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30 Jahre - 30 Frauen : Gundi Wentner im Talk über Österreichs Frauenbild, Karrierehürden und falsche Romantik

Gundi Wentner, Gründungspartnerin von Deloitte Human Capital über Karriere und Frauenpolitik

Gundi Wentner gehört zu jenen Ausnahmeerscheinungen, die wir meinen, wenn wir von Frauen in Top-Führungspositionen sprechen. Sie ist Gründungspartnerin von Deloitte Human Capital Österreich und berät in ihrer Funktion Top Executives und Aufsichtsräte bei der Suche und Auswahl von Führungskräften. Das Faszinierende an ihr ist, dass sie trotz einer beeindruckenden Karriere im Bank- und Beratungssektor, weit davon entfernt ist, einem neoliberalen Leistungsgedanken anzuhängen, wie man es von Menschen, die innerhalb dieses kapitalistischen Systems so erfolgreich sind, ja fast erwartet. Stattdessen äußert sie ausschließlich Ideen, die wahnsinnig sozial, politisch und reflektiert sind. Selbst auf die Frage nach den persönlichen Erfolgsfaktoren für ihre Karriere spricht sie hauptsächlich von glücklichen Umständen. In ihrer Position hat sie es auch nicht nötig, mit ihrer Leistung anzugeben. Sie hat die Freiheit, radikal zu sein: Verpflichtende Quoten, verpflichtende Männerkarenz, verpflichtende Ganztagsschule. Sie weiß, wovon sie spricht: Nicht nur bei der Besetzung von Führungskräften erlebt sie in ihrer täglichen Arbeit, wie Frauen diskriminiert werden, auch Vereinbarkeitsprobleme kennt sie aus erster Hand.

Und - und das ist fast das Schönste - Gundi Wentner bringt gesellschaftliche Entwicklungen pointiert auf den Punkt und artikuliert sich dabei so kompetent und bedacht, dass es ein Traum ist, ihr zuzuhören. Nachdem wir sie letzten Winter bei der Wienerin Erst Bank Lounge zum Thema Kind und Karriere sprechen haben hören, war klar, dass wir sie als eine von 30 inspirierenden Frauen für unsere Reihe zum 30. Geburtstag der Wienerin interviewen wollen. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, warum Österreich so besonders beharrlich konservativ ist und warum es keine Option für Frauen sein sollte, nicht Karriere zu machen.

Sie arbeiten seit 20 Jahren in der Besetzung von Führungskräften, gerade im Top-Management-Bereich sind das noch immer meist Männer. Warum werden keine Frauen rekrutiert?

Das Problem beginnt schon früher, weil es häufig gar nicht genug Frauen gibt, die in einer Ausgangsposition wären, um an eine Top-Führungsposition zu kommen. Frauen bleiben häufig im mittleren Management hängen. Auf der Ebene direkt unter dem Vorstand wird es schon sehr dünn. Ich denke der Hauptgrund ist sicher nach wie vor das weibliche Rollenbild in Österreich, das beide Geschlechter verinnerlicht haben. Und natürlich, dass die Mehrzahl der Entscheidungsträger Männer sind. Und jeder Mensch neigt dazu, nach Selbstähnlichkeit zu suchen, das ist auch wissenschaftlich belegt. Jemanden, der „anders" ist als man selbst, holt man nicht gerne nach.

Wenn Sie an Ihre persönliche Karriere denken, welche Faktoren waren für Ihren Erfolg ausschlaggebend?

Da muss man immer relativ weit zurückgehen, weil das Erste ist das Glück, in welche Umstände man geboren wurde, und das können wir ja bekanntlich nicht beeinflussen. Das wird mir in den letzten Jahren immer bewusster. Das beginnt damit, in welchem Land, unter welchen politischen Umständen und in welches Elternhaus man geboren wurde. Ich hatte das Glück, als Einzelkind wie eine Tochter und ein Sohn gleichzeitig erzogen zu werden. In unserer Familie gab es einige extrem starke Frauen und wirtschaftliche Unabhängigkeit war sehr wichtig. Das ist ausschlaggebend für alles andere. Ganz abgesehen davon, dass es auch eine Frage des Glücks ist, welche Optionen sich im Laufe des Lebens ergeben.

