne Frau", sagte Fassone vor dem Derby, "ein bisschen naiv, ein bisschen unorganisiert."

Milans verstößt gegen die Etikette

Als nach dem tragischen Tod von Fiorentina-Kapitän Davide Astori Anfang März der Spieltag mit dem Derby abgesagt wurde und der Nachholtermin feststand, ließ Fassone mitteilen, dass Milan als einziger Club in der Serie A keine Tickets zurückerstatten werde. Stattdessen erhalten die Tifosi einen Gutschein für ein Milan-Heimspiel nach Wahl. "Für die Fans im Gästeblock macht diese Lösung natürlich noch weniger Sinn", schrieb Inter daraufhin in einer offiziellen Stellungnahme und kündigte an, verhinderte Zuschauer nun eben selbst entschädigen zu wollen.

Geschichten wie diese wirken bei Fassone inzwischen wie der verzweifelte Versuch, um von den wahren Problemen bei Milan abzulenken. Fast 200 Millionen Euro hat Milan im Sommer für neue Spieler ausgegeben. Das ließ sich Berlusconi beim Verkauf an den Chinesen Yonghong Li vertraglich zusichern. Ansonsten nimmt es der Geschäftsmann aus China mit Abmachungen oder Zahlungsfristen nicht allzu genau.

Milans dubioser Investor

Schon die Übernahme zog sich über acht Monate hin, weil Li die erforderliche Summe über 740 Millionen Euro nicht aufbringen konnte. Die Elliott Management Corporation, ein Hedgefonds aus New York, musste mit über 300 Millionen Euro zu irrsinnigen Zinssätzen aushelfen. Wenn Li den Kredit bis Oktober nicht tilgen kann, dann wandert der Club in die Hände der nordamerikanischen Kreditmanager. Elliott ist ein vulture funds ("Geisterfonds"), dessen übliche Geschäftspraxis den Kauf von Wertpapieren zahlungsunfähiger Unternehmen oder Staaten vorsieht. Es wird nicht am operativen Geschäft verdient, sondern an der gnadenlosen Liquidation der Überreste. Sämtliche Vermögenswerte kommen unter den Hammer. Das hat Elliott schon bei der argentinischen Staatspleite so praktiziert. 

Als Absicherung gegen so ein Szenario musste Li beim Abschluss des zwielichtigen Deals finanzielle Sicherheiten hinterlegen. Die New York Times berichtete jedoch, dass seine angeblichen chinesischen Phosphatminen in den letzten zwölf Monaten vier unterschiedliche Besitzer hatten. Lis Name war nicht darunter. Vor etwas mehr als einer Woche hätte außerdem eine vereinbarte Kapitalerhöhung von zehn Millionen Euro auf dem Mailänder Bankkonto eingehen sollen, zum Saisonende sind noch einmal fast 30 Millionen fällig. Diese Gelder waren fest im Milan-Budget eingeplant. Ob sie noch kommen und von wem, bleibt fraglich.

Immerhin geht es sachte wieder nach oben

Fassone wiederholt derweil unermüdlich, dass sich die Fans keine Sorgen um die Zukunft ihres Clubs machen müssten. Man habe vollstes Vertrauen in Li, so der Geschäftsführer, und auch Elliott sei ja keine Horde von Banditen, sondern eine kluge und seriöse Investorengruppe. Trotzdem reist Fassone seit geraumer Zeit nervös um den Globus, auf der Suche nach Alternativen zu Elliott und Li. 

Immerhin lohnt es sich mittlerweile wieder, den Rossoneri auf dem Feld zuzusehen. Seit Clublegende Gennaro Gattuso im Dezember das Traineramt von Vincenzo Montella übernommen hat, ging es in der Tabelle nach oben, Milan liegt wieder in der Nähe der Champions-League-Plätze. Sein Vertrag soll nun um drei Jahre verlängert werden. Auch unter Gattuso spielt die Mannschaft zwar nicht den spektakulären Offensivfußball, der einst von Berlusconi eingefordert wurde. Sie kämpft und rennt aber immerhin wieder, so wie Gattuso eben spielte. 

