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Sozialer Druck durch Instagram: Liebe dich und deinen Körper!

Wunsch- und Realität - das zeigen zwei Fotos der Bloggerin Louisa Dellert. Dieses hier ist bearbeitet.

Auf Plattformen wie Instagram überwiegen Bilder mit perfekten Körpern. Besonders auf junge Frauen übt das Druck aus. Eine neue Bewegung wehrt sich dagegen und ruft den Frauen zu: „Ihr seid toll, so wie ihr seid.“ Kann das dem Diätwahn ein Ende setzen?

Als Louisa Dellert neulich shoppen war, machte sie in der Umkleidekabine mit dem Handy ein Foto von ihrem Po. Ihr dicker Wollpulli war oben noch leicht im Bild, dazu trug sie nur eine graue Baumwollunterhose mit leichtem Spitzenrand. Das grelle Licht der Kabine leuchtete direkt auf ihren Po und ließ die kleinen Dellen und leichten Ansätze von Cellulite in ihrer Haut erkennen. Später lud Dellert das Bild auf ihrer Seite in der Foto-App Instagram hoch und schrieb dazu: „Erstmal: sorry für den Schlüppi-Move! Kleiner Snappschuss aus der heutigen @hm Umkleide und liebe Grüße an alle Frauen, die mit schlechter Laune dort wieder hinauskommen (aus der Kabine des Schreckens!) Geht mir genauso. Aber bitte immer daran denken: alles cool! Ist nur Cellulite, Dellen, was auch immer. Kein Krebs oder Tumor! Das Leben ist schön.“ 10.117 Personen setzten ein „Gefällt mir“ unter das Bild. Eine Userin schrieb: „. . . kein Krebs! Mit so wenigen Worten perfekt verdeutlicht, wie quatschig es eigentlich ist, sich nen Kopf über die ungeliebten Dellen zu machen. You made my day - danke dafür!“ Eine andere kommentierte: „Du bist so wunderbar Lou! Wir brauchen eindeutig mehr Frauen wie dich!“

Mit ihrem Blog und ihren Social-Media-Kanälen ist die 27-jährige Dellert inzwischen so erfolgreich, dass sie ihren Beruf als Bürokauffrau aufgegeben hat und von ihrem Wirken im Netz lebt. Wie viele andere Fitness-Blogger schreibt Dellert über den Sport und lädt Videos hoch, in denen sie mit ihrem langen, braunen Pferdeschwanz in Leggins und neonfarbenen Turnschuhen Übungen vormacht. Fröhlich lacht sie in die Kamera, gibt Tipps zum Lauftraining und empfiehlt Rezepte mit Avocado und Vollkorn.

Doch während die meisten Fitness-Blogger ihre Community dazu anspornen, an ihre Grenzen zu gehen, und sie mit Fotos von ihrem eigenen Sixpack zu motivieren versuchen, schlägt Dellert andere Töne an. Zwar ist auch sie schlank und sportlich, aber zwischen ihren Bildern im Laufdress tauchen immer wieder Fotos auf, auf denen sich ihr Bauch in Falten legt, sie gemeinsam mit einer fülligen Frau in Unterwäsche posiert oder sie aufzeigt, wie leicht im Netz mit Photoshop geschummelt werden kann. Ihre Botschaft lautet: Jeder hat seine Problemstellen, aber macht euch nichts draus. Ihr seid schön, so wie ihr seid. Und wenn ihr das verinnerlicht, werdet ihr glücklich.

Panoptikum soziales Netzwerk: Wir normieren uns selbst

So schlicht die Worte klingen, so bedeutsam werden sie in einer Welt, in der es um Äußerlichkeiten geht und junge Menschen anhand von Bildern im Netz zunehmend miteinander wetteifern. Wer hat den flacheren Bauch, die dünneren Beine, die definierteren Muskeln? Vor allem auf Instagram nimmt das mittlerweile extreme Züge an. Das erzeugt Druck und birgt vor allem für junge Frauen die Gefahr, dass sie ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Körper oder eine Essstörung entwickeln.

Dem wollen Blogger wie Louisa Dellert etwas entgegensetzen. Sie drehen die vorherrschende Linie um. Statt den Wettbewerb weiter anzuheizen, plädieren sie dafür, sich von dem Druck freizumachen, in sich hineinzuhören, sich Gutes zu tun oder, wie Dellert es gern formuliert: sich selbst zu lieben. Dass die Botschaft ankommt, zeigt das Echo im Netz. Aber kann diese Bewegung nachhaltig etwas daran verändern, was in der Gesellschaft als schön gilt, oder gar junge Frauen davor schützen, in eine Essstörung zu rutschen?