Haben Sie selbst irgendwann Erfahrung mit Sexismus gemacht?

Natürlich. Jede Frau, die behauptet, das hätte sie nicht gemacht, verdrängt das entweder gut oder will nicht hinschauen oder redet etwas schön. Alle Frauen machen permanent Erfahrungen mit Sexismus. Ich erinnere mich an meinen zweiten Job in einer Bank. Der Kollege, der mich rekrutiert hat, meinte damals: „Ich bin mir nicht sicher, ob wir eine Frau nehmen, wir haben schon einmal schlechte Erfahrungen mit einer Frau gemacht." Das muss man sich vorstellen. Die hatten damals ein ganz tolles Ausbildungsprogramm in London, und die Wiener meinten schon von vorn herein, dass sie nicht sicher wären, ob ich diese Prüfung schaffen würde.

Hat sich das schon gebessert?

Es hat sich überall da etwas geändert, wo mehr Frauen arbeiten, vor allem Frauen, die so etwas hören und auch ansprechen. In Summe verhalten sich die Leute vielleicht etwas politisch korrekter als damals, vor allem, wenn sie wissen, dass es angesprochen wird.

Ein weiteres lustiges Erlebnis war, als ich mit dem Kinderwagen durch den Stadtpark gegangen bin, und den Generaldirektor eines großen österreichischen Unternehmens getroffen habe. Der wusste nicht, dass ich ein Kind habe. Und er schaut mich an, schaut das Kind an und dann wieder mich, und sagt: „Das ist ja eine ganz ungewollte Rolle!" Daraufhin meinte ich: „Vielleicht ungewohnt, aber nicht ungewollt!"

Das ist mir häufig passiert, weil die Menschen nicht mit dem Bild klarkommen, dass eine beruflich erfolgreiche Frau auch Mutter ist. Ich habe mal einen ehemaligen pensionierten Geschäftspartner getroffen, und er sprach darüber, wie schön es sei, dass er jetzt weniger arbeite. Und ich meinte freundlich, dass das sehr schön ist, aber ich mir das nicht leisten kann, gerade wenn man ein kleines Kind hat. Daraufhin sagt er zu mir: „Na Sie können Ihrer Mutterrolle sowieso nicht gerecht werden." Das sind ältere Männer, aber ich habe auch schon von Jüngeren interessante Dinge gehört. Bei der Frage, was alles geht in einem Frauenleben und was Frauen dürfen, ist in Österreich massiv konservativ.

Haben sie eine Strategie entwickelt, mit solchen Dingen umzugehen?

Mir ist das mittlerweile egal. Meine Strategie ist, dass ich es anspreche, wenn ich es für wichtig halte, andere, jüngere Frauen davor zu bewahren, dass sie ähnliche Bemerkungen hören.

Sie haben sich schon öfters dezidiert für Quoten ausgesprochen. Gegner argumentieren oft, dass man damit das Problem nicht an der Wurzel packt, sondern nur ein Symptom bekämpft. Dass man Frauen zwar fördern muss und zu Selbstbewusstsein erziehen, aber dass durch Quoten nicht die Leistung sondern das Geschlecht belohnt wird. Wie reagieren Sie darauf?

Da gibt es unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten. Etwas polemisch kann ich es wie meine Freundin Elfriede Hammerl ausdrücken, die meint, wir haben ja jetzt auch eine Quote, nämlich eine hundertprozentige Männerquote. Ich kann es auch nochmal polemisch sagen: Es sind ja jetzt auch nicht 100 Prozent tüchtige Männer in Führungspositionen. Gerecht ist es erst, wenn genauso viele mittelmäßige Frauen wie Männer in Führungspositionen sind.

