Schauspiel hat für ihn mit Geheimnis zu tun und ist gleichzeitig ein oppositioneller Akt. Ein Gespräch mit Jens Harzer, der vom Schauspieler Bruno Ganz testamentarisch zu seinem Nachfolger als Träger des Iffland-Ringes bestimmt wurde.
Bruno Ganz hat Ihnen den mythenumwobenen Iffland-Ring hinterlassen, den er selbst während zwanzig Jahren trug; Sie besitzen ihn nun seit Sonntag. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung, die als höchste im Theater gilt?Was der Ring wirklich bedeutet, weiss ich nicht. Natürlich gibt es gewisse Echoräume, die sich dadurch, dass die Wahl auf mich gefallen ist, in mir auftun. Der persönlichste ist, dass Bruno Ganz mir den Ring vermacht hat, nachdem er ihn eigentlich für seinen Generationskollegen Gert Voss bestimmt hatte.
Gert Voss verstarb 2014, inwiefern ist diese Verbindung "persönlich"?Voss war für uns alle eine Art Theatergott in seiner Ausschliesslichkeit dem Theater gegenüber. Was auch wiederum etwas mit mir zu tun hat. Diese Subjektivität des persönlichen Weiterreichens berührt einen ja, weil es keine Kommission ist oder Ähnliches, die einem irgendetwas zuspricht.
Also erleben Sie den Ring anders als die Auszeichnung als "Schauspieler des Jahres", die Sie bereits zweimal erhalten haben?Abgesehen von dem Besonderen, das mit persönlichen Empfindungen zu tun hat, kann ich mich mit der Formulierung "bedeutendster, würdigster Schauspieler der Generation" oder was im Umkreis des Rings so alles mitschwappt, nicht verbinden.
"Er vermag die eigene Sprache gegen die Welt zu halten", haben Sie über Bruno Ganz gesagt, "als könne man so die Verweildauer der Wörter um Sekunden erhöhen." Was verstehen Sie in diesem oppositionellen Sinne unter "Welt"?In dem Moment, in dem der Schauspieler im Theater den Mund aufmacht, um sich in der Sprache eines Autors zu äussern, haben wir es immer mit einer Nichteinverständniserklärung mit der Welt, wie sie ist, zu tun. Was nicht bedeutet, dass man die Welt nicht auch feiern sollte. Aber ich habe diesen Kinderglauben und halte den Akt, als Schauspieler in die Verwandlung zu gehen, bereits für einen oppositionellen oder emanzipatorischen Akt.
Als Schüler haben Sie in der Theater-AG des Gymnasiums gespielt. Was wussten Sie damals vom Theater?Diese Theater-AG war immer donnerstags um halb drei. Ich fing als Elfjähriger dort an. Zusammen mit meiner Mutter entschied ich mich, nach der letzten Schulstunde nicht nach Hause zu fahren. Stattdessen wurde mir ein Extrabrot geschmiert oder eine Mark gegeben, damit ich zum Bäcker gehen konnte. Und diese anderthalb Stunden, in denen ich nicht heimging, sondern allein im Umkreis der Schule blieb, das war für mich Theater. Und ist es bis heute.
Theater ist ein kostbarer privater Augenblick?Ja. Dieses Gefühl, gleich ist Probe oder eine Vorstellung, aber du hast noch eine Stunde Zeit. Was machst du jetzt? Was wird gleich kommen? Eine gewisse Angst. Die Konfrontation mit einerseits Lust und andrerseits auch Scham. Dieses Urgefühl, vor dem, was kommt, allein zu sein, hat sich bis heute nicht verändert.
Wie gelingt es Ihnen, sich dieses Gefühl zu bewahren?Darüber habe ich nie nachgedacht. Entweder ist das eine Form von Autismus, oder ich bin mit etwas beglückt, dass es mir eben nicht abhandenkommt. Im Jahr 2000, als ich meine Schwierigkeiten an der Berliner Schaubühne hatte, machte mir eine Kollegin ein wirklich schönes Kompliment.
War es so, dass Sie sich an der Schaubühne einen künstlerischen Neuanfang erhofften, nachdem Sie direkt im Anschluss ans Schauspielstudium sieben Jahre zu Dieter Dorns Ensemble an den Münchner Kammerspielen gehört hatten?Der Kampf, also das, worum es damals an der Schaubühne ging: vergessen. Aber bei den schwierigen Proben, fragte mich diese Kollegin: "Warum ist dein Gefühl zum Spielen so ungebrochen?" Klar, es gibt Professionalität, Alltag, Routine. Aber das alles kommt an dieses Schatzkästlein, in dem ich mir das beschriebene Gefühl bewahre, nicht heran.
