In einer Schlüsselszene von „Da sind wir" sitzt Ronnie Deane am Fenster eines Zuges und blickt auf sein Leben zurück. „Da sind wir" ist der neue Roman von Graham Swift. Ronnie ist ein Zauberer. In London hat er zum Abschied den im Krankenhaus aufgebahrten Leichnam seiner Mutter geküsst. Jetzt fährt er zurück nach Brighton, wo Ronnie und seine hinreißende Partnerin als „Pablo und Eve" die Attraktion der Feriensaison 1959 sind. Er presst die Nase an die Scheibe des Fensters und denkt an die Mutter, die ihn bei Ausbruch des Kriegs in die Obhut eines kinderlosen Ehepaars gegeben hatte. Draußen die Vororte, die vorüberziehende Landschaft von Surrey und Sussex, der Himmel, an dem sich Wolken zusammenballen. Er denkt an seinen verstorbenen Ziehvater, der ihn im Idyll eines versteckten Landhauses in die Zauberkunst eingeführt hatte, während über London und Coventry der Bombenhagel niederging. Im Sommer 1959 ist Ronnie 28 Jahre alt und blickt aus dem Zugfenster mit Tränen in den Augen auf sein Leben zurück, als wäre es zu Ende, obwohl er in Brighton der Hochzeit mit Eve und einer strahlenden Zukunft entgegensieht. „Hatte er nicht allen Grund, glücklich zu sein?", schreibt Swift, der in dem faszinierenden, gerade einmal 160 Seiten langen Roman Glück und Tragik des Lebens erfasst und einige der schweren Fragen der menschlichen Existenz zum Schweben bringt. „Bist du denn nicht glücklich?"
„Abgesehen davon, dass wir gerade eine andere Jahreszeit haben als im Roman", sagte Graham Swift, „hat sich auf dieser Strecke seit 1959 vermutlich kaum etwas verändert." An einem Tag im späten Winter saß er wie Ronnie am Fenster des Zuges und betrachtete die vorüberziehenden Felder und Wiesen, während Regen gegen die Scheibe schlug. Er trug einen dunkelblauen Pullover, darunter ein gestreiftes Hemd. Er hatte Schal und Handschuhe dabei, aber keinen Schirm. Ein paar Tage vor Erscheinen der englischen Originalausgabe von „Da sind wir" unternahm er einen Tagesausflug nach Brighton, um sich auf dem Schauplatz seines Romans umzusehen. „Im Laufe meines Lebens hat Großbritannien enorme Veränderungen erfahren, und wer weiß, was uns in den nächsten Jahren alles bevorsteht? Aber die Landschaft, durch die wir jetzt fahren, hat sich ihre Schönheit bewahrt und ist Teil dessen, was ich an England liebe."
Bäume und Ackerland, ein dumpfer Stoß, als hätte der Zug eine Kuh überrollt. In der Ferne die hügelige Kreidelandschaft der South Downs, in der sich Swift gelegentlich mit seiner in Lewes lebenden deutschen Übersetzerin trifft, um dem Gesang der Feldlerchen zu lauschen und sich beim Spazierengehen seinen patriotischen Gefühlen hinzugeben. „Ich liebe dieses Land", sagte er mit seiner unaufdringlichen Stimme, während der Zug in einen Tunnel fuhr. „Aber ich teile nicht die Nostalgie, die dafür verantwortlich ist, dass wir uns aus Europa zurückgezogen haben. Ich verstehe letztlich noch immer nicht, wie es überhaupt dazu kommen konnte und was sich die Leute, die für den Brexit gestimmt haben, davon versprechen."
Er überlegte, mit dem Schreiben aufzuhörenDen 31. Januar hatte Swift mit seiner Frau zu Hause in London verbracht. „Candice und ich haben an dem Tag nichts Besonderes unternommen", sagte er im Zug nach Brighton, als niemand ahnte, dass dies erst mal ein letzter Ausflug war und Swift in den kommenden Wochen und Monaten reichlich Gelegenheit haben würde, nichts Besonderes zu tun. „Wir sind nur allmählich immer trauriger geworden." Ein verhaltenes Lachen, ein plötzliches Aufhellen des Blicks, als der Zug aus dem Tunnel hinausfuhr und die Welt, als wäre sie verzaubert, im Sonnenschein badete. In „Da sind wir" durchbohrt Ronnie Eve mit Schwertern und zersägt sie zum Vergnügen des Publikums in zwei Hälften. Höhepunkt der Show im Theater am Ende der Brighton Palace Pier ist sein berühmter Regenbogentrick.