Ob Reagan, Clinton oder Nixon - die Schriftstellerin Rachel Kushner kennt die Sündenfälle der US-Präsidenten. Historisch und literarisch informiert, betrachtet sie die Ära Trump aus kluger Distanz.
Ihr Debütroman "Telex aus Kuba" liegt jetzt auf Deutsch vor. In den USA erschien das Buch nach sechsjähriger Arbeit bereits 2008. Weshalb hat es Sie in der pulsierenden amerikanischen Gegenwart nach dem 11. September 2001 interessiert, einen Roman über das Kuba der fünfziger Jahre zu schreiben?
Ich begann mit der Arbeit an dem Roman bereits vor dem 11. September, nachdem ich 1999 zum ersten Mal auf Kuba gewesen war. Damals begleitete ich meine Mutter und ihre Schwestern, die unweit der amerikanischen Nickelmine aufgewachsen waren, für die mein Grossvater bis zu Castros Machtübernahme gearbeitet hatte. Ich besuchte Kuba ohne die Absicht, einen Roman darüber zu schreiben, aber als ich nach New York zurückkehrte, hatte ich den Eindruck, dass die Geschichte der Amerikaner, die bis Ende der fünfziger Jahre auf Kuba gelebt hatten - zu ihr hatte ich durch meine Familiengeschichte besonderen Zugang -, noch nie erzählt worden war.
Können Sie im Rückblick weitere Motive erkennen, die Sie zum Schreiben des Romans bewogen haben?
Meine Politisierung fand Mitte bis Ende der Achtziger statt, als die USA in eine Vielzahl von Stellvertreterkriegen verwickelt waren und ich als idealistischer, linksstehender Teenager den Eindruck hatte, dass die moralischen Kriege meiner Ära in Zentralamerika ausgetragen würden. Ich meine zum Beispiel die Rolle der USA im Bürgerkrieg in El Salvador oder den Versuch, die sandinistische Regierung in Nicaragua zu stürzen. Die Iran-Contra-Affäre.
"Ich bin mit einem gehörigen Mass an Respektlosigkeit gegenüber den amerikanischen Autoritäten aufgewachsen."
Das alles interessierte mich so sehr, dass ich politische Ökonomie studierte, was vielleicht keine ideale Voraussetzung für eine Romanautorin ist. Aber möglicherweise bin ich dank der von Hegel beschriebenen "List der Vernunft" genau deshalb zu einer Schriftstellerin geworden, deren erster Roman von amerikanischer Dominanz über Lateinamerika handelt.
Ein Hegemonieanspruch, der mittlerweile brüchig geworden ist.
Ja - wobei die USA auch nach 2001 weiterhin globale Kriege geführt haben, deren Fallout noch heute zu spüren ist: nicht zuletzt in Ländern wie Deutschland, wo die Flut der Flüchtlinge ein welthistorisches Ausmass angenommen hat, für das ausschliesslich Amerika verantwortlich ist. Aber "Telex aus Kuba" erschien zu einer Zeit, als der Gedanke einer amerikanischen Hegemonie noch verbreitet war und man vom Niedergang Amerikas und seiner weissen Identität, von dem heute überall die Rede ist, noch nichts spüren konnte.
"Flammenwerfer", Ihr zweiter Roman, spielt zwar ebenfalls in der Vergangenheit, wurde aber bei seinem Erscheinen 2013 durchaus als Kommentar zur Gegenwart gelesen.
Ich selbst mache mir über die Rezeption meiner Bücher nicht so viele Gedanken, aber mein Mann hat ein Auge darauf. Er fand tatsächlich, dass "Flammenwerfer" den Zeitgeist widerspiegle, obwohl der Roman grösstenteils in den Siebzigern angesiedelt ist. Aber einige Leute hatten offenbar das Gefühl, dass er von ihnen handle und sich beispielsweise mit der Occupy-Bewegung verbinde. Vielleicht hat dieses Gefühl aber auch lediglich damit zu tun, dass die siebziger Jahre der Beginn dessen waren, was ich als die Ära unserer Gegenwart empfinde.
Ihre bisherigen Romane handeln von Revolution und Revolte. Abgesehen von der Tatsache, dass Sie 1968 gewissermassen in eine Revolution hineingeboren wurden: Wo liegt der Ursprung Ihrer Faszination für dieses Thema?
