Sebastian Breuninger spielt die erste Violine und ist Konzertmeister im international bekannten Gewandhausorchester Leipzig. Mit mir hat er über seinen Weg von Schweighausen nach Sachsen gesprochen.
Die Breuningers sind Musiker. Ihre drei Geschwister haben sich international einen Namen gemacht, Ihre Mutter spielt Klavier, Ihr Vater hat Geige gespielt. Hatten Sie keine andere Wahl, als auch Musiker zu werden?
Musik hat einen sehr hohen Stellenwert zu Hause eingenommen, bei uns allen. Ich selbst war fasziniert von der Geige. Mit fünf Jahren habe ich von meinen Eltern eine Platte bekommen, Duos mit Itzhak Perlman und Pinchas Zukerman, den Geigengöttern. Davon kann ich heute noch jeden Ton auswendig. Meine Eltern haben allerdings auch eingefordert, dass wir viel arbeiten und üben. Jetzt, wo ich Kinder habe, weiß ich, dass das sehr schwierig ist. Üben macht keinen Spaß, zumindest am Anfang nicht.
Macht es Ihnen denn jetzt Spaß?
Beim Üben komme ich zu mir selbst. Ich brauche das, wenn es mir schlecht geht, ebenso wie in sehr guten Momenten – Üben ist für mich so eine Art Meditation.
Gilt das auch für die Bühne?
Wenn ich gut drauf bin. Die Begegnung mit meinen Kollegen und dem Publikum begeistert mich. Aber auf die Bühne zu gehen und die vielen Menschen zu sehen, die Geld bezahlt haben, um etwas Außergewöhnliches zu hören – da denke ich häufig, dass es reicht, wenn ich nur in meinem Zimmer spiele (lacht). Auftreten braucht ein gewisses Selbstbewusstsein.
Wenn man Sie auf der Bühne sieht, hat man Sorge, dass Sie gleich vom Stuhl fallen – Musik scheint für Sie ein sehr körperliches Erlebnis zu sein.
Ja, schon. Tanzen ist die ursprünglichste musikalische Erfahrung neben dem Singen. In der Lahrer Musikschule haben wir nicht mit Noten gelernt, sondern sollten alles nachsingen und dann erst spielen. In die Musik auf diese sinnliche Art einzutauchen, ist für mich nach wie vor der beste Weg. Gelingt es mir, ergreift das meinen ganzen Körper. Das muss ich auch zulassen, sonst kann ich nicht locker werden.
Da Sie von Lahr sprechen – haben Sie auch der Lahrer Musikschule Ihren Werdegang zu verdanken?
Meine Eltern sind damals aus der Stuttgarter Region ganz bewusst nach Lahr gezogen, wegen unserer Musikausbildung. Unsere Lehrer waren sehr engagiert. Sie haben teilweise nebenbei Musikvereine betreut und diejenigen Kinder und Jugendlichen, die sehr begabt waren, an die Musikschule geholt. Da gibt es einige, die Berufsmusiker geworden sind. Die große Tradition der Musikschule wird ja, wie ich mit Freude höre, auch immer weiter fortgeschrieben. Eine der schönsten Überraschungen meines Berufslebens war, einer Schulkameradin, neben der ich im Religionsunterricht saß, zwölf Jahre später wieder zu begegnen – beim Posaunenprobespiel fürs Deutsche Symphonie-Orchester, wo ich damals spielte. Sie hat die Stelle bekommen.
Bevor Sie im Deutschen Symphonie-Orchester in Berlin waren, haben Sie dort bei den Philharmonikern gespielt. Wie kam es dazu?
Mitten im Studium hatte ich einen zweifelnden Moment, in dem ich wissen wollte, ob ich vom Geige spielen würde leben können. Ich war da erst 21, aber offenbar ziemlich ehrgeizig, weil mein erstes Ziel gleich die Berliner Philharmoniker waren. Ich habe die Stelle auch bekommen, aber mein Lehrer an der Hochschule der Künste Berlin, der legendäre ehemalige Philharmoniker-Konzertmeister Thomas Brandis, hat mir geraten, so schnell wie möglich die nächste Herausforderung zu suchen. Deshalb habe ich mich auf die Stelle des Konzertmeisters beim Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin beworben und auch dabei Glück gehabt.
Ihr Bruder Laurent Albrecht Breuninger, der an der Musikhochschule Karlsruhe unterrichtet, hat der Badischen Zeitung gegenüber einmal gesagt, er komme gern nach Schweighausen zurück, um sich inspirieren zu lassen. Geht das Ihnen auch so?
Ja, absolut. Es gibt immer wieder diese Momente der Sehnsucht, in denen ich denke: Ich muss wieder in den Süden. Leipzig ist fantastisch, ich liebe diese Stadt und welchen Rückhalt das Orchester in der Bevölkerung hat. Aber schon ab Karlsruhe, wenn es runter geht Richtung Offenburg und die Berge und Wälder anfangen, merkt man die Nähe zur Natur und diese Ruhe. Auch während des Studiums bin ich immer wieder zurückgekommen, um in dieser unglaublichen Landschaft zu üben. Landschaft und Musik hat für mich eine sehr starke Beziehung. Selbst als Teenager bin ich stundenlang mit meinem Walkman durch die Wälder um Schweighausen gelaufen und habe dabei Beethoven gehört.
Können Sie sich denn vorstellen, zurückzukommen?
Gefühlsmäßig auf jeden Fall, realistisch gesehen: nein. Vor 15 Jahren habe ich darüber nachgedacht. Baden-Württemberg war für die Kultur, speziell die Musikförderung, immer das Vorzeigeland. Früher wäre es unvorstellbar gewesen, das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart einfach mit dem ehemaligen Südwestfunk-Orchester zusammenzulegen. Das waren für mich zwei Leuchtpunkte. Auch wenn sich das jetzige SWR-Symphonieorchester sicherlich gut entwickeln wird, bleibt die Fusion ein großer Einschnitt. Dagegen wird hier in Leipzig, wo wirtschaftlich die Situation nicht besser ist, ein Bekenntnis gesetzt zur kulturellen Tradition. Wir können ganz ruhig arbeiten und müssen nicht bei jeder Haushaltsdebatte um unsere Existenz bangen.
Diese kulturelle Tradition war ja auch ein Grund für Sie, zum Gewandhausorchester zu gehen.
Das stimmt. Das Gewandhausorchester hat etwas sehr Spezielles, das meiner Vorstellung von Musik entspricht.
Die da wäre?
Wenn ich das beschreiben könnte, wäre ich Schriftsteller (lacht). Aber gut – ich glaube, dass die Mentalität in Leipzig anders ist. Ein Orchester ist ein sehr hierarchisches Gebilde. Jeder Musiker muss bereit sein, sich ein- und sogar unterzuordnen und gleichzeitig eine außergewöhnliche solistische Qualifikation mitbringen. Wenn im Gewandhaus eine Stelle ausgeschrieben wird, bewerben sich Hunderte aus der ganzen Welt. Wir laden vielleicht 70 ein und können uns am Ende häufig trotzdem auf keinen Kandidaten einigen. Die Stellen bleiben so oft über mehrere Jahre frei, bis wir jemanden finden, der optimal passt. Der große Spagat für uns Orchestermusiker ist dann aber, unsere Individualität in einer gemeinsamen Idee und Empfindung aufgehen zu lassen. Wenn in glücklichen Momenten diese unterschiedlichen Persönlichkeiten in völliger Harmonie spielen, bedeutet das für mich die Vollendung.
Und das war in Berlin nicht so?
Die Orchester in Berlin, die ich kennenlernen durfte, sind von einem ganz anderen Persönlichkeitsprofil geprägt. Da versucht jeder so stark zu sein, wie er nur kann. Fast kämpferisch – das erzielt auch ein fantastisches Ergebnis, vielleicht sogar ein brillanteres. Aber die Ruhe, Innigkeit und Wärme, die von der Musizierhaltung meiner Leipziger Kollegen ausgeht, ist mir besonders nah. Aber wie gesagt – das ist jetzt alles sehr plakativ. Man muss das hören.
Sebastian Breuninger
Der 46-Jährige lebt mit seiner Lebensgefährtin, auch Berufsmusikerin, und den zwei Kindern in Berlin. Sebastian Breuninger wurde in Lahr von Dietmar Mantel, in Würzburg von Max Speermann, in Düsseldorf von Rosa Fain und in Berlin von Thomas Brandis unterrichtet. Dort spielte er während seines Studiums an der Hochschule der Künste bei den Philharmonikern, bevor er Konzertmeister des Deutschen Symphonie-Orchesters wurde. 2001 wechselte er ins Gewandhausorchester, ebenfalls als erster Konzertmeister. Er spielt in der Gruppe der ersten Violinen, nimmt solistische Aufgaben wahr und ist als wichtigster künstlerischer Vertreter des Orchesters Bindeglied zwischen Orchester und Dirigent, mit dem er sich in ständigem Dialog über die praktische Umsetzung der Interpretationen befindet. Für die Orientierung des Orchesters hat er deshalb eine ähnliche Funktion wie der Dirigent.
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