Verband Sie diese Reinheit mit Dorn? Sie hielten ihm nach Ihrer Rückkehr nach München die Treue, bis Sie 2009 ans Hamburger Thalia-Theater wechselten.Natürlich gab es unter Dorn mit den Jahren unglaubliche Erstarrungen. Aber ich habe nichts gegen Sorgfalt. Ich habe nichts gegen Genauigkeit, in welcher ästhetischen Ausprägung auch immer. Ich finde es gut, dass der Ausdruck, den man findet, kein zufälliger ist.
Gegenwärtig spielen Sie in Leander Haussmanns Inszenierung von Kleists "Amphitryon" mit Perücke und Sonnenbrille, und in Johan Simons' "Penthesilea" sind Sie buchstäblich nackt. Hat Theater mit Zeigen oder mit Verbergen zu tun?Ich glaube, dass Spielen eher mit Verbergen zu tun hat, mit Verstecken, mit Geheimnis. Ich denke, dass alle Figuren eher aus einem Schweigen kommen. Je mehr eine Figur redet, desto stärker braucht sie eine Gegenwelt, in der sie nichts von sich preisgeben möchte. In vielen meiner Notizen zu einer Figur steht: "Investiere mehr in das Schweigen."
Gibt es private Erfahrung, die zum Massstab der Arbeit wird und in die Gestaltung einer Figur einfliesst?Das kann ich am Beispiel von "Penthesilea" ganz konkret beantworten, und es erklärt vielleicht, weshalb mir diese Arbeit so wichtig ist. Die Arbeit ist nach einer längeren Pause entstanden.
Diese Pause dauerte mehrere Monate, während deren Sie nicht auftreten konnten. Wie wirkte sich das aus?Ich war länger krank, und dadurch wurden zwangsläufig Dinge infrage gestellt. Dieser Wunsch, in einem anderen Körper zu sein, der ja für den Achill in "Penthesilea" ein grosses Thema ist, der Wunsch, den Körper zu tauschen, um im anderen zu überleben - das hätte ich sicherlich anders gespielt, wenn ich diese persönliche Erfahrung nicht gemacht hätte.
Was haben Sie als Schauspieler über das Wesen des Menschen gelernt?Die Arbeit als Schauspieler prädestiniert einen nicht zu einer Aussage, die ein anderer sensibler Mensch, der nicht ausschliesslich nach bürgerlicher Sicherheit strebt, nicht auch treffen könnte. Was ich aber doch weiss, sind zwei Dinge: Einerseits weiss ich durch viele Rollen, wie sehr der Mensch mit seinem Sein hadert. Wie sehr er steckenbleibt in seinen eigenen Träumen, Wünschen und Dispositionen. Und zugleich gibt es die Momente, in denen eine Figur grösser ist als die Summe der Konflikte, die sie gerade austrägt - in denen sie frei von allen Widerständen ist. Momente, in denen sie von grosser Reinheit ist.
Liegt im Erspüren dieser Momente auch für das Publikum die Relevanz des Theaters?Ich halte Theater für notwendig, so wie ich ein Schwimmbad für notwendig halte, das von der Stadt betrieben wird. Oder wie die Bücherhallen. Es muss sie geben, und sie müssen gut sein. Das Schwimmbad muss gut und sauber sein, es muss aber nicht immer voll sein. Im Gegenteil, ein Schwimmbad, das von uns Steuerzahlern bezahlt wird, ist manchmal besonders schön, wenn es leer ist.
Welche Rolle spielt der Schauspieler in diesem Betrieb?Als Schauspieler habe ich letztlich überhaupt keinen Auftrag, ausser vielleicht diesen: so inspiriert wie nur möglich zu sein, um in der Institution Theater das zu tun, was ich kann. Hat nicht der grosse Jerry Lewis einmal gesagt, dass er irgendwann gemerkt habe, dass er etwas kann, was nur ganz wenige können? Und dass er das bis an sein Lebensende machen muss? Aber wer bin ich, dass ich Jerry Lewis zitiere? Doch er sagte so ungefähr: Ich bin der, der dafür zuständig ist, den Menschen ein Geschenk zu machen.