Die Bach-Harfe bröckelt. Das Tri-Cello ist verstimmt. Andere Instrumente sind längst auf dem Schrottplatz gelandet oder gelten als verschollen. Der Komponist und Klangkünstler Ferdinand Försch muss dabei zusehen, wie sein Lebenswerk verfällt. Hier, im Keller einer Lasertag-Arena an der Wandsbeker Allee, wo Försch seine Klangskulpturen notdürftig eingelagert hat. Zum 1. Oktober endet der Mietvertrag. Was danach wird, ist unklar.
Ferdinand Försch ist einer jener Künstler, die ihr Leben auf halsbrecherische Weise einer eigenen, fixen Idee widmen. Im Alter von 16 Jahren leitete er bereits den Dorfchor im fränkischen Gräfendorf. Später schleppte er trotz böser Anfeindungen Dachrinnen, Bremstrommeln und andere Schrottplatzfunde in die Stuttgarter Musikhochschule, wo er Komposition, Schlagzeug und elektronische Musik studierte. Ein Professor förderte den experimentellen Geist des Studenten, integrierte ihn in sein "Ensemble Neue Musik" und ließ ihn Stücke für Waschmaschinenräder komponieren.
Eine Begegnung mit John Cage inspirierte Försch, den Ballast seines klassischen Musikstudiums und der Zwölftonmusik abzustreifen. Es sollte von nun an um Klangkunst, Klangsuche und Klangfindung gehen. "Jeder Klang ist gleichwertig und weder gut noch schlecht", sagt Försch, "jeder Klang ist absolut einzigartig und sich selbst genug."
Försch tourte mit zwei Koffern voll Eisen über die Bühnen, lange bevor die Einstürzenden Neubauten mit ihrem Schlagzeug aus Schrott erste Erfolge feierten. Försch baute zum 80. Geburtstag von John Cage Instrumentenskulpturen für die Alte Oper in Frankfurt, stellte seine Werke auf Kampnagel aus, spielte im Pudel Club und veranstaltete Klangdinner - geräuschvolle Dekonstruktionen der herkömmlichen Business-Veranstaltung - für Firmen wie Bayer, Porsche und Mercedes.
Seit 1982 lebt Försch überwiegend in Hamburg. Aktuell arbeitet er an Geld, dem zweiten Teil von Luk Percevals Zola-Trilogie, der am 1. Oktober im Thalia Theater uraufgeführt wird. Wenn der Regisseur sich von ihm einen "Hitchcock-Sound" wünscht, dann experimentiert Försch an seiner orgelähnlichen Stahlkonstruktion, bis er etwas Passendes gefunden hat.
Von oben sickert der martialische Soundtrack der Lasertag-Arena durch die Decke, ein paar Räume weiter proben dreimal die Woche die Wandsbeker Blues Buam und draußen dröhnt der Verkehr der Wandsbeker Allee. Försch, in Westernstiefeln, Lederhose und dunklem Jackett, raucht erst mal eine American Spirit. In seinem Tonstudio sitzt er ab zwei Uhr nachts, wenn es im Haus und auf der Straße ruhig geworden ist und er sich auf den Klang konzentrieren kann. Am Wochenende geht das nicht. Dann ist im Haus "Remmidemmi", sagt Försch, "bis morgens um fünf".
Einige Jahre lang ist der Künstler von der Kulturbehörde mit jährlich 4500 Euro gefördert worden. Inzwischen ist er 65 und lebt von 450 Euro Rente. Wären nicht zusätzlich die Einnahmen durch die Zusammenarbeit mit dem Thalia Theater, wo er bereits an den Inszenierungen Die Brüder Karamasow undFront beteiligt war, dann wäre Försch ruiniert.
Er fühle sich stark genug, um Eisenbahnwaggons zu verschieben, sagt der Künstler. Nur wohin? Am Wochenende sieht er sich in einem Dorf bei Schleswig eine Scheune an, später dann Räume in der Nähe der AKW-Altlast Krümmel. Er schreibt E-Mails an Kulturinstitutionen aus Santa Monica, Johannesburg und Dubai. "Ich habe ein Recht auf meine Utopie", sagt er, "ein Recht auf ein Klanghaus, das auch anderen Künstlern ein Forum bietet. Diese Utopie verfolge ich bis ans Lebensende."
In seinem Tonstudio arbeitet er an seiner Sample Library, einem Klangarchiv, mit dem er Ton für Ton die Klangvielfalt seines Werkes erhalten will, sollten die Skulpturen nicht gerettet werden. Er sagt: "Ich würde überall hingehen, um mein Instrumentarium vor dem Untergang zu retten."
In Hamburg jedenfalls, wo Försch die Miete für eine fachgerechte Lagerung des einzigartigen Werks nicht mehr aufbringen kann, sind seine Tage gezählt. Wie bitter das klingt.