Noch vor ein paar Jahren wäre es für Dellert unvorstellbar gewesen, ihre kleinen körperlichen Mängel so freizügig zur Schau zu stellen. Damals eiferte auch sie den dünnen Vorbildern auf Instagram nach. Sie machte dreimal am Tag Sport, verbot sich Schokolade, aß fast nur noch Salat, und den sogar ohne Dressing. Bei einer Größe von 1,63 Metern wog sie nur noch 46 Kilo. Beim Sport kippte Dellert damals manchmal einfach um. Das lag allerdings nicht allein an der körperlichen Anstrengung. Ein Arzt fand heraus, dass ihre Herzklappe nicht dicht war, sie musste operiert werden. Jetzt ging es nicht mehr um Streifen am Oberschenkel oder ein paar Kilo mehr oder weniger auf der Waage. Die Herz-OP ließ Dellert an ihren bisherigen Zielen zweifeln. Als sie nach der Operation sechs Monate lang keinen Sport machen durfte, erkannte sie, dass ihr andere Dinge wichtiger waren als Sport und Abnehmen. „Mir wurde klar, dass ich nur ein Leben habe und dass es viel zu schnell vorbei sein kann. Ich wollte meinen Tagesablauf nicht mehr nach dem Sport richten“, sagt sie.

Es gibt wichtigeres als ein Schönheitsideal

Ihre Geschichte und die Bilder aus der Zeit, als sie hungerte, nutzt Dellert heute dazu, andere Menschen davor zu warnen, denselben Fehler zu machen. Auf ihrem Blog erzählt sie von ihrer früheren Essstörung und wendet sich an ihre Community: „DU hast es verdient zu leben“, schreibt sie. „Und leben bedeutet nicht, einem Schönheitsideal nachzueifern. Leben bedeutet so zu sein, wie du möchtest. Leben bedeutet glücklich zu sein. Leben bedeutet Freude an deinen Hobbys zu haben. Das Leben bist DU! Mach dir dein Leben nicht durch unzählige Gedanken rund ums Essen und den Sport kaputt.“

Die übliche Bildsprache großer Fitness- und Diät-Accounts, die mit Vorher-nachher-Bildern die Abnehm-Erfolge von Frauen dokumentieren, kehrt Dellert um: Sie postet regelmäßig Bilder von früher, auf denen sie abgemagert ihr Sixpack präsentierte, gleich neben einem Bild von heute. Heute sei sie von der Essstörung geheilt, sagt sie. Sie hat einige Kilos zugenommen, das Sixpack ist verschwunden. Stattdessen hat sie einen flachen, aber gesund aussehenden Bauch, kräftige, muskulöse Oberschenkel und ein paar Kurven.

Mit ihrer Botschaft trifft Dellert einen Nerv. Die Zahl der Menschen, die sich für sie und ihre Ansichten interessieren, steigt stetig. Jeden Monat lesen etwa 70.000 User ihren Blog, auf Instagram hat sie mehr als 300.000 Follower. Wenn sie von ihnen spricht, sagt sie „die Mädels“. Ihr folgen vor allem Frauen im Alter von 16 bis 25 Jahren.

Positive Strahlkraft durch Vielfältigkeit

Karin Lachenmeir kennt Dellerts Zielgruppe gut. Die Psychologin leitet das Therapie-Centrum für Essstörungen des Klinikums Dritter Orden in München und hat dort jeden Tag mit Frauen zu tun, die mit ihrem Körper hadern. Als sie sich Dellerts Postings im Netz anschaut, fällt ihr ein Instagram-Bild sofort auf. Frauen mit ganz unterschiedlichen Körpern, manche sehr schlank, andere kräftiger, springen mit Luftballons in den Händen in die Luft und lachen dabei ausgelassen. „Das finde ich ein wunderschönes Modell“, sagt sie. „Da sind alle Körperformen dabei, und alle wirken sehr lebendig und lebensfroh.“ Lachenmeir glaubt, dass Accounts, die für ein unverkrampftes, bejahendes Verhältnis zum eigenen Körper werben, durchaus eine positive Strahlkraft entwickeln können.