Meine Eltern waren eher Beatniks als Hippies und besuchten 1968 wahrscheinlich noch die Highschool. Sie waren sehr von Jack Kerouac und Allen Ginsberg beeinflusst, auch von Ezra Pound oder T. S. Eliot. Ich bin in einem Haus voller Bücher aufgewachsen und kann mich erinnern, dass ich 1973 die Watergate-Anhörungen im Fernsehen mitverfolgen durfte, obwohl ich erst vier Jahre alt war. Ich besass damals natürlich noch kein politisches Bewusstsein, aber vielleicht hat politische Subjektivität auch mit Möglichkeit und Richtung zu tun.
Ich war alt genug, um das Ende des Vietnamkriegs bewusst zu erleben, und in Berkeley geriet ich in die Studentenproteste gegen die Investitionen der staatlichen Universität in südafrikanische Konzerne, die das Apartheidsystem unterstützten. All dies hat mich geprägt. Vermutlich bin ich mit einem gehörigen Mass an Respektlosigkeit gegenüber den amerikanischen Autoritäten aufgewachsen.
Wie setzen Sie sich als Schriftstellerin mit der Realität einer Welt auseinander, der viele von uns zum Teil "in banaler und feiger Weise über ein paar Tastenanschläge auf unserem Computer" begegnen, wie Sie kürzlich in einer Reportage für die "New York Times" geschrieben haben?
Es ist schade, dass Sie meinen neuen Roman noch nicht kennen. Es handelt sich um einen Gegenwartsroman, in dem ich die Zeiten, in denen wir leben, zu interpretieren versuche. Es stimmt, ich liebe die realen Welten. Ich nutze keine Social Media und versuche, möglichst wenig Zeit im Internet zu verbringen. Ich habe inzwischen zwar begriffen, dass auch das Internet real ist, aber ich tue mich mit seiner Realität sehr schwer.
Was ist Ihre Alternative?
Es klingt vielleicht etwas einfältig, aber je älter ich werde, desto simpler wird die Denkrichtung, der ich zu folgen versuche. Am Ende wird natürlich alles doch immer wieder kompliziert, aber das genaue Zuhören und Hinsehen ist der essenzielle Kern. Vieles von dem, was wir zu sehen und zu wissen glauben, basiert auf Vorurteilen, und es braucht viel Geduld, um diese zu durchdringen. Aufmerksam hinzusehen und anderen Menschen zuzuhören, ist meine bevorzugte Auseinandersetzung mit der Welt.
"Ich glaube, man muss einen gewissen Zugriff auf die Zukunft haben, um Aussagen über die Gegenwart treffen zu können."
Darin haben Sie illustre Vorläufer.
So abgedroschen es auch klingen mag, aber ich glaube inzwischen fast an eine Art des von Thoreau praktizierten amerikanischen Transzendentalismus der Einsamkeit und Kontemplation. Dieser Aspekt spielt stark in meinen neuen Roman hinein, der in den USA voraussichtlich im Mai 2018 erscheinen wird und für den ich erstmals nicht auf etwas zurückblicken konnte, das zum Zeitpunkt des Schreibens bereits Geschichte war.
Es ist sehr viel schwieriger, in einem Kunstwerk die Gegenwart einzufangen, und es genügt dafür nicht, lediglich Trump einzubinden, wie es manche bildenden Künstler inzwischen tun. An meinem neuen Roman habe ich fünf Jahre gearbeitet, ich kann also nicht behaupten, dass er von Trump handle, obwohl er durch ihn vielleicht intensiviert wurde. So, als hätte ich bereits über etwas geschrieben, was sich dann auch in der äusseren Welt ereignete.
Welche Schriftsteller werden Ihren Ansprüchen an eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart gerecht?
Ich denke, dass zum Beispiel Don DeLillo einer von denen ist, deren Wahrnehmung eine beinahe mystische Reichweite hat. Er kann auf der Upper East Side aus seinem Fenster blicken und die Geschäftsleute beobachten oder in Midtown vor dem Trump Tower stehen und jene unsichtbare Schicht erkennen, die auf die Zukunft verweist, auf die wir uns zubewegen. Ich glaube, man muss einen gewissen Zugriff auf die Zukunft haben, um Aussagen über die Gegenwart treffen zu können.
