1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

„Rechte Stadtguerilla": Anschlagsserie aufgeklärt

Der NPD-Politiker Maik Schneider gilt als Kopf der militanten Neonazigruppe (hier im Oktober 2015); Photo: Th.S.

Im brandenburgischen Nauen hat die Polizei eine Neonazi-Zelle zerschlagen,  die für mehrere Anschläge in der Region verantwortlich sein soll. Anführer der Terrorclique soll der NPD-Funktionär Maik Schneider sein. Am Freitag präsentierte die Staatsanwaltschaft neue Erkenntnisse.


Das Entsetzten war groß, als im vergangenen Sommer in Nauen eine zur Flüchtlingsunterkunft umfunktionierte Turnhalle vor ihrem Bezug niedergebrannt war. Schnell war den Ermittlern klar, dass Brandstifter am Werk waren. Vergleichbare Taten hatte es im Bundesgebiet zwar bereits mehrfach gegeben, in Brandenburg aber lange Jahre nicht mehr. Eine 20-köpfige Ermittlungsgruppe „Sporthalle" wurde gebildet und klärte nicht nur den Brand in der Turnhalle, sondern eine ganze Anschlagsserie von Neonazis auf.


Anfang vergangener Woche, zeitgleich mit dem Beginn des NPD-Verbotsverfahrens in Karlsruhe, schlugen die Ermittler zu: Die Polizei durchsuchte sechs Objekte in Nauen, Potsdam und Schönwalde-Glien. Bei den Razzien wurden umfangreiche Beweismittel, unter anderem Laptops, Handys, Datenträger, Videokameras und schriftliche Unterlagen beschlagnahmt. Zudem stellten die Beamten mehrere Tonträger mit rechtsextremer Musik sicher. Zwei Verdächtige wurden noch am Dienstag festgenommen, der örtliche NPD-Stadtverordnete Maik Schneider (29) und Frauke K. (22). Dennis W. (28) war zunächst nicht anzutreffen, wurde am Freitag aber schließlich von Zielfandern aufgespürt und dem Haftrichter vorgeführt.


Den Verdächtigen wird nicht nur der Anschlag auf die Turnhalle am 25. August zur Last gelegt. Sie stehen auch im dringenden Tatverdacht, aus rassistischer Motivation den PKW eines polnischen Staatsbürgers in Nauen am 17. Mai 2015 angezündet zu haben. Zudem sehen die Ermittler die Gruppe für die Sprengung eines Unterstandes an einem Supermarkt am 1. Juni, die Störung der Stadtverordnetenversammlung in Nauen am 12. Februar sowie Farbbeutelwürfe und andere Sachbeschädigungen am örtlichen „Die Linke"-Büro und Sprühaktionen im Stadtgebiet verantwortlich.


Neonazis sind konspirativ und planvoll vorgegangen

Kopf der Gruppe soll der NPD-Funktionär und langjährige Neonazi Maik Schneider sein, der als eine der Führungsfiguren in der rechten Szene im Havelland gilt. Neben seiner Tätigkeit als Stadtverordneter fiel der ausgebildete Erzieher mehrfach als Anmelder und noch häufiger als Teilnehmer rechter Versammlungen in Brandenburg und darüber hinaus auf. Schneider war im vergangenen Jahr auch Teilnehmer beim „Bärgida"-ähnlichen Aufmarsch zum 3. Oktober in Berlin, der von Enrico Stubbe organisiert wird und auch am kommenden Samstag eine Versammlung in der Hauptstadt plant. Als Redner sind unter anderem Ignaz Bearth, Frank Geppert und Curd Schumacher vorgesehen. Maik Schneider wird dieses Mal wohl fehlen, er sitzt noch immer in Untersuchungshaft.

Bei Frauke K. wurde der Haftbefehl hingegen außer Vollzug gesetzt, sie muss sich stattdessen regelmäßig bei der Polizei melden. Ihr Tatbeitrag wird als gering angesehen und sie soll auch nicht zum Kern der Gruppe gehören.


NPD-Mann Schneider hingegen hielt die „rechte Stadtguerilla", wie Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) den Zusammenschluss nannte, zusammen. Mindestens fünf Personen gehörten der Gruppe an, darunter Christopher L. (31) und Christian B. (26), ebenfalls einschlägig bekannte Neonazis. Bei einem der anderen Verdächtigungen wurde ebenfalls ein NPD-Mitgliedsausweis gefunden. „Das ist noch längst nicht alles", sagte Brandenburgs Polizeipräsident Mörke am Freitag: „Wir werden weiter intensiv ermitteln." Er betonte auch das konspirative und planvolle Vorgehen der Neonazis: „Die haben sich Alibis verschafft. Am Anfang sah das fast wasserdicht aus. Sie haben konspirativ gearbeitet und sich extrem abgeschottet", so Mörke. Über eine gemeinsame WhatsApp-Gruppe hätten die Verdächtigen miteinander kommuniziert. Auch soll es bereits Überlegungen gegeben haben, gegen eine neue in Nauen geplante Asylunterkunft vorzugehen.


„Absoluter Widerstand" gegen eine „Invasion der Ausländer"

Ob ein Zusammenhang mit einem im November 2015 von Schneider angemeldeten flüchtlingsfeindlichen „Abendspaziergang" in Jüterborg und einem Anschlag auf den dortigen Flüchtlingstreff in einer kirchlichen Begegnungsstätte in der selben Nacht besteht, wird derzeit noch geprüft.

Fest steht jedoch zumindest, dass die Bundesanwaltschaft derzeit keine Voraussetzungen für eine Zuständigkeit sieht. „Die bisherigen Erkenntnisse belegen nicht, dass es sich bei der Gruppierung um eine terroristische Vereinigung handelt", sagte ein Sprecher. Derzeit wird gegen die Neonazis wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt.

Bis zuletzt trat die braune Szene in Nauen selbstsicher auf, die Stadt galt bereits als Hochburg rechter Gewalt in Brandenburg. Erst im Februar provozierten Neonazis mit flüchtlingsfeindlichen Flugblättern, in denen zu Anschlägen auf Asylunterkünfte aufgerufen wurde. Dazu druckten sie Anleitungen für Plastiksprengstoff, Rohbomben und Molotow-Cocktails auf die Rückseite, forderten „absoluten Widerstand" gegen eine „Invasion der Ausländer".

Laut Landesregierung sind in Brandenburg derzeit 14 Haftbefehle wegen rechter politisch motivierter Straftaten nicht vollstreckt, weil der Aufenthaltsort der Verdächtigen unbekannt ist.

Zum Original