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Online-Beratung von Hebammen: Für Kind und Kummer

In Deutschland gibt es zu wenige Hebammen. Wer keine findet, steht mit einem Neugeborenen und vielen Unsicherheiten alleine da. Können digitale Angebote den Mangel ausgleichen? 

Schwanger sein, das heißt nicht nur Schmetterlinge im Bauch haben, sondern bedeutet auch, eine Hebamme finden zu müssen - was viele Frauen heute vor eine Herausforderung stellt. Wer sich nicht kurz nach einem positiven Schwangerschaftstest schon um eine kümmert, steht nicht selten dann mit Kind, aber ohne Hebamme da. Werdende Mütter spüren mittlerweile den Hebammenmangel hierzulande deutlich. Dabei ist die Unterstützung durch Hebammen gerade für Erstgebärende eine große Hilfe, und außerdem haben Frauen in Deutschland auch ein Recht darauf.

Auch Anja Winkelmann hat den Mangel gespürt. Ewig hat sie rumtelefoniert, um eine Hebamme zu finden. „Mir war nicht bewusst, dass es so schwierig ist und dass man damit früh anfangen muss." Als sie endlich eine Hebamme gefunden hatte und sie sich kennenlernten, hatte sie aber gleich ein schlechtes Gefühl. „Da es aber die einzige war, die überhaupt noch Zeit hatte, habe ich sie genommen." Doch ihr Bauchgefühl bestätigte sich. „Die Wochenbettbetreuung nach der Geburt war schlecht, meine Hebamme reagierte nicht auf meine Anrufe, und ich war frustriert", erzählt die Mutter. Als Erstgebärende mit 37 Jahren fühlte Winkelmann sich hilflos, vor allem als es mit dem Stillen nicht klappte. Sie recherchierte im Netz und stieß dort auf die „Kinderheldin". Eine Plattform, die Telefon- und Online-Beratung von Hebammen für Schwangere und Mütter anbietet und seit vergangenem Jahr auf dem Markt ist.

Beratung auch nachts

„Für uns ist es wichtig, den klassischen Hebammenberuf nicht zu ersetzen", sagt Paul Hadrossek, einer der Gründer von Kinderheldin. Aber er habe einfach einige Defizite gesehen - so gebe es nicht einmal eine zentrale Telefonnummer, die Frauen anrufen können, um eine Hebamme zu finden. „Mein Eindruck war: Es herrscht große Not auf dem Gebiet der Hebammenbetreuung, es gibt aber wenige Ideen für Lösungen", sagt der gelernte Zahnmediziner. Für ihn war schnell klar: Um Frauen zu helfen, braucht man auch digitale Lösungen, etwa zu Zeiten, zu denen Hebammen normalerweise nicht erreichbar sind. „Am Wochenende können Patient oder auch Schwangere entweder googeln oder in die Notaufnahme einer Klinik gehen. Das sind zwei Extreme. Digitale Lösungen könnten hier helfen", sagt Hadrossek. Ein Teil des Konzepts von Kinderheldin ist daher die Beratung abends, am Wochenende und an Feiertagen.

Kinderheldin betreut werdende Mütter, die keine Hebamme finden, und Mütter, die eine haben, aber darüber hinaus Fragen stellen wollen. Die Online-Beratung werde immer nur ein Teilbereich bleiben, Kinderheldin könne die Hebammenproblematik nicht komplett lösen. „Da wir ortsunabhängig arbeiten, können wir aber ganz Deutschland abdecken", sagt Hadrossek. Derzeit müssen Eltern auf dem Portal rund acht Euro pro Beratung bezahlen. Langfristig hat Hadrossek aber andere Pläne. Die Online-Hebammenberatung soll nicht auf Dauer privat bezahlt werden müssen. Er möchte mit seinem Start-up in die gesetzliche Krankenversicherung und so möglichst viele Menschen erreichen. Durch die Erfahrungen mit Nutzern, die die Leistungen privat zahlen, will er den Kassen beweisen, dass die Nachfrage vorhanden ist.

Per Skype ins Ausland

Mit der Hanseatischen Krankenkasse durchläuft Kinderheldin derzeit eine Pilotphase, und auch mit dem ersten Krankenhaus gibt es einen Vertrag. Das Klinikum Darmstadt hat eine Kooperation mit Kinderheldin geschlossen. Mütter, die an diesem Klinikum entbinden, können den Service ein halbes Jahr kostenfrei für 20 Telefon- oder Online-Beratungen nutzen.

Eine zweite Plattform, die in eine ähnliche Richtung geht, ist „call a midwife", die bereits seit zwei Jahren am Markt ist. „Die Idee, die Plattform zu gründen, hat sich aus meiner Arbeit ergeben", berichtet Hebamme Sabine Kroh aus Berlin. Die Stadt sei sehr international, und ausländische Mütter kämen mit dem in Deutschland einzigartigen Hebammensystem in Kontakt. „Mich haben Mütter angesprochen, ob ich nicht einer Freundin in Pakistan und Reykjavík per Skype bei Stillproblemen helfen kann. Das habe ich gemacht und es hat gut geklappt", sagt Kroh. Aus diesem Grund dachte sie mit ihrer Plattform auch erst einmal nur an die Unterstützung von Frauen im Ausland, die dort keine Hebamme haben, oder an Frauen, die gerade ein Kind in Deutschland bekommen haben und nach der Geburt ins Ausland gehen. Doch dann seien auch die ersten Frauen in Deutschland auf die Plattform aufmerksam geworden.

Die Gründe, aus denen deutsche Frauen bei call a midwife anrufen, sind sehr unterschiedlich. Einige haben ihre eigene Hebamme nicht erreicht oder nur eine kurze Frage, andere haben keine Hebamme gefunden oder sind auf der Suche nach einer und hoffen dabei auf die Unterstützung der Plattform. Die Themen der Frauen reichen von Stillproblemen über Haarefärben in der Schwangerschaft bis hin zu Fragen, die das Kind betreffen, etwa welche Schuhe man ihm anziehen soll, wenn es die ersten Schritte tut. Für viele Frauen ist die Antwort auf ihre Fragen: googeln. „Ehe sie sich verrückt machen, können sie uns aber anrufen", sagt Kroh und meint, dieses Angebot entlaste auch das Gesundheitssystem und spare am Ende Kosten, weil die Frau nicht gleich in die Notaufnahme fahre, sondern eine erfahrene Hebamme anrufen könne.

Mittlerweile arbeiten 25 Hebammen aus ganz Deutschland, die insgesamt zwölf Sprachen sprechen, für die Plattform. Zudem gehört call a midwife ein Beirat aus Ärzten, Psychologen und Anwälten an. „Wenn ich eine Frage nicht selbst beantworten kann, haben wir ein Back-up, und ich kann beispielsweise unseren Gynäkologen aus dem Beirat fragen", erklärt Kroh.

Bisher zahlen Krankenkassen nicht

Auch wenn der erste Anruf kostenfrei ist, müssen die Frauen die Beratung danach privat bezahlen. Sie können verschiedene Pakete buchen, etwa ein Wochen-, ein Monats- oder ein Drei-Monats-Paket. Den Kritikpunkt, dass sich nur reiche Eltern diesen Luxus leisten könnten, kann Kroh verstehen. Aber Hebammen müssten eben für ihre Leistung bezahlt werden. Auch Kroh ist derzeit in Gesprächen mit Krankenkassen, damit ihre Leistung in Zukunft übernommen wird oder es eine Zuzahlung gibt. Aber 1,58 Euro im Durchschnitt am Tag für die Beratung ist aus ihrer Sicht nicht allzu teuer.

Der Deutsche Hebammenverband sieht solche digitalen Angebote derzeit eher kritisch. Vor allem seien sie juristisch heikel: „Hebammen gehen einen gesetzlichen Rahmenvertrag ein. Sie müssen diese Leistungen grundsätzlich mit den Kassen abrechnen und dürfen sie der versicherten Frau nicht privat in Rechnung stellen", sagt Daniela Erdmann vom Deutschen Hebammenverband. Wenn eine Frau die Hebammenleistung erstattet bekomme und die nächste die gleiche Leistung bezahlen müsse, das sei ein Problem. Hebammen hätten außerdem schon lange selbst die Möglichkeit, mit SMS, Telefon oder Skype zu arbeiten. „Das können wir auch mit der Krankenkasse abrechnen."

Kritik von Kollegen

Telefonische Beratungen der Mütter durch die betreuende Hebamme sind tatsächlich bereits Bestandteil der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und werden mit rund neun Euro je Anruf vergütet. Reine Online-Angebote erfüllten die Inhalte der gesetzlichen Leistungsbeschreibung jedoch nicht, teilt der GKV-Spitzenverband mit. Bei der fachlichen Bewertung reiner Online-Angebote und bei der Frage, wie damit künftig umgegangen werden soll, will der GKV-Spitzenverband die Expertise des Hebammenverbandes nutzen. Allerdings können Startups mit den Kassen auch eigene Verträge für ihre Angebote abschließen.

Gegenwind hat auch Kinderheldin am Anfang gespürt, berichtet Hebamme Hammerl, die von Anfang an dabei war und eine von fünf festangestellten Hebammen dort ist. Sie wurde von Kolleginnen gefragt: „Wie kann es sein, dass du da mitmachst? So schaffen wir Hebammen uns ja ab." Anfangs stand auch sie der Idee kritisch gegenüber. Sie fragte sich, ob sie jemanden beraten könnte, den sie noch nie gesehen hat. Aber ihre Zweifel haben sich schnell aufgelöst, da sie in den Gesprächen Rückfragen stellen und zwischen den Zeilen Feinheiten heraushören kann. Was auch sie nicht will, ist, den Hebammenberuf abschaffen. „Geburten, eine Eins-zu-eins-Stillberatung, den Bauch abtasten - dafür braucht man die Hände der Hebamme. Vor allem im Frühwochenbett, also den ersten zwei Wochen nach der Geburt, braucht es eine Hebamme, die nach Hause kommt. Das kann man nicht durchs Telefon ersetzen", sagt Hammerl.

„Manche Eltern sind überinformiert"

Meist gehe es in den Gesprächen bei Kinderheldin um Alltägliches, wirklich problematische Notfallgespräche seien in der Online- und Telefonberatung bisher selten: Es meldete sich zum Beispiel ein Vater bei Hammerl, der nicht wusste, was er seinem Baby zum Schlafen anziehen sollte. Sie gab ihm dann Tipps zur Raumtemperatur und sagte ihm, worauf er beim Schlafsack achten solle. Ansonsten meldeten sich aber auch Eltern, die eine Zweitmeinung suchten oder die sich rückversichern wollten, dass sie alles richtig machten.

Erzählt Hammerl von solchen Beispielen, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob es bei der Online-Beratung um medizinisch notwendige Fragen geht und diese tatsächlich eine Antwort auf den Hebammenmangel in Deutschland ist oder ob der Markt für solche Portale eher aufgrund einer unsicheren und überbesorgten Elterngeneration wächst. Hammerl meint: „Heute gibt es ein viel größeres Angebot an Information. Manche Eltern sind überinformiert, das kann auch verunsichern. Sie hören wenig auf ihr Bauchgefühl. Ich ermutige sie dann, auf ihren Mama-Instinkt zu hören, auf ihr Gefühl zu vertrauen." Dass Eltern heute viel besorgter als früher sind, können auch Kroh und Erdmann bestätigen. Bei Schwangeren und Eltern herrsche eine große Unsicherheit.

Stillberatung klappt gut

Auch wenn die Portale Frauen die Möglichkeit geben, ausgebildeten Hebammen ihre Fragen zu stellen, statt sich in Foren von selbsternannten Experten verrückt machen zu lassen, gibt es Grenzen für die Online- und Telefonberatung: Bei Hebamme Hammerl meldete sich etwa eine junge Frau per Chat, die in der 26. Schwangerschaftswoche war und Wehen hatte. Sie wollte wissen, was sie tun solle. „Wenn das eine Frau wäre, die ich traditionell betreue und die ich schnell treffen könnte, würde ich sagen, ich komme zu dir, und wir schreiben ein CTG. Da brauche ich meine Hände. Der Frau im Chat habe ich gesagt: Sie müssen in die nächste Klinik."

Die Stillberatung klappe am Telefon aber recht gut. Stillpositionen könne man den Frauen zwar übers Telefon nicht zeigen, aber man könne sie sehr gut erklären. Tipps zu gereizten Brustwarzen, zum Abpumpen oder auch zum Abstillen könne sie ebenfalls geben. „Ich habe viel Erfahrung als Hebamme und habe schon viel gesehen. Das hilft", sagt Hammerl. Auch die Fragen der Mutter Anja Winkelmann, die lange nach einer Hebamme gesucht hat, drehen sich, wenn sie sich bei Kinderheldin meldet, meist um Ernährung und Stillen: „Ich bin froh, dass ich da kurzfristig anrufen kann, wenn ich eine Frage habe, und auch immer innerhalb von 15 Minuten zurückgerufen werde." Was sie nicht gut findet: Sie spricht bei jedem Anruf mit einer anderen Hebamme. So müsse sie ihre Geschichte immer wieder neu erzählen, bekomme aber auch unterschiedliche Tipps.

Kein Ersatz

Sicher, auch digitale Angebote haben ihre Schwächen; trotzdem ist Hammerl überzeugt, dass sich in Zeiten, in denen die Zahl der Hebammen knapp ist, die traditionelle Hebammenbetreuung mit Hausbesuchen und E-Health-Angebote gut ergänzen können. Kroh geht davon aus, dass sich der Hebammenberuf in Zukunft ohnehin weiter wandeln wird. „Es wird zwar auch weiterhin die häusliche Betreuung geben, aber sie wird sich verändern. Wenn ich sehe, wie der Beruf vor 25 Jahren noch aussah, da hat sich bereits viel getan, und das wird weiter voranschreiten." Deshalb müssten auch die Hebammen auf die Digitalisierung reagieren, sagt die call-a-midwife-Gründerin.

Bisher ringt der Hebammenverband noch um eine Position in dieser Sache: Grundsätzlich befürworte man telemedizinische Leistungen und biete diese ja zum Teil auch schon an. „Doch wo geht die Reise hin? Ersetzen wir den Beruf mit solchen Portalen, oder ist es besser, eine Online-Hebamme zu haben, als überhaupt keine? Diese Fragen gilt es zu klären", sagt Erdmann.

Fragen, die auch Gesellschaft und Gesundheitspolitik für sich beantworten müssen. Welche Hebammenbetreuung in welchem Umfang brauchen wir hierzulande, und welche können wir uns leisten? Wie kann man eine Versorgung während der Geburt und im Wochenbett für alle Frauen sicherstellen? Einig sind sich zumindest alle in einem Punkt: Nur digital lassen sich Schwangere und frischgebackene Mütter auch in Zukunft nicht versorgen. „Ich hätte mir schon auch gewünscht, vor Ort eine Hebamme zu haben, mit der die Chemie stimmt und die mich in der ersten Zeit begleitet", sagt Anja Winkelmann. Kurzfristig fand sie den Service im Internet aber sehr gut, er hat ihr Sicherheit gegeben, und das sei besser als gar nichts. Ersetzen könne die Plattform aber eine echte Hebamme nicht, sagt Winkelmann.

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