"Ich bin heute nicht der Meinung, dass wir uns darum scheren sollten, wenn Trump den Direktor des FBI feuert."
Etwas, was zum Beispiel Melville in "Moby-Dick" gelungen ist, als er mit Captain Ahab einen Monomanen von der Grösse eines Donald Trump erfand.
Mir erscheint Trump eher wie eine Figur aus William Gaddis' "Die Fälschung der Welt" oder Nathanael Wests "Miss Lonelyhearts". Während Gaddis schon in den fünfziger Jahren über den Mangel an Authentizität geschrieben hat, der inzwischen unsere ganze Welt ergriffen hat, wusste West bereits um das ganze Ausmass der Korruption im Herzen der amerikanischen Identität. Trump tritt als Figur in den Werken beider Schriftsteller auf, aber wir dürfen dennoch nicht vergessen, dass seiner Präsidentschaft andere Versagen der amerikanischen Demokratie vorausgegangen sind.
Worauf würden Sie da den Finger legen?
Mir scheint etwa die Tatsache, dass inzwischen manche Leute das FBI und die CIA zu heiligen Organisationen erklären, die vor Trump geschützt werden müssen, nachgerade lächerlich. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, als der sogenannte "tiefe Staat" in alle möglichen illegalen Kriege verwickelt war, so dass ich heute nicht der Meinung bin, dass wir uns darum scheren sollten, wenn Trump den Direktor des FBI feuert. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, ob Trump schlimmer ist als Reagan, der den Wohlfahrtsstaat demontiert hat, oder Clinton, der alles getan hat, diese Arbeit zu beenden. Die Amerikaner wurden vor eine unmögliche Wahl gestellt.
Wenn man wie DeLillo vorm Trump Tower steht, begegnet man einstweilen keinen Protestzügen, sondern allenfalls ein paar Touristen, die mit ihren Smartphones Fotos machen.
Hoffen wir, dass nicht einer von ihnen irgendwann ein Attentat auf Trump verübt . . . Aber im Ernst: Mit dem Trump-Bashing macht man es sich zu leicht. Es gibt komplexere Fragen, die man sich stellen sollte. Zum Beispiel die Frage, wie Amerika an diesem Moment seiner Geschichte anlangen konnte.
"Der Versuch, die menschliche Existenz auf Physik oder Biologie zu reduzieren, ist beschämend."
Oder die Frage nach der spirituellen Dimension unserer Gegenwart, der Sie in Ihren Werken Raum zu geben scheinen.
Ich nehme an, dass Sie mit dieser Frage auf Richard Princes Foto "Spiritual America" anspielen, das die zehnjährige Brooke Shields in hypersexualisierter Pose in einer Badewanne zeigt? Ich denke dabei aber ausserdem an den Rennfahrer Craig Breedlove, der einer der Helden meiner Kindheit war und Teile von "Flammenwerfer" inspiriert hat. Er hat mit seiner "Spirit of America" in der Salzwüste von Utah mehrfach den Landes-Geschwindigkeitsrekord gebrochen. Dieses Geschoss auf Rädern, das wie eine Interkontinentalrakete aussah, gab dem Amerika der Nachkriegszeit mit seiner nihilistischen, an Kubricks "Dr. Strangelove" erinnernden Ästhetik das Gefühl, zu wirklich allem fähig zu sein.
Meine Frage galt eher Ihrer eigenen Sicht auf das Thema.
Worin ich heute eine spirituelle Dimension erkenne? Ich weiss nicht, wie es anderen ergeht, aber was mich betrifft, so bin ich einfach keine gute Positivistin. Der blinde Glaube an die Naturwissenschaften ist inzwischen selbst zur Religion geworden, aber der Versuch, die menschliche Existenz auf Physik oder Biologie zu reduzieren, ist beschämend. Vielleicht hat diese Einsicht aber auch nur damit zu tun, dass mein neuer Roman eine sehr dunkle Komponente hat und ich bei der Arbeit zu viel Dostojewski gelesen habe. Ich beneide ihn um seinen Glauben. In seiner Welt sind es lediglich die Menschen, die schlecht sind.