Tunesien? Da denken die meisten an Strand und Baden. Jetzt aber werden Wüstentouren beliebter. Sie führen zu Oasen, die den Charme von Geheimtipps haben - zumindest noch, denn erste Luxusinvestoren sind schon da.
Drei Lagen Klamotten und vier warme Decken reichen nicht: Es ist bitterkalt in dieser Nacht in der Sahara. Selbst mit Mütze über den Ohren und Decke über dem Gesicht kriecht die Kälte ins Mark. Minus ein Grad zeigt das Thermometer an - am Morgen sind Zeltplanen und der Sand der größten Wüste der Welt mit einer feinen, schimmernden Eisschicht überzogen. Ein Bild, das einem bei Urlaub in Tunesien nicht gerade in den Sinn schießt.
Eher schon Pauschalurlaub und Strand: Der Badetourismus ist eine der wichtigsten Einnahmequellen des Landes, die Strandstädte Hammamet und Sousse sind Lieblingsziele vieler Deutscher. Ebenso wie Djerba - aber von der per internationalem Flughafen gut angebundenen Ferieninsel kann man auch ein anderes Tunesien entdecken: das
Landesinnere bei einem Roadtrip von Ost nach West quer durch das Land.
Der Weg von der Insel führt über den kilometerlangen Römerdamm, vorbei an Olivenhainen und Flamingos. Auf dem Weg zum „Tor der Wüste", wie die Franzosen die Stadt Tataouine auf Grund ihrer Sahara-Nähe nannten, fliegen Namen wie „Café Paris " oder „Cafeteria Marseille" und etliche Patisserien am Straßenrand vorbei. Das französische Erbe ist sichtbar.
Ab und zu kommen Checkpoints, an denen einzelne Reisende gebeten werden, ihre Pässe vorzuzeigen. Sie sind eine seltene Erinnerung daran, dass sich das Land seit den Terroranschlägen 2015 vor dem Bardo-Museum in Tunis und auf ein Strandhotel in Sousse eigentlich noch im Ausnahmezustand befindet. Doch als Reisender merkt man davon ansonsten wenig.
Der Tourismus hat sich in den vergangenen Jahren erholt: Nachdem die Urlauberzahlen nach den politischen Umwälzungen 2010 und den Anschlägen einbrachen, kamen 2018 wieder knapp 8,3 Millionen Besucher - 2,5 Millionen Gäste mehr als im Vorjahr. Für dieses Jahr strebt Tunesien mehr als neun Millionen Urlauber an, so das Ziel des Tourismusministeriums. Auch mehr als 275.000 Deutsche verbrachten 2018 einen Urlaub in Tunesien - eine Steigerung von 52 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Besonders der Süden wird als Alternative zu den Stränden am Meer immer interessanter.
In Tataouine ist an diesem Vormittag Markt. Es herrscht dichtes Gedränge, Händler haben auf dem Boden hüfthohe Berge von Orangen, Erbsen und Möhren aufgehäuft, es gibt Gewürze in vielen Farben, Datteln und Mandeln. Touristen sieht man keine. Zeit für einen schnellen Kaffee, eine kurze Stärkung, und schon windet sich die Straße durch hohe Tafelberge, die in der Sonne rötlich leuchten. Als Kontrast der tiefblaue Himmel.
Hinter einer Biegung taucht Chenini auf, eines der letzten bewohnten Berberdörfer Tunesiens. Es erhebt sich an einem Hang, die Lehmziegel der Häuser in der Farbe des Felsens, darüber eine weiße Moschee.
Die Berberdörfer Tunesiens bestehen aus ausgebauten Wohnhöhlen, metertief in den Fels gegraben. In Chenini leben noch heute rund 120 von einst 600 Familien in diesen Höhlen, die im Sommer Kühle spenden, im Winter Wärme.
Eine Familie erlaubt einen Blick in ihr Zuhause: Hinter der Schwelle tut sich eine vielleicht 20 Quadratmeter große Wohngrotte mit ein paar Bildern an der Wand auf, nicht mehr. Fünf Personen leben und wohnen hier, auf dem Boden liegen Matratzen, Küche und Abort sind auf dem Hof untergebracht, wo Schaf und Esel der Familie herumstehen. Neben der Tür lädt ein Smartphone. Moderne und Tradition auf engstem Raum.
Das einzige Hotel im Ort - ebenfalls in einer der Höhlen untergebracht - betreibt Habib Belhedi, Anfang 70. In einem Verein setzt er sich für die Belange seines Dorfes ein und träumt davon, dass Chenini eines Tages mal Unesco-Weltkulturerbe wird. Die Wohnhöhlen seien über 800 Jahre alt, sagt er.
Doch bislang ist Chenini noch nicht einmal in der engeren Auswahl der Unesco, viel müsste dafür getan werden: Strommasten und blecherne Wasserspeicher stören den Blick auf die historische Bergsiedlung. „Das müssten wir alles unterirdisch neu anlegen, aber dafür fehlt das Geld", sagt Belhedi, während er im Hotelrestaurant Suppen und Lammfleisch, Tee und Oliven auftischt.
Doch bisweilen mangelt es Chenini an Grundsätzlichem. Es gäbe keine Arbeit, keine Perspektiven für die Kinder, klagt Belhedi. Das Problem erstreckt sich indes aufs ganze Land: Besonders die Jugendarbeitslosigkeit in Tunesien ist hoch, jeder Dritte der unter 24-Jährigen findet keine Arbeit. Habib Belhedi hofft, dass der Tourismus Arbeitsplätze schaffen und das alte Berberdorf Chenini wiederbeleben könnte.