Doch solche Accounts sind selten. Gerade die bekannten Instagrammer, die sich mit Fitness und Ernährung beschäftigen, leben oft ein Ideal vor, das für ihre Follower nur schwer zu erreichen ist. In einer noch unveröffentlichten Studie haben die Medienwissenschaftlerinnen Carolin Krämer und Katrin Döveling von der Universität Leipzig kürzlich rund 900 Nutzer von großen Sport- und-Fitness-Accounts auf Instagram danach gefragt, was die Bilder der App mit ihnen machen. Die Befragten waren überwiegend weiblich und im Schnitt 21,5 Jahre alt. 67 Prozent gaben an, dass sie durch Instagram den Druck verspürten, besser in Form zu sein. 51 Prozent hatten wegen der App den Eindruck, dass sie ihren Körperfettanteil reduzieren müssten, und 43 Prozent meinten, sie müssten dünner aussehen. Je häufiger sie die App nutzten, desto intensiver war der Druck, den sie spürten.   

In der Therapie von Essstörungen ist das längst Thema. Lachenmeir erzählt von einer Patientin, die ihren Körper jeden Tag mit Fotos auf Instagram verglich. Sie hatte stets den Eindruck, schlechter abzuschneiden als ihre Vorbilder. Daraus schloss die Frau, dass sie noch strikter hungern, noch radikaler ihr Gewicht reduzieren müsse. „Diese Vergleichsprozesse führen sehr oft immer stärker in die Essstörung hinein“, sagt Lachenmeir. Hier will Dellert mit ihrem Internetauftritt ansetzen. Dafür bekommt sie nicht nur Klicks und Likes, sondern auch viele, oft ganz persönliche Rückmeldungen. Eine Nachricht, die sie von einer Frau bekam, gefiel ihr besonders: „Sie hat geschrieben, dass sie sich das allererste Mal getraut hat, eine enge Hose anzuziehen, ohne dass es ihr was ausgemacht hat, wie andere gucken.“ Für Dellert der Beweis, dass die positive Stimmung aus dem Internet auch in den realen Alltag der jungen Frauen hinüberschwappt.

Ein Gegentrend: Die „Bodypositivity“-Bewegung

Die „Bodypositivity“-Bewegung, zu der man auch Dellert zählen kann, ist in Amerika entstanden. Schon Ende der sechziger Jahre gab es dort die ersten Demos gegen die Diskriminierung von Dicken. Mitte der neunziger Jahre begann die Organisation „The Body Positive“ in Workshops an Highschools zu lehren, dass man sich von anderen nicht wegen seines Aussehens hänseln lassen dürfe. Heute bietet die Organisation kostenpflichtige Workshops für Privatleute und Trainings für Multiplikatoren an. In Amerika arbeiten inzwischen zahlreiche Coaches mit dem Thema, aus der Bewegung ist ein Markt geworden.

Als Louisa Dellert vor etwa drei Jahren begann, sich mit Bodypositivity zu beschäftigen, informierte sie sich zunächst vor allem über amerikanische Internetseiten; auf deutschen Seiten fand sie zu dem Thema kaum etwas. Obwohl sie aus den Blogs und Instagram-Accounts viel Inspiration schöpfte, grenzt sie sich in einigen Punkten bewusst von der amerikanischen Bewegung ab. Dort sind die Aktivistinnen oftmals füllige, stark übergewichtige Frauen. Das ist Dellert zu extrem. „Man darf den Menschen absolut nicht verurteilen und sagen: Du bist ’ne fette Kuh“, betont sie. „Aber man muss irgendwie versuchen, auf charmantem Wege zu sagen: Hey, ihr dürft zwar sein, wie ihr wollt, aber achtet auf eure Gesundheit. Irgendwann könnt ihr sonst keine Treppen mehr steigen mit so viel Gewicht.“

Dass Dellert das Thema Selbstliebe mit dem Thema Gesundheit verbindet, hält die Trend- und Zukunftsforscherin Corinna Mühlhausen für das Erfolgsgeheimnis der Bloggerin: „Sie ist der Gesundheitsapostel in jung, weiblich und hübsch. Das ist sehr smart, dass sie sich so positioniert.“ Blogs wie den von Dellert ordnet Mühlhausen nicht als vorübergehende Erscheinung ein, sondern als Teil des Megatrends „Healthstyle“, der sich halten werde. Selbstoptimierung stehe heute nicht mehr wie früher für das Streben nach einem „Höher, schneller, weiter“, sagt Mühlhausen. Selbstoptimierung bedeute heute für viele Menschen auch, das Tempo herunterzufahren und nach der eigenen Balance zu suchen.

