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Mütter in Notsituationen: Entbinden unter Pseudonym

Seit Mai 2014 haben werdende Mütter die Möglichkeit der vertraulichen Geburt. Auch in den Leipziger Kliniken entbinden immer wieder Mütter vertraulich. Dennoch werden weiterhin Kinder in der Babyklappe abgegeben.


Leipzig. Schwanger zu sein bedeutet nicht für alle Frauen Glück und Vorfreude. Einige wollen oder können ihr Kind nicht behalten - aus ganz unterschiedlichen Gründen. Es ist ein heikles Thema: Kliniken wollen einerseits nicht mit Angeboten zur Kindsabgabe werben, andererseits bleibt einigen Frauen nichts anderes übrig, als ihr Kind unerkannt zu entbinden. „Im besten Fall behält die Mutter ihr Kind natürlich oder gibt es zur Adoption frei", sagt Simone Glasow, leitende Geburtshelferin am Klinikum St. Georg.

Seit Mai 2014 haben werdende Mütter die Möglichkeit der vertraulichen Geburt. Im Freistaat fanden 2014 und 2015 jeweils acht vertrauliche Geburten statt, 2016 waren es sieben. Zum Vorjahr lägen noch keine Zahlen vor, so das Sozialministerium. Auch in den Leipziger Kliniken entbinden immer wieder Mütter vertraulich. Etwa einmal im Jahr komme das im St. Elisabeth Krankenhaus vor, 2017 gab es im St. Georg zwei vertrauliche Geburten. Im Uniklinikum habe es bislang nur eine vertrauliche Geburt gegeben, sagte Julia Kern, Oberärztin in der Geburtsmedizin.

Bund trägt Kosten vertraulicher Geburt

Bei einer vertraulichen Geburt wendet sich die Schwangere an eine anerkannte Schwangerschafts-Beratungsstelle. Die werdende Mutter denkt sich ein Pseudonym aus, welches auf einem Briefumschlag steht, in dem ihre richtigen Daten hinterlegt sind. Unter diesem Pseudonym werden Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt, schließlich kommt die Frau zum Entbinden in die Klinik. Auf der Geburtsurkunde wird das Pseudonym der Mutter angegeben sowie der Vermerk „vertrauliche Geburt". „Die Frau kann dem Neugeborenen noch einen Brief schreiben, dann geht sie ohne das Kind nach Hause", sagt Martina Weber, Oberärztin für Frauenheilkunde am St. Elisabeth Krankenhaus. Das Jugendamt bestimmt einen Vormund für das Neugeborene, die Rechte des Vaters werden bei einer vertraulichen Geburt nicht berücksichtigt. Die Beratungsstelle schickt den Umschlag mit den richtigen Daten der Mutter dann zusammen mit der Geburtsurkunde an das Bundesamt für Familie. Die Kosten für Entbindung und Geburtsvorbereitung trägt bei einer vertraulichen Geburt der Bund.

Mit 16 Jahren darf das Kind die Daten der Mutter erfahren. Es sei denn, ein Gericht befindet, dass das Offenlegen der mütterlichen Identität für sie unzumutbar ist. „Für das Kind ist das Recht zu erfahren, wo es herkommt, sehr wichtig", sagt Glasow. Ein weiterer Vorteil der vertraulichen Geburt sei, dass die Schwangeren normale Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch nehmen können. Ungünstig findet Glasow jedoch, dass Leistungserbringer - also beispielsweise Frauenärzte - in Vorkasse gehen müssen. Sie bekommen die Kosten erst zurückgezahlt, wenn die vertrauliche Geburt tatsächlich stattgefunden hat.

Vergleichsweise viele anonyme Geburten im St. Georg Klinikum

Eltern, die ihr Kind nicht behalten können, haben auch andere Möglichkeiten, ihr Baby abzugeben: Schon geborene Kinder können anonym in Babyklappen abgelegt werden. Das Klinikum St. Georg unterhält die einzige Babyklappe in Leipzig. Immer wieder werde sie genutzt, sagt Sprecherin Manuela Powollik. Insgesamt gibt es fünf Babyklappen in Sachsen, die dort abgegebenen Kinder werden nicht zentral erfasst. Babyklappen-Kinder werden allerdings nicht zwingend mit medizinischer Hilfe geboren.

Vor 2014 hatten Frauen, die mit medizinischer Unterstützung unerkannt ihr Kind zur Welt bringen wollten, einzig die halblegale Möglichkeit, anonym zu entbinden. Die Ärzte leisteten dann Nothilfe, das Kind hatte keine Möglichkeit, die Identität der Mutter zu erfahren. Im St. Georg Klinikum gebe es bis heute vergleichsweise viele solcher anonymen Geburten. Auch das Angebot der vertraulichen Geburt habe die Zahl der anonymen Geburten nicht verändert, sagt Glasow.

Anonymität währt nach vertraulicher Geburt 16 Jahre

„Mit dem Angebot der vertraulichen Geburt ist gewissermaßen eine neue Zielgruppe aufgemacht worden", sagt Cornelia Weller, Schwangerschaftsberaterin des DRK in Leipzig. Frauen, die ansonsten ihr Kind vielleicht unter richtigem Namen auf die Welt gebracht hätten, versteckten sich heute teilweise hinter einem Pseudonym. Bedenklich findet Weller, dass einige ungewollte Mütter ihre Probleme nur 16 Jahre in die Zukunft verschieben. Denn dann darf das Kind ihre Identität erfahren.

Meist berate Weller deutsche Frauen mittleren Bildungsniveaus zur vertraulichen Geburt. „Das Verfahren ist kompliziert. Um es zu verstehen, müssen die Mütter eine gewisse Bildung und Verständnis haben", meint Weller. Frauen, die ihr Kind gleich nach der Geburt unerkannt abgeben wollen, haben in der Regel mehrere Gründe für ihre Entscheidung. Gewalt in der Partnerschaft, finanzielle Probleme, Schwangerschaft nach einer außerehelichen Beziehung und die fehlende Krankenversicherung seien die häufigsten, sagt die Schwangerschaftsberaterin. Sie geht davon aus, dass eine Stiftung, die nicht-versicherte Frauen bei einer Schwangerschaft finanziell unterstützt, sie dazu bewegen könnte, ihr Kind unter richtigem Namen zu entbinden.

„Insgesamt ist die vertrauliche Geburt im Sinne von Frau und Kind, aber ein sehr kompliziertes Verfahren", wertet Weller. Für die Frauen und das Klinik-Personal sei eine anonyme oder vertrauliche Geburt immer eine emotional sehr anspruchsvolle Situation, sagt Simone Glasow. Das Klinik-Personal hoffe bis zuletzt, dass sich die junge Mutter ihre Entscheidung doch noch anders überlegt und ihr Kind annimmt.

„Absolut wichtig" findet Weller darum die Einrichtung eines Bereitschaftstelefons der sechs Leipziger Beratungsstellen. Geht eine Frau in die Klinik, um anonym zu entbinden und entschließt sich im letzten Moment, ihren Namen in einem Umschlag zu verwahren, muss eine Schwangerschaftsberatung eingeschalten werden. Die sind aber nachts oder am Wochenende nicht besetzt. Die Beratungsstellen wollten einen Bereitschaftsdienst schaffen, sagt Weller. Allerdings müsse es finanziert werden.

Von Theresa Held


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