Am nächsten Morgen geht es weiter Richtung Sahara. Die Wüste verändert sich, die Farben changieren von Rot zu Gelb, die Berge verschwinden, stundenlang begegnet man niemandem auf der Straße. Um sich nicht zu verirren, sollte man hier nicht ohne Guide reisen: Auf die Asphaltstraße folgt ein kaum noch als solcher erkennbarer Weg.
Es geht über Dünen, die scheinbar alle gleich aussehen. Einmal muss der Fahrer einen Reifen wechseln, der Luft verliert, irgendwo im Nichts unter der Wüstensonne. Ein Moment, in dem man froh ist, einen ortskundigen Fahrer dabeizuhaben.
Stunden später taucht das Wüstencamp „Zmela" auf. Kein Luxuszeltlager, wie man es von Instagram aus der marokkanischen Wüste kennt, farblich perfekt abgestimmt, mit Kissenbergen und Häppchen-Tellern. Dafür warten einfache Zelte und Pritschen mit dicken Decken für die Nacht. Wer auf eine der umgebenden Dünen steigt, sieht die kleinen, weißen Zelte des Camps inmitten eines ansonsten leeren Sandmeeres, das sich bis zum Horizont erstreckt.
Am Abend machen die Betreiber ein Lagerfeuer, singen traditionelle Lieder. Es fühlt sich echt an und schön, kein einstudiertes Tänzchen für die Touris, sie haben Spaß dabei. Auf dem Weg zum Zelt wölbt sich der Sternenhimmel über die Wüste, der Mond beleuchtet die Dünen. Eine klare Nacht und absolute Stille, friedvoll wie selten.
Nach einer bitterkalten Nacht kräht der Hahn am Morgen das Camp wach. Andere Urlauber kommen verfroren und zerknautscht aus ihren Zelten. Aber das Aufstehen lohnt sich: Der Sonnenaufgang taucht die Wüste in violette, rosafarbene und goldene Töne.
Aufbruch zum nächsten Ziel des Tages: Tozeur. Auf der Fahrt überquert eine Dromedar-Herde die Straße, einige mit Lasten beladen. Zwei Hirten treiben die Karawane voran. Einige Kilometer weiter springen Motocross-Fahrer mit ihren Maschinen Sand aufwirbelnd aus den Dünen hervor.
Der Weg führt über die Stadt Douz, einen Startpunkt für Trekkingtouren, der an die angenommenen Bedürfnisse von Touristen angepasst ist: Souvenirs, Cafés, eine Runde Dromedarreiten. Wer will, kann auch auf den einhöckrigen Tieren einen Tagesritt unternehmen - oder mit Berberpferden ausreiten.
Nächste Etappe ist der Chott el Djerid: ein großer, ausgetrockneter Salzsee in der Mitte des Landes, eine kristallin glänzende Mondlandschaft, über der die Luft flirrt. Früher sollen Karawanen im Chott verschwunden sein - heute sichert eine lange, asphaltierte Straße die Passage ab. Wer sie aber verlässt, muss damit rechnen, dass der Geländewagen versackt. Davon zeugt ein verrostetes Autowrack, halb versunken.
Nach der Durchquerung des Salzsees taucht, wie es am Ende einer jeden Reise durch die Wüste sein sollte, eine Oase auf. In diesem Fall sind es sogar zwei, die beiden Städte Nefta und Tozeur. Statt Dünen und Flächen plötzlich Palmenhaine, die sich kilometerweit zu erstrecken scheinen. Und aus Backsteinen gemauerte Altstädte wie aus einem Orientbilderbuch für Kinder, mit engen Gassen und hohen Mauern.
Orte, die den Charme von Geheimtipps haben - zumindest noch. Denn das Potenzial dieser Gegend wird entdeckt. Zunehmend wird hier in hochpreisigen Tourismus investiert: Ende des Jahres soll nahe Tozeur eines der teuersten Hotels Tunesiens eröffnen: das „Anantara Tozeur Resort".
Für Tunesien habe man sich schon vor Jahren entschieden, erklärt Mohamed Idrissi, der Projektleiter vor Ort. Ein Deal zwischen der damaligen Regierung und den Investoren, um die Region voranzubringen. Für beide Seiten ist das ein guter Deal: Wüstenhotels seien gefragt, die Erfolgsprognosen gut, sagt Idrissi. Für die Region bringt das Hotel Arbeitsplätze und wertet sie auf. Die Behörden hätten zugesagt, das Projekt zu unterstützen, indem sie den Müll beseitigen lassen, der sich am Straßenrand türmt, oder die Anbindung zum Flughafen verbessern.
Die politische Situation habe nichts an den Plänen der Investoren geändert: „Hier im Süden des Landes ist es selbst während der Revolution ruhig geblieben", sagt Idrissi, während er über die Baustelle führt. Viele der Edelvillen im traditionellen Stil sind schon fertig.
„Wir wollen kein Bling-Bling, sondern die Authentizität der Region bewahren", sagt der Projektleiter. Worte, an denen man beim Schlendern über die Baustelle des Millionenprojekts so seinen Zweifel hegt. Zumindest, wenn man an das Wüstencamp in der sternklaren, eiskalten Nacht zuvor denkt.
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