1 Abo und 1 Abonnent
Artikel

Häusliche Gewalt : Es geht um Macht und Ohnmacht

Jeden dritten Tag stirbt hierzulande eine Frau durch einen gewalttätigen Partner. Viele denken, häusliche Gewalt könnte sie nie treffen, doch dahinter steckt eine komplexe Dynamik.

"Was der Gewalt zu Grunde liegt, ist ein Machtkampf. Es geht um Macht und Ohnmacht", sagt Sozialhelferin Eva Inderfurth im Interview. (Symbolbild) Quelle: Maurizio Gambarini/dpa

"Naja, er ist halt immer etwas komisch, wenn er was getrunken hat." Oder: "Er kann es eben nicht leiden, wenn ich diesen kurzen Rock trage." Es sind solche Sätze, die die Sozialarbeiterin Eva Inderfurth oft hört. Sätze, die zu verschleiern versuchen, was in der Partnerschaft wirklich los ist. Sätze, die gesagt werden, um sich nicht mit der drückenden Wahrheit beschäftigen zu müssen, Opfer häuslicher Gewalt geworden zu sein.

"Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir alle Menschen im Umfeld haben, denen häusliche Gewalt passiert ist", sagt Inderfurth im Interview mit heute.de. Sie arbeitet bei der Frauenberatungsstelle Düsseldorf und kennt die Schicksale hinter den Zahlen, die auf nüchterne Weise zeigen, wie groß das Problem von Gewalt gegen Frauen in Deutschland tatsächlich ist:

Statistisch versucht jeden Tag mindestens ein Mann, seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten. Quelle: dpa

Jede vierte Frau im Alter von 16 bis 85 Jahren wurde bereits einmal in ihrem Leben von ihrem Partner oder Ex-Partner misshandelt. Jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch häusliche Gewalt. 122 waren es 2018, wie aus aktuellen Zahlen des Bundeskriminalamts hervorgeht, die der Deutschen Presseagentur vorliegen. Jeden Tag versucht mindestens ein Mann, seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten - statistisch gesehen. 2018 wurden in Deutschland mehr als 140.000 Menschen Opfer von Gewalt in der Partnerschaft, davon 81 Prozent Frauen.

Nur jede fünfte Betroffene sucht Hilfe

Zu den offiziellen Zahlen hinzu kommt eine immense Dunkelziffer. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey geht davon aus, "dass nur 20 Prozent der Betroffenen Hilfe suchen". Die Frage bleibt: Wann ist man "betroffen"?

Gewalt gegen Frauen

Die Europäische Union definiert Gewalt gegen Frauen in der " Istanbul-Konvention" als eine Menschenrechtsverletzung und eine Form der Diskriminierung der Frau. Sie bezeichnet alle Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen oder führen können, einschließlich der Androhung solcher Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsentziehung, sei es im öffentlichen oder privaten Leben.

Häusliche Gewalt

Als häusliche Gewalt werden dabei jene gewalttätigen Handlungen bezeichnet, die in nahen Beziehungen, insbesondere durch Partner oder Ex-Partner stattfinden. Körperliche und sexuelle Gewalt erleben Frauen zu 70 Prozent in der eigenen Wohnung.

Das würde mir nie passieren?

"Ganz häufig sind Frauen bei uns, die sagen: 'Ich hätte nie gedacht, dass mir das passiert'", erzählt Inderfurth. Doch hinter häuslicher Gewalt stecke eine Dynamik, die viel komplexer sei, als von außen betrachtet. "Es geht nicht darum, dass Menschen blöd sind und es ist auch selten so, dass sofort der erste Schlag oder die erste Gewalttat stattfindet. Meistens fängt es viel subtiler an", erklärt sie. "Die betroffenen Frauen befinden sich auf einmal in einer Situation, in die sie selbst nicht fassen können, hineingeraten zu sein."

In der Frauenberatungsstelle trifft Inderfurth auf Frauen jeglichen Alters, jeglicher sozialer Schicht: "Von ganz jungen Frauen bis über 80-Jährige, ohne und mit Migrationshintergrund, aus Leitungsebenen, mit Arbeitslosengeld-Bezug, ohne und mit Behinderung." Sie sagt: "Häusliche Gewalt macht nirgendwo Halt."

Wieso reden so viele Frauen nicht? Auch dafür sind die Gründe laut der Sozialarbeiterin sehr komplex. Viele Täter würden sich im Umfeld ganz anders benehmen als unter vier Augen. Oft seien sie liebende Familienväter, sehr freundlich, charmant, witzig und gebildet. "Männer, in die sich die Frauen irgendwann mal verliebt haben und wo es auch gute Phasen gibt. Aber dann gibt es eben auch die Phasen, die zum Teil lebensgefährlich sind."

Diese Lebensgefahr mache einen weiteren wesentlichen Grund aus, der dazu führe, dass Frauen sich nicht trauten, Hilfe zu suchen. Wenn die Opfer isoliert seien, keinen Kontakt mehr nach außen hätten, ihr Selbstwert so demontiert sei, dass sie glaubten, nichts mehr alleine zu schaffen, und ihnen dann noch mit dem eigenen Tod oder dem Tod ihrer Familienmitglieder gedroht würde, "dann kann das so bedrohlich sein, dass es einem gar nicht möglich ist, den Schritt zu wagen und sich Hilfe zu suchen", beschreibt Inderfurth. Das Schlimme sei, dass die Angst oft berechtigt, die Drohungen meistens real seien. Die Zahl der Tötungsdelikte bestätigt das. "Was der Gewalt zugrunde liegt, ist ein Machtkampf. Es geht um Macht und Ohnmacht", sagt Inderfurth.

Dass es ein großes Hilfs- und Schutzangebot gibt, sei außerdem vielen Frauen nicht bekannt. Auch das sei etwas Typisches: "Solange es uns nicht betrifft, beschäftigen wir uns nicht damit", sagt Inderfurth. Das soll der heutige internationale Tag gegen Gewalt an Frauen ändern.

Hilfsangebote bei Gewalt gegen Frauen

Das Hilfstelefon "Gewalt gegen Frauen" ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erleben oder erlebt haben. Es ist jederzeit erreichbar unter 08000 116 016. Seit seiner Gründung im März 2013 habe es bereits 150.000 Frauen geholfen, sagt Familienministerin Giffey im ZDF. Zuflucht für bedrohte und misshandelte Frauen bieten die deutschlandweit rund 350 Frauenhäuser. Sie sollen in Zukunft ausgebaut werden und mehr Frauen Platz bieten, sagt Giffey im ZDF. Wer sich bedroht fühlt und Gewalt fürchtet oder erlebt, sollte außerdem die Polizei einschalten. Die Notrufnummer in Deutschland ist 110.
Mehr zu Gewalt gegen Frauen

Aktuelle Nachrichten

Zum Original