Inter ist Vierter

Beim Stadtrivalen ist es genau andersrum. Inter hat in dieser Saison bereits mehrfach gezeigt, dass man spielerisch zu den Besten der Liga gehört, erst kürzlich wieder mit zwei Kantersiegen gegen Sampdoria und Hellas Verona. Nur mit dem Kämpfen und Rennen nahmen es die Spieler nach dem besten Saisonstart der Vereinsgeschichte nicht immer so genau, weshalb sie von den eigenen Anhängern bei weniger couragierten Auftritten lautstark niedergepfiffen wurden. 

Derzeit steht die Mannschaft von Trainer Luciano Spalletti auf dem vierten Rang, das von den Bossen aus China vorgegebene Minimalziel für diese Saison. Mit dem Meisterschaftskampf zwischen Juventus und Neapel haben beide Teams aber nichts mehr zu tun. 

Doch vor allem für Inter wird es fast schon überlebenswichtig, die Champions League zu erreichen. Die Einnahmen werden dringend benötigt, um nicht gegen die Auflagen des Financial Fairplay zu verstoßen. Inter steht seit Jahren unter strenger Beobachtung der Uefa. Zum Ende des laufenden Geschäftsjahres muss der Club erstmals eine schwarze Null in den Bilanzen vorweisen können. Seit dem Einstieg des Einzelhandelskonzerns Suning im Juli 2016 konnte der Umsatz des Clubs zwar um fast 50 Prozent auf 262 Millionen Euro gesteigert werden, vornehmlich durch neue Sponsoringdeals in China. Horrende Zuschüsse vom Investor selbst, wie etwa in Paris oder Manchester, sind aber nicht zu erwarten. 

Der Handelskrieg erreicht Mailands Fußball

Suning-Chef Zhang Jindong gilt als Vertrauter von Staatspräsident Xi Jinping, seit Kurzem sitzt er auch im chinesischen Parlament. Als Anfang März im Nationalen Volkskongress die Amtszeitbeschränkung für den Machthaber aufgehoben wurde, gab auch der Inter-Eigentümer seine Stimme ab – höchstwahrscheinlich für Xi Jinping. 

Und nun verknoten sich die Handelskämpfe der Weltpolitik in Mailand: Noch bevor sich China auf den Handelskrieg mit US-Präsident Donald Trump einließ, hatte Xi Jinping die Kapitalabflüsse ins Ausland streng regulieren lassen, um den Wert des Yuan gegenüber dem Dollar zu stabilisieren. Auf der schwarzen Liste stehen Investitionen in Kultur, Entertainment und Sport. In diesen Bereichen sind die Investitionen aus China innerhalb eines Jahres um über 80 Prozent zurückgegangen.

Suning-Chef Zhang Jindong und sein in Mailand einquartierter Sohn Steven haben sich noch nie zu diesem Thema geäußert, Nachfragen der Medien wurden von ihnen monatelang ignoriert. Immerhin Inter-Geschäftsführer Alessandro Antonello nahm gegenüber der Gazzetta dello Sport kürzlich Stellung: "Es stimmt, die chinesische Politik hat unseren Aktionsradius erheblich eingeschränkt. Dadurch wird natürlich vieles schwieriger als zunächst angenommen."

Langfristig etwas aufbauen? Nicht möglich

Das sorgt nicht nur bei den Tifosi für Frust, sondern auch bei einigen Verantwortlichen. Mit vollmundigen Versprechungen für den Transfermarkt wurden Trainer Spalletti und Sportdirektor Walter Sabatini im Sommer vom AS Rom in die Lombardei gelockt, stattdessen ist jetzt Sparen angesagt. Sabatini hat deshalb vor zwei Wochen hingeschmissen. "Es wäre schön gewesen, hier langfristig etwas aufbauen zu können", sagt er, "das war unter diesen Voraussetzungen leider nur schwer möglich." 

Ebenfalls zurückgetreten ist Fabio Capello, bis vor Kurzem noch Trainer beim Hausclub Jiangsu Suning in der chinesischen Super League. Er wird, zurück in der Heimat, nun als neuer Nationaltrainer gehandelt. Ihm könnte vieles vertraut vorkommen. Auch der italienische Fußballverband steuert ohne Führung einer ungewissen Zukunft entgegen.

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