Wissenschaftlich kann man sagen, und das wurde in Norwegen untersucht, dass sich erst etwas ändert, wenn Frauen keine Minderheit mehr sind. Erst wenn ich über 25 Prozent besetze, bin ich keine Minderheit mehr, kann etwas verändern und es wird auch Normalität. Und bis das Realität ist, brauchen wir einfach Quoten. Und es ist natürlich eine totale Ausrede zu sagen, es gibt nicht genug Frauen. Wir haben in Österreich das Beispiel der Selbstverpflichtung von 35 Prozent der Bundesregierung in Aufsichtsräten von Unternehmen mit Bundesbeteiligung, mittlerweile sind wir bei 37 Prozent und es ist überhaupt kein Problem, da genug Frauen zu finden!

Und das Dritte ist, Frauen haben wesentlich höhere Beförderungshürden. Das heißt, wenn Frauen in einer Position sind, die sie formal für eine Top-Position qualifiziert, können sie davon ausgehen, dass sie wesentlich besser ist, als ihre männlichen Mitbewerber. Weil sie es davor schon viel schwerer hatten, überhaupt so weit zu kommen.

Was sind die Beförderungshürden, die sie angesprochen haben?

Bain hat dazu 2015 eine Studie gemacht, Frauen werden am Arbeitsmarkt entmutigt. Direkt nach dem Studium ist der Anteil an Frauen und Männern, die sich einen Aufstieg ins Top-Management zutrauen, gleich hoch, aber nach 5 Jahren sinkt er bei Frauen signifikant. (Anm.: Von 43 auf 16 Prozent). In der qualitativen Untersuchung wurde festgestellt, dass Frauen keine Rollenmodelle haben und die Kultur hinderlich ist, weil Frauen sehen, dass Verhaltensweisen belohnt werden, die typischerweise eher männlich sind. Ich glaube, dass das wirklich die größten Karrierehürden sind. Wenn ich tatsächlich optimistisch bin und Perspektiven habe, dann schaffe ich auch die Vereinbarkeit.

Was wären die drei wichtigsten politischen Maßnahmen, die wir für Frauen in Österreich umsetzen sollten?

Flächendeckende Ganztagsschule als Regelmodell, und auch die Aufhebung der sehr frühen Trennung in Hauptschule und Gymnasium. Das fordert die Eltern während der Volksschulzeit schon sehr, wenn sie wollen, dass ihre Kinder eine gute Bildung bekommen.

Dann würde ich verpflichtende Männerkarenz einführen. Ich würde die Zweijahreskarenz teilen. Die gibt es nur, wenn beide Partner es sich aufteilen. Ansonsten verfällt das zweite Jahr. Das geht natürlich nur, wenn entsprechende Betreuungseinrichtungen da sind. Ich bin auch eine Gegnerin der Elternteilzeit in der derzeitigen Form, das ist sehr hinderlich, weil es Frauen zu Teilzeitarbeit verführt.

Und ich würde verpflichtende Quoten für alle Aufsichtsräte einführen. Aufträge im öffentlichen Sektor würde ich strikt nur an Unternehmen vergeben, die bestimmte Quoten an Frauen im Top-Management erfüllen und in denen es keine Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Das ist über die Einkommensberichte ja mittlerweile ersichtlich.

Im Europavergleich scheint sich die österreichische Kultur überproportional stark an traditioneller Rollenverteilung festzuklammern. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Grundsätzlich, wenn man sich die Zahlen anschaut, ist Österreich in der Repräsentanz von Top-Positionen und auch im Schließen des Gender Pay Gap immer ziemlich weit hinten. Die Frage nach dem Warum ist schwierig und hab ich mir schon oft gestellt. Meine persönliche Meinung ist, dass es eine Mischung aus einem katholischen Erbe und dem nationalsozialistischen Frauenbild mit dem Mutterkreuz ist. Das ist alles nicht so lange her und wurde geschichtlich nicht annähernd ausreichend aufgearbeitet.

Bei der Erste Bank Lounge zum Thema Kind und Karriere meinten Sie, wenn Frauen so unzufrieden mit der gesellschaftlichen Situation sind, sollen sie doch auf die Straße gehen und nach ihren Rechten verlangen. Haben Sie das Gefühl, wir jammern manchmal zu viel anstatt proaktiv etwas zu verändern?

Die jungen Frauen haben folgendes Problem: Sie wachsen in einer Illusion von Gleichberechtigung auf. In den Schulen muss man schon relativ feinfühlig sein, um mitzubekommen, was zu den Genderthemen falsch läuft. Mädchen sind häufig die besseren Schülerinnen, es gibt mehr Absolventinnen, in der Bildungslaufbahn schneiden sie gut ab. Mädchen fühlen sich nicht diskriminiert solange sie in die Schule gehen und solange sie studieren. Die Generation, die jetzt in den Arbeitsmarkt eintritt, ist so aufgewachsen. Und bis sie Diskriminierung tatsächlich spüren, dauert es ein paar Jahre, und viele checken es einfach nicht. Dazu kommt natürlich eine allgemeine politische und gesellschaftliche Stimmung des Neo-Biedermeiers, wo sich die Leute eher ins Private zurückziehen. Und plötzlich sind die Rollenbilder wieder so wie sie immer waren.

Haben Sie einen Tipp für junge Frauen, die Karriere machen wollen? Worauf sollten sie sich am meisten konzentrieren?

Das Wichtigste ist eigentlich, sich vor Augen zu halten, wenn ich gut ausgebildet bin und viel investiert habe, ist es keine Option, nicht Karriere zu machen. Was soll die Alternative sein? Die Alternative ist, in einem Job zu bleiben, wo ich nicht autonom bin, was Arbeits- und Zeiteinteilung betrifft, wenig zu verdienen, in einem Teilzeitjob keine Verantwortung übertragen zu bekommen, kein Geld für Unterstützung im Haushalt und bei den Kindern zu haben, und am Ende keine gescheite Pension zu bekommen. Karriere bedeutet natürlich für jede was anderes, aber ich versteh es nicht. Nicht anzustreben, einen interessanten Vollzeitjob zu haben, der mir mein Leben finanziert und mich unabhängig macht. Was soll die Alternative sein?

Ist es wichtig als Frau bei der Partnerwahl darauf zu achten, dass Gleichberechtigung für beide ein Anliegen sein muss?

Nein, das viel Wichtigere ist das, was ich bei meiner Tochter beim Spielen überhört habe: „Und im Spiel haben wir einen guten Job." Sie hat nicht gesagt „Im Spiel sind wir beide Prinzessinnen und müssen nicht arbeiten und haben gerade den Märchenprinzen getroffen." Die jungen Frauen müssen ihr Leben selbst gestalten können und unabhängig sein. Und dann folgt die Partnerwahl. Vielleicht trifft man den richtigen Partner, vielleicht auch nicht, vielleicht trifft man ihn für ein paar Jahre. Das ist ja alles schön und gut, das ist ein Teil des Lebens, aber ich muss mein eigenes Leben haben. Ich glaube auch nicht an nicht-gleichberechtigte Beziehungen. Ich glaube nicht daran, dass man eine langfristig gute Beziehung haben kann, wo nicht beide das gleiche Gewicht haben oder wo es substantielle Abhängigkeiten gibt. Schauen sie sich an, wie es den Frauen dabei geht. Bei aller Romantik: Das ist eine unglaubliche Falle, den Mädchen zu vermitteln, dass wenn sie den richtigen Partner kennenlernen, alles gut wird im Leben. Weil das nicht so ist.

Was bedeutet Feminismus für sie?
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