Thomas Hürner

Journalist und Autor, München

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Rekord-Ablösesumme: Neymar und das Financial Foul Play

Der katarische Präsident von Paris Saint-Germain, Nasser Al-Khelaifi, und sein Rekord-Transfer Neymar Foto: AFP

Neymars Transfer zu Paris Saint-Germain spaltet die europäische Klubgemeinschaft. Experten halten das Financial Fair Play endgültig für gescheitert. 08.08.2017, von Thomas Hürner


Zweihundertzweiundzwanzig Millionen Euro. Der spanische Ligaverband LFP lehnte sie ab. Ohne Angaben von Gründen, ohne rechtliche Grundlage. Der Wechsel von Neymar vom FC Barcelona zu Paris Saint-Germain ist zu einem Politikum geworden, das die europäische Klubgemeinschaft zu spalten droht. Javier Tebas, der LFP-Präsident, beruft sich auf die Regularien des Financial Fair Play (FFP) der Europäischen Fußball-Union (Uefa). Die Unterlagen des Transfers übermittelte die LFP nicht rechtzeitig nach Paris, am Samstag, beim Heimspiel gegen Amiens musste der neue Star zuschauen. Schon vor Vollzug des Wechsels hatte Tebas angekündigt, dass er bei der Uefa klagen werde. Nachdem das Geld an den FC Barcelona überwiesen war, kündigten die Katalanen an, die Details des Transfers an die Uefa zu übermitteln, um ihn prüfen zu lassen.

Experten halten das FFP im Neymar-Zeitalter endgültig für gescheitert. „Vor dem Hintergrund der von Platini (dem früheren Uefa-Präsidenten, d. Red.) genannten Begriffe war das Financial Fair Play schon vor der Einführung gescheitert, denn es gewährleistet strukturell, dass die großen Vereine groß bleiben und die kleinen Vereine klein", behauptet Frank Koch, Leiter des Sportrechteteams bei Taylor Wessing in Hamburg. Die internationale Wirtschaftssozietät berät Investoren beim Einstieg in den Fußball. „An der finanziellen Dominanz der Top-Klubs hat sich nichts verändert, von externen Investoren unterstützte Mannschaften wie Manchester City oder PSG haben lediglich Wege gefunden, die Regularien zu umgehen." Die Spielergewerkschaft Fifpro sieht es ähnlich: „Eskalierende Summen" hätten die Balance zerstört. Uefa-Präsident Aleksander Ceferin erklärte, der Verband prüfe „verschiedene konkrete Maßnahmen", die für größere sportliche Balance sorgen könnten.

Die französische Sportzeitung „L'Équipe" berichtet, der FC Barcelona habe Kontakt zu anderen europäischen Klubs gesucht. Das Ziel: eine Allianz gegen Paris Saint-Germain, ein gemeinsamer Zug zur Uefa. Bayern München und Juventus Turin sollen zugesagt haben. Ihre Unterstützung ausgeschlossen hätten dagegen Real Madrid, der Erzrivale der Katalanen, sowie Manchester City, auf das wegen der finanziellen Unterstützung aus Abu Dhabi wohl auch Probleme zukommen würden, wenn der Neymar-Transfer Sanktionen für PSG nach sich zieht.

Dabei war das Ziel des im Jahre 2015 eingeführten Financial Fair Play, dem großen Prestigeprojekt des mittlerweile wegen Korruption geschassten Platini, die europäischen Klubs zu einen und die Ausgaben auf dem Transfermarkt zu drosseln. Mehr Transparenz, mehr Chancengleichheit und ein fairer Wettbewerb sollten erreicht werden. Maßgebend ist die „Break-Even-Rule", nach der ein Klub nicht mehr ausgeben darf, als er einnimmt. Defizite in den Bilanzen dürfen nicht durch externe Zuwendungen, etwa durch Investoren, ausgeglichen werden - Einnahmen müssen aus dem operativen Geschäft generiert werden. Klubverantwortliche verstehen es aber, das FFP zu umgehen. In der Praxis scheinen die Regeln längst nicht für alle in gleicher Weise zu gelten. So wie beim Transfer von Neymar. „Wenn ihn jemand verpflichten möchte, dann muss derjenige seine Ausstiegsklausel bezahlen, und momentan ist dies unmöglich, weil man ansonsten das Financial Fair Play nicht einhält", bekräftigte Josep Bartomeu, der Präsident des FC Barcelona, noch Ende Juli.

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Paris hat offenbar einen Weg gefunden, den Transfer abzuwickeln, ohne die eigenen Bilanzen zu belasten. Neymar soll einen Sponsorenvertrag mit der „Qatar Sports Investment" im Wert von 300 Millionen Euro unterschrieben haben, der ihn zum Botschafter der WM 2022 macht. Mit dem Geld haben Berater des Brasilianers, wie es auch der spanische Ligaverband formal vorsieht, die festgelegte Ausstiegssumme in Barcelona bezahlt. Die „Qatar Sports Investment" ist Teil der Investorengruppe, die auch die Geschicke bei PSG lenkt. Beim damaligen rumänischen Erstligaklub FC Petrolul Ploiesti wurde im Jahre 2013 ein ähnliches Modell von der Uefa für ungültig erklärt. Es sah vor, dass Bonuszahlungen für Profis von der externen Vereinigung „Lupii Galbeni 2012" übernommen werden. Ihr offizielles Ziel war, die Entwicklung des Sports in Ploiesti zu fördern. Die Zahlungen Dritter wurden als Bruch mit den Regularien des FFP gewertet.

Jurist Koch geht davon aus, dass der französische Klub den Neymar-Transfer nicht getätigt hätte, ohne eine Idee zu haben, wie man in Sachen FFP auf der sicheren Seite ist: „Zum einen wird man versuchen, der Uefa dieses Konstrukt zu vermitteln, zum anderen könnte man durch Spielerverkäufe einen Großteil der investierten Summe wieder einnehmen und somit die Bilanz ausgleichen."

© EPA Willkommen in Paris: Sogar der Eiffelturm begrüßt den Rekord-Transfer.

Doch nicht nur der Transfer an sich, auch seine laufenden Kosten scheinen dem Geist des Reglements zu widersprechen. Neymar soll in Paris ein Nettogehalt von 30 Millionen Euro im Jahr erhalten, was für den Klub Kosten von fast 60 Millionen im Jahr bedeuten würde. Der Spitzensteuersatz in Frankreich liegt bei 45 Prozent. Somit würde ein einziger Spieler fast zwölf Prozent des Jahresumsatzes beanspruchen, der im vergangenen Jahr 520,9 Millionen Euro betrug. Und auch der ist künstlich aufgebläht: Die kommerziellen Einnahmen machen bei Paris 58 Prozent des Umsatzes aus - bei keinem anderen europäischen Spitzenklub sind es mehr. Ein Großteil dieser Gelder wiederum kommt durch verschiedene Sponsorenverträge aus Qatar, aber auch - in Zeiten der Qatar-Krise politisch brisant - von der Fluglinie Emirates aus Dubai.

Sind diese Deals markgerecht, wie es das FFP vage und mit Interpretationsspielraum vorgibt?. 2014 wurden Manchester City und Paris Saint-Germain diesbezüglich belangt. PSG bekam 200 Millionen Euro von der qatarischen Tourismusbehörde - das Zehnfache dessen, was Bayern München und Real Madrid mit vergleichbaren Verträgen bekommen. Den tatsächlichen Marktwert taxierte die Uefa auf die Hälfte, belegte den Klub mit einer Strafe von 60 Millionen Euro Strafe. In der darauf folgenden Champions-League-Saison durfte PSG nur 21 statt 25 Spieler im Kader melden. „Auslegungsfragen bleiben das große Problem des Financial Fair Play, eine Gleichbehandlung ist da nur schwer gewährleistet", sagt Koch, der aber auch an die Chancen bei der Verpflichtung des brasilianischen Superstars denkt: „Irgendwann rechnen sich vielleicht die Mehreinnahmen aus Vermarktung und sportlichem Erfolg, so utopisch das zunächst klingen mag."

Derweil steht nicht allein PSG in der Kritik. Auch die Transferoffensive des AC Mailand stößt bei der Konkurrenz auf Gegenwind. Seit der Übernahme durch den Chinesen Li Yonghong im April dieses Jahres investierte der Klub fast 200 Millionen Euro in neue Spieler - so viel wie noch nie. Dem gegenüber stehen ein Jahresumsatz von 214,7 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2016 sowie seit geraumer Zeit durchgehend rote Zahlen in den Bilanzen. Dass die in diesem Sommer getätigten Ausgaben in Einklang mit den Regularien des FFP zu bringen sind, scheint unmöglich. Deshalb sollen Klubs, die sich an die Auflagen halten, laut der „Gazzetta dello Sport" Beschwerde eingelegt haben, etwa der AS Rom und Inter Mailand. Beide stehen seit Jahren unter Beobachtung durch die Uefa. Inter, das mit dem Einzelhandelsriesen Suning einen zahlungskräftigen Besitzer aus China hat, wurde schon wegen Verstößen gegen das Financial Fair Play belangt. Bis Juli musste der Klub ein Transferplus von 30 Millionen Euro generieren, um die Auflagen erfüllen zu können. Das Ziel wurde erreicht, Transferaktivitäten sind aber weiter nur in beschränktem Maße möglich. Kein Wunder also, dass das Verhalten des Konkurrenten auf Argwohn stößt.

„Milan wird keine Ausnahme im Financial Fairplay bekommen, denn das steht keinem Klub zu", stellte Andrea Traverso, der Uefa-Verantwortliche im Bereich Klublizenzierung, klar. „Jeder ist frei zu tun, was er möchte, er muss aber auch mit den Konsequenzen rechnen." Eine Selbstverpflichtung des AC Mailand, die bei Klubübernahmen üblich ist, lehnte die Uefa Mitte Juni ab. Die chinesischen Besitzer stellten dar, wie sie ihren Verein in den nächsten fünf Jahren aufstellen wollen. Die Mailänder kalkulierten ab 2019 mit einer Verdopplung des Jahresumsatzes auf 447,5 Millionen Euro. Unrealistisch, befand die Uefa. Ein nächster Entwurf soll im Oktober vorgelegt werden. Die „Gazzetta dello Sport" spekuliert, dass Milan-Präsident Li Yonghong eine einjährige Sperre vom internationalen Wettbewerb eingeplant haben könnte, um gleich zu Beginn eine namhafte Mannschaft zusammenzustellen.

Koch glaubt nicht daran, dass renommierte Klubs harte Sanktionen von der Uefa, beispielsweise ein Ausschluss von europäischen Wettbewerben zu erwarten haben: „Die Kommerzialisierung durchdringt den Fußball mehr und mehr, Spieler wie Neymar sind für das Produkt Champions League nicht nur wichtig, sie definieren es." Eine Königsklassen-Saison ohne die großen Namen sei nicht vorstellbar, Ausschlüsse würden weiterhin nur kleinere Klubs treffen. Bei den neuen Europapokal-Teilnehmern aus der Bundesliga, RB Leipzig und der TSG Hoffenheim, dauert die Überprüfung hinsichtlich des Financial Fair Play noch an. Bis Mitte Juli mussten die Bilanzen der vergangenen Jahre eingereicht werden. Die Uefa wollte auf Anfrage keine Auskunft über den derzeitigen Stand geben.


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