Thomas Hürner

Journalist und Autor, München

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Artikel

Ausgewanderter Fußballprofi: Die langsame Karriere des Thomas Broich

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Wenn Thomas Broich durch die Kölner Innenstadt schlendert, dann wird er nicht erkannt, von niemandem angesprochen. Er ist jetzt 36 Jahre alt, trägt einen mittellangen Bart, in seinem immer noch vollen und dunklen Haar finden sich ein paar erste Ausreißer in Grau. Sie könnten ein Zeichen dazugewonnener Weisheit sein, aber die schien Broich ja schon in jungen Fußballerjahren für sich gepachtet zu haben. In der Öffentlichkeit zeichnete er bewusst von sich das Bild des kickenden Philosophen, der Klassiker las, Klavier spielte und sogar Miniaturen von griechischen Tempeln töpferte.

Wenn Broich heute von seiner Zeit in der Bundesliga spricht, dann ist seine Miene ernst, manchmal verfällt er in nachdenkliche, aber mittlerweile auch reflektierte Monologe. Dass er immer noch anders ist als viele seiner Kollegen, wird an seiner Wortwahl, seiner Art, sich zu artikulieren, deutlich. „Prätentiös" sei er manchmal gewesen, andere würden vielleicht aufgeblasen oder großspurig sagen.

Broich hat für sich aber jene Verhaltensmuster erkannt, die ihm damals so viele Probleme bereiteten. Es war sein Denken, geprägt von Eitelkeiten und Selbstüberschätzung. Abgrenzen wollte er sich von jener Wahrnehmung, die dem Fußballgeschäft nach außen hin anhaftet. Diese Oberflächlichkeit, mit der die Geschehnisse auf und neben dem Platz erklärt werden, meist in Form von biederen und immer gleichen Floskeln, von intellektuell eher einfach gestrickten Menschen. Er habe sich geschmeichelt gefühlt, in einem anderen Licht porträtiert zu werden, aber irgendwann eben auch damit angefangen, sich innerhalb der eigenen Mannschaft ins Abseits zu stellen. „Dass das irgendwann zu Problemen führt, das hätte man sich auch irgendwie denken können", sagt Broich heute etwas selbstironisch, in einem der wenigen Momente, in denen er sich im Nachgang über sein früheres Verhalten selbst ein Lächeln entlockt.

Selbstsabotage in der Bundesliga

Wie ein roter Faden habe sich diese Form der Selbstsabotage durch seine Karriere, durch eigentlich alle Stationen in Deutschland gezogen. Ein ganz normaler Junge, ein geschätzter Bestandteil im Mannschaftsgefüge, das sei er nur bei Wacker Burghausen gewesen. Dort begann zur Jahrtausendwende Broichs Profikarriere, in der Zweiten Bundesliga machte er schnell als technisch versierter Mittelfeldregisseur auf sich aufmerksam. Endlich mal wieder einer, der mit dem Ball etwas anfangen kann, der ein Gefühl für Gegner und Raum hat und diesen mit präzisen Pässen auch bespielen kann, sagten viele in Zeiten, in denen der deutsche Rumpelfußball fast ohne individuelle Glanzlichter auskommen musste. Broich wurde neben Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger zur großen Nachwuchshoffnung des Landes auserkoren, sie sollten einmal das Fundament einer neuen, hoffentlich besseren Nationalmannschaft bilden.

Auch Podolski und Schweinsteiger eckten in jungen Jahren mehrmals an, der eine mit flapsigen Sprüchen und jugendlicher Unbekümmertheit, der andere mit seiner offen zur Schau gestellten Extravaganz. Anders als Broich driffteten sie innerhalb der Mannschaft nicht in eine Außenseiterrolle ab. Um zu erklären, wie sich das damals entwickelt hat, bedient sich Broich zunächst einer Floskel: „Du musst im Fußball Teil der Truppe sein, es ist ein Teamsport." Er habe sich aber irgendwann unverwundbar gefühlt, und er hätte nicht erwartet, dass alles „wie ein Bumerang zurückkommt". Fehler würden aber irgendwann anders auf einen zurückfallen, einem Kumpel verzeihe man einen Ballverlust eben schneller als dem Typ, den man nicht leiden kann. Den Mitspielern habe irgendwann die Geduld mit ihm gefehlt, und er selbst dachte, alles sei Teil einer großen Verschwörung gegen ihn. Von diesen Gedanken ist Broich heute abgekehrt, er hat erkannt, dass es sein eigenes Verschulden war: „Der Fehler lag nicht bei den Jungs, sie haben nur reagiert, wie jeder andere auf einen wie mich reagiert hätte. Meine Einstellung wäre mir auch in allen anderen Bereichen zum Verhängnis geworden."

So richtig losgegangen ist alles nach seinem Wechsel 2004 zu Borussia Mönchengladbach. Dort spielte Broich eine gute erste Saison, er war Stammspieler. Aus Interviews nach dem Spiel wurden aber Buchbesprechungen, und aus einem normalen Fußballer auf einmal der „Mozart mit der Kugel". Dieses Bild sei medial übertrieben dargestellt worden, sagt Broich heute, allerdings eben auch deshalb, weil er es selbst mitgezeichnet habe. Gutgemeinte Ratschläge sind in seiner Selbstbezogenheit an ihm abgeprallt, etwa von „richtig korrekten und integren Jungs" wie Max Eberl, Steffen Korell oder Arie van Lent, die ihn damals immer wieder zur Seite genommen und gewarnt haben. Broich dachte, dass sein Weg nach oben immer so weitergeht, dass er immer weiter auf hohem Bundesliganiveau Fußball spielen wird. Er verletzte sich aber am Fuß, und der neue Trainer Dick Advocaat gab Broich mehrmals zu verstehen, dass er in seinen Planungen ob seiner unzureichenden Physis und seines freigeistigen Spielstils keine Rolle spielt.

Es folgen Stationen beim 1. FC Köln und beim 1. FC Nürnberg, Broich fand aber nie wieder in die Spur zurück. Rückblickend betrachtet war er zwar immer ein Außenseiter, am Fleiß im Training und am Willen, es doch noch zu schaffen, habe es jedoch nie gemangelt: „Scheitern per se ist schon schlimm, aber wenn du etwas unbedingt willst und doch immer wieder merkst, dass du einfach nicht gut genug bist, dann kannst du daran zerbrechen. Und das bin ich."

Er schleppt sich mit Depressionen ins Training, verspürt mehr und mehr so etwas wie Verachtung gegenüber dem Beruf, dem er täglich nachgehen muss. Auch deshalb, weil der unbedingte Wille in der öffentlichen Wahrnehmung nie honoriert wird. „Da gewann damals immer nur die Mannschaft, die es angeblich mehr gewollt hat", erklärt er. „Ich habe dieses Denken zutiefst verabscheut. Nicht ein einziges Mal stand ich mit Jungs auf dem Platz, denen irgendwas egal war, die sich nicht jedes Spiel zerrissen haben."

Ihn überkommt auch die Einsicht, dass er inmitten einer Zeit Fußballprofi wurde, in der sich der Sport in Deutschland rapide weiterentwickelte. Alles wurde schneller und athletischer, und es wurde ihm nahezu unmöglich, bei diesem Tempo in der Bundesliga noch mitzuhalten. „Vielleicht wurde ich schon abgehängt, kurz nachdem ich überhaupt angekommen bin", bekennt er heute. Broich denkt etwa an Ilkay Gündogan, mit dem er in Nürnberg um einen Platz in der Startelf konkurrieren musste. „Der war so spritzig, so antrittsstark, einfach eine andere Welt. Ich konnte ganz gut kicken, aber das war es auch schon."

Broich ist irgendwann so niedergeschlagen, dass er seine Karriere 2010 eigentlich schon beenden will. Er hat genug davon, sich selbst und auch alle anderen permanent zu enttäuschen, und als sein Beschluss eigentlich schon feststeht, bekommt Broich eher zufällig die Chance für einen Neuanfang in Australien. „Ich musste mich lösen von all den Klischees, die mir anhafteten", sagt er. „Dort konnte ich mich selbst neu erfinden, ein anderer sein." Es sei eine Flucht gewesen, die Möglichkeit für eine Zäsur in seinem Denken, das zuvor vor allem davon geprägt war, sich auf die Unterschiede und nicht auf die Gemeinsamkeiten mit seinen Mitmenschen zu fokussieren. Und: „Es hört sich langweilig an, aber da unten war ich einfach nur ein Fußballer, ich konnte mich endlich wieder mit dem identifizieren, was ich mache."

Endlich Teil einer Mannschaft

Von Wacker Burghausen bis zur persönlichen Wende in Australien dokumentiert der Film „Tom meets Zizou - Kein Sommermärchen" von Aljoscha Pause, der 2011 in den deutschen Kinos lief, den Werdegang Broichs. Er liefert tiefe Einblicke in das Fußballgeschäft und in das Seelenleben eines ehemals aufstrebenden Talents, das in jungen Jahren dachte, den Fußball in Deutschland auf seine Art revolutionieren zu können, und schließlich daran persönlich zerbrach, weil die Rolle des Außenseiters nicht mehr abgelegt werden konnte.

Doch wo die Dokumentation endet, beginnt für ihn erst seine eigene, kleine Erfolgsgeschichte. Mit Brisbane Roar wird Broich viermal australischer Meister, er schafft es dreimal in die Mannschaft des Jahres und wird vom Magazin „ABC Football" sogar zu Australiens Fußballspieler des Jahrzehnts ernannt. Dass sich das Ganze im Vergleich zur Bundesliga auf eher bescheidenem Niveau abspielte, sei ihm genauso bewusst wie egal, sagt er.

Endlich Teil der Mannschaft, einer erfolgreichen noch dazu - Broich hat es zum ersten Mal in seinem Leben wirklich genossen, Fußballprofi und einfach er selbst zu sein. „Ich habe gemerkt, dass ich mit jedem Menschen, dem ich begegne, auch unheimlich viele Gemeinsamkeiten habe." Und auch der Fußball in Down Under war ihm rückblickend betrachtet wie auf den Leib geschneidert: „Heute weiß ich, dass mein Talent genau richtig für die A-League war, denn sie ist vor allem eines: langsam."

In diesem Sommer beendete Broich nach sieben Jahren in Australien seine Karriere. Wenn er über seine Zukunftspläne spricht, dann wird deutlich, dass er mit dem Fußballgeschäft - trotz aller Rückschläge - noch nicht abgeschlossen hat. Der Trainerjob würde ihn reizen, erzählt Broich, denn er habe die Hoffnung, dass er heute ein anderer sei und einst einfach mit der falschen Einstellung an das deutsche System herangegangen ist. Mit einem Lächeln erklärt er, wieder ganz der Philosoph, warum es diesmal klappen könnte: „Alles, was nicht echt ist, ist irgendwann zum Scheitern verurteilt. Seit ich das verinnerlicht habe, kann ich mich wieder auf die Zukunft freuen."

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