Leipzig. Nadja Neqqache steht mit zwei Freunden auf dem Marktplatz der sächsischen Kleinstadt Borna. Ihnen gegenüber: Neonazis mit breiten Rücken und Sonnenbrillen. Die 26-jährige Studentin blickt unruhig über den Platz, ihre Freundin tippt auf ihr Smartphone. Sie berichten für die Initiative Straßengezwitscher über eine rechte Demonstration. Auf Twitter veröffentlichen sie live, was sie sehen.
Straßengezwitscher ist nicht das einzige Projekt, das in Sachsen über fremdenfeindliche Strömungen berichtet. Auch andere Initiativen beobachten und dokumentieren Entwicklungen wie in Freital und Heidenau. Sie nutzen das Internet als Kommunikationskanal und recherchieren auf eigene Faust, unbezahlt.
„Wir haben eine Lücke zwischen klassischer Berichterstattung und dem Geschehen auf der Straße gefüllt", sagt Johannes Filous, der Straßengezwitscher im Frühjahr 2015 in Dresden gegründet hat. Inzwischen berichten zehn junge Menschen von rechten Veranstaltungen in ganz Sachsen. Im Juni dieses Jahres wurden die jungen Journalisten mit dem begehrten Grimme Online Award für ihre Arbeit ausgezeichnet.
Auch Karolin Schwarz war für den Preis nominiert. Die Leipzigerin störte sich an Gerüchten über Asylbewerber, die angeblich klauen, Hunde essen und teure Schuhe vom Landratsamt bezahlt bekommen. Kurzerhand schuf sie mit einem Bekannten die Hoaxmap. Das ist eine Online-Karte, die zeigt, wo welche Gerüchte widerlegt wurden. Hoax heißt so viel wie Falschmeldung. Die 31 Jahre alte Unternehmensberaterin startete im Februar dieses Jahres mit 177 Fähnchen auf der Karte - jedes steht für ein widerlegtes Gerücht. Inzwischen findet man auf Hoaxmap mehr als vierhundert solcher Fähnchen.
Sie bekäme viele Inhalte zugespielt, erzählt Schwarz mit ruhiger bestimmter Stimme. Sie prüft die Gerüchte und pflegt die Internetseite in ihrer Freizeit. „Es macht keinen Spaß, sich damit auseinander zu setzen", sagt sie. „Aber viele Gerüchte werden mit erheblichem Hass verbreitet. Und auch Hass stachelt an." Schwarz ist sich sicher: Gerade in Sachsen müsse man auf fremdenfeindliche Äußerungen reagieren. „Das kann nicht nur über Demos gehen, da muss es auch andere Ansätze geben, auch medienpädagogische."
Dass die Medienprojekte in der breiten Öffentlichkeit wirklich etwas bewirken können, bezweifelt Patrick Donges, Kommunikationswissenschaftler von der Universität Leipzig. Menschen, die offen für populistische Parolen sind, seien nicht unbedingt offen gegenüber Medien, sagt er. Die Portale gäben Journalisten eher Informationen an die Hand, die sie dann weiterverbreiten könnten.
Oft zitiert werden beispielsweise die Schätzungen zu Teilnehmerzahlen der Initiative Durchgezählt. Seit Durchgezählt im Januar vergangenen Jahres 10 000 Legida-Teilnehmer weniger als die Polizei zählte und damit an die Öffentlichkeit ging, veröffentlicht die Polizeidirektion Leipzig keine Zahlen mehr.
Menschen zu zählen, das ist sozusagen Stephan Poppes Beruf. Der Leipziger Soziologe erforscht die Fehlerverteilung bei Schätzungen. „Ich war auf jeder Legida-Demo", erzählt der 36-Jährige. Mit interessierten Studenten schätzt er mittels verschiedener Methoden die Teilnehmerzahlen beider Seiten. Zwei oder drei von insgesamt zehn Projektmitgliedern beobachten Veranstaltungen wie Pegida.
Die Arbeit sei belastend. Sie würden häufig als Lügenpresse beschimpft, sagt Poppe. Auch aus dem linken Lager gäbe es Anfeindungen. Dabei kommuniziert Durchgezählt lediglich eine Zahl auf Twitter und publiziert die Entwicklung der Teilnehmerzahl im zeitlichen Verlauf auf einem Blog. „An Zahlen wird die Bedeutsamkeit einer Sache gemessen", sagt Poppe. Er hofft, dass sich in anderen Städten weitere Zähl-Initiativen gründen.
Der bärtige Soziologie-Dozent glaubt, dass das soziale Medium Twitter der Grund für die vielen neuen Medienprojekte ist. Da die Verbreitung von Informationen dadurch für jeden technisch möglich ist, könnten Initiativen wie Hoaxmap oder Straßengezwitscher ihre Recherchen erst veröffentlichen, sagt auch Kommunikationsforscher Donges. Einen Zusammenhang zwischen rechtspopulistischen Inhalten im Netz und dem Entstehen neuer Medienprojekte sieht er aber nicht. Gäbe es Pegida nicht, würden andere Themen im Fokus der neuen Kommunikationsform stehen. (dpa)