Dazu passt, wie Dellert den Begriff Selbstliebe auslegt: „Selbstliebe heißt nicht nur, seinen Körper zu akzeptieren“, sagt sie. „Es bedeutet auch, achtsam mit seinem Körper umzugehen, auch mal nein zu sagen und sich ein bisschen me time zu nehmen, also was für sich zu tun. Zu probieren, wirklich jeden Tag positiv in den Tag zu starten.“ Mühlhausen sieht das Konzept der Selbstliebe als Antwort auf das Bewusstsein des Einzelnen, dass er für sich selbst verantwortlich ist. „Wir haben heute nicht mehr die Strukturen, die uns auffangen, können uns nicht mehr auf die Kirche, den Staat oder die Familie verlassen“, sagt sie. Daraus ziehe auch die junge Generation schon den Schluss: Ich muss mich um mich selbst kümmern. Dellert sieht sich selbst nicht als Mentor oder gar als Guru ihrer Community. Sie sagt, sie wolle eine Freundin sein, eine digitale Freundin. Von ihr gibt es Ratschläge und Mutmach-Sprüche.

Bei wirklichen Essstörungen braucht es mehr als einen Blog

Es bleibt die Frage, ob sich durch solche Blogs in der Gesellschaft wirklich etwas verändern kann, ob junge Frauen dadurch mit dem eigenen Körper anders umgehen. Psychologin Lachenmeir glaubt zwar, dass Blogger wie Dellert positive Akzente setzen und dafür sorgen können, dass Frauen insgesamt weniger streng über ihren eigenen Körper urteilen. Dass Bodypositivity-Blogs Frauen mit schwerwiegenden Essstörungen helfen könnten, bezweifelt sie jedoch. „Unsere Patientinnen hassen ihren Körper, sie verzweifeln an ihm“ sagt sie. „Wenn sie vor dem Spiegel stehen, finden sie sich oft abgrundtief hässlich, halten den Anblick kaum aus. Da könnte ich mir vorstellen, dass der Einfluss von Blogs nicht stark genug ist, um wirklich etwas nachhaltig zu bewegen.“ In den meisten Fällen brauche es eine längere therapeutische Begleitung, um die schwere Krankheit zu überwinden. Lachenmeir befürchtet, dass die sehr positive Haltung der Blogs nach dem Motto „Ich finde meinen Körper toll, und alles ist super“ für manche die Messlatte zu hoch setze. Sie würden beim Betrachten der Bilder und beim Lesen der Botschaften den Eindruck bekommen, von dem Ziel, den eigenen Körper so zu lieben, noch meilenweit entfernt zu sein.

Lachenmeir plädiert für eine andere Strategie: „Wir erklären unseren Patientinnen immer, dass die Akzeptanz des eigenen Körpers nicht bedeutet, ihn supertoll zu finden. Sondern eher: Er ist, wie er ist, damit kann ich leben, und gut ist.“ Wichtiger sei es, sich wieder Dingen zuzuwenden, die einem Spaß machen, herauszufinden, womit sich der Kopf am liebsten beschäftigt, was einen begeistert.

Louisa Dellert ist sich bewusst, dass ihr Blog eine professionelle Beratung nicht ersetzen kann. Sie macht zwar ihre eigene frühere Essstörung immer wieder zum Thema. Doch wenn sich Frauen an sie wenden, weil sie glauben, dass sie magersüchtig seien, versucht sie nicht, in die Rolle der Psychologin zu schlüpfen, sondern verweist an Beratungsstellen.

Was die Frage angeht, ob wirklich jeder lernen kann und soll, sich und seinen Körper bedingungslos zu lieben, würde Dellert der Psychologin Lachenmeir wohl widersprechen. In ihrem Online-Shop verkauft Dellert neben T-Shirts mit aufgedruckten Herzen auch einen sogenannten „Love-Yourself-Guide“. Wer 24,90 Euro investiert, dem verspricht sie: „In 30 Tagen wirst du mithilfe vieler verschiedener Challenges lernen, dich selbst zu lieben, zu akzeptieren und selbstbewusster zu werden.“ Selbst eine gutgemeinte Botschaft muss eben auch vermarktet werden, wenn man als Blogger davon leben will.


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