Thomas Hürner

Journalist und Autor, München

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Nationaltrainer Deschamps: Der Hüter der Werte als Charakter-Bändiger

Didier Deschamps mit einem seiner Wunderkinder Kylian Mbappé – auf ihn muss der Trainer gegen Deutschland jedoch verzichten. Foto: AFP

Es ist lange her, dass ein französischer Nationaltrainer so unumstritten war wie Didier Deschamps. „Für mich ist er der Beste, da gibt es gar keinen Zweifel", lobte Noël Le Graët seinen Sélectionneur bei einer Pressekonferenz in Paris. Man sei mit Deschamps, so Frankreichs Verbandspräsident weiter, endlich wieder zu einer Nation geworden, die etwas zählt im Weltfußball. Und so reihte Le Graët Lobeshymne an Lobeshymne, bis er zur eigentlichen Botschaft des Tages kam: Der Beste hat seinen Vertrag verlängert, vorzeitig bis ins Jahr 2020.

Acht Jahre wären es dann für Deschamps als Trainer der Équipe Tricolore. Nur Michel Hidalgo, mit dem die Franzosen bei der Europameisterschaft 1984 im eigenen Land ihren ersten großen Titel überhaupt gewannen, hätte dann noch ein paar Monate mehr vorzuweisen. Den Traum vom EM-Triumph vor heimischer Kulisse musste Deschamps im vergangenen Jahr zwar schmerzvoll im Stade de France von Saint-Denis begraben. Die bittere 0:1-Niederlage nach Verlängerung im Endspiel gegen Portugal sei aber „nicht das Ende des Weges", wie Deschamps kurz darauf schon wieder ankündigte. „Es schmerzt, aber es lässt uns glauben, dass bessere Tage in der Zukunft liegen."

Ob Deschamps, als er sich mit diesen Worten an die enttäuschte Nation wandte, schon ahnte, was so eigentlich nicht vorherzusehen war? Dass sich diese beiden Jungen namens Kylian Mbappé und Ousmane Dembelé innerhalb eines Jahres zu den begehrtesten Offensivtalenten weit und breit entwickeln und dann für dreistellige Millionensummen als zweit- beziehungsweise drittteuerster Fußballspieler der Gegenwart zu europäischen Spitzenklubs weiterziehen?

Dass Thomas Lemar in Monaco und Nabil Fekir in Lyon zu den großen Protagonisten in der Ligue 1 aufsteigen? Dass selbst der einst hochgelobte, in England dann aber enttäuschende Florian Thauvin nach Marseille zurückkehrt und dort nun das zeigt, was man sich in Frankreich schon immer von ihm erhoffte?

Keiner dieser Hochveranlagten war bei der EM im vergangenen Jahr dabei, so dass Deschamps schwindlig werden könnte ob dieser neuen Fülle an Möglichkeiten und Variationen, die sich ihm im Angriff nun bieten. Sie verschaffen dem 49-Jährigen aber auch Gelassenheit in einer öffentlichen Debatte, die für ihn offenbar schon lange keine mehr ist.

„Was ist mit Karim Benzema?", wurde Deschamps auf der Pressekonferenz vor dem letzten Testspiel - ein 2:0-Sieg am Freitag gegen Wales - gefragt. „Der ist Teil der Medienlandschaft", sagte der Trainer über den Stürmer von Real Madrid, den er seit Ende 2015 wegen der Sextape-Erpressungsaffäre nicht mehr in seinen Kader berufen hatte. Er werde sich nicht von seiner Idee für das französische Team abbringen lassen, fügte Deschamps hinzu, ehe er dann im weiteren Verlauf der Fragerunde immer wieder die Bedeutung des „kollektiven Gleichgewichts" hervorhob.

Es ist das Credo, das der „Hüter der Werte", wie er sich einmal selbst nannte, schon seine gesamte Trainerlaufbahn verfolgt. „Man kann die besten Spieler der Welt haben", so Deschamps, „aber wenn die Mentalität nicht stimmt, kommt man nicht weit." Und es ist wohl vor allem die konsequente Mannschaftsführung, die Verbandspräsident Le Graët so an seinem Trainer schätzt. Deschamps versteht es nicht nur, die bisweilen schwierigen Charaktere seiner Spieler zu bändigen, sobald sie für Frankreichs Auswahl auflaufen. In einem Land, in dem soziale Gegenwartsfragen immer wieder am Beispiel des Nationalteams durchdekliniert werden, kann sein gewissenhaftes und besonnenes Auftreten auch über den Fußball hinaus ein mäßigender Faktor sein.

Zuletzt nahm Deschamps den algerischstämmigen Nabil Fekir aus der öffentlichen Schusslinie, obwohl dieser die jahrzehntelange Rivalität zwischen Bourgeoisie (Olympique Lyon) und Arbeitervolk (AS Saint-Étienne) am vergangenen Wochenende fast zur Eskalation brachte. Fekir erzielte beim 5:0-Auswärtssieg seiner Mannschaft den letzten Treffer und posierte daraufhin provokant mit seinem Trikot vor dem Fanblock der treuesten Anhänger von Saint-Étienne. Die Folge: Ein Platzsturm und beinahe der Abbruch der Partie. „Es war nicht vorsätzlich", sagte Deschamps über Fekirs Vergehen und ordnete es so wohl bewusst in eine andere Kategorie als die Affäre um Benzema.

Das Moderieren von Eskapaden seiner Spieler gehört nun mal seit Jahren zum Job des französischen Nationaltrainers, das weiß auch Deschamps. Neu ist für ihn aber, dass er auf die schwache Form von Antoine Griezmann angesprochen wird. Der Angreifer von Atlético Madrid erzielte in der laufenden Spielzeit erst zwei Treffer und ist der einzige in Frankreichs Offensive, der im Klub sein Leistungsvermögen derzeit nicht abrufen kann. „Ich mache mir da keine Sorgen", versichert Deschamps. Wichtig sei, dass Griezmann am Ende der Saison, also kurz vor der WM in Russland, in Höchstform ist.

Und das Prestigeduell an diesem Dienstag gegen Deutschland? Da muss Deschamps gleich auf acht Spieler verzichten: Pogba, Dembele, Mendy, Lloris, Kante, Payet, Sidibe und Lemar. „Es ist ein Vorbereitungsspiel, mehr nicht. Ich werde die Möglichkeit aber nutzen, um ein paar Dinge auszuprobieren", sagte er. Da hält er es wie Joachim Löw. Der Bundestrainer übrigens lobte am Montag in Köln die Arbeit seines französischen Kollegen ausdrücklich. Die Franzosen seien 2014 schon gut gewesen, 2016 besser, und „jetzt haben sie nochmal einen Schritt nach vorn gemacht", sagte Löw. „Das hängt in starkem Maße mit dem Trainer